Ludwig van Beethoven
Diabelli Variations
organum classics OMG 222068
2 CD • 1h 54min • 2021
25.03.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Beethovens Diabelli-Variationen erscheinen heute – genau 200 Jahre nach ihrer Vollendung und Drucklegung als erster Band von Diabellis Vaterländischem Künstlerverein – immer noch als Quantensprung nicht nur für die Gattung der Variation. Hat doch Beethovens grandiose Dekonstruktion eines leicht einfältigen Walzers nach wie vor eine unerhörte Vorbildfunktion für moderne Kompositionstechniken und den gewissermaßen schonungslosen Umgang mit musikalischem Material. Der russische Pianist Dmitry Ablogin (Jahrgang 1989) studierte in Moskau noch beim legendären Wladimir Tropp, um sich dann später in Deutschland speziell für das Spiel historischer Hammerflügel weiterzubilden. Nach dem Gewinn mehrerer Wettbewerbe fühlt er sich offensichtlich an modernen Konzertflügeln wie an Instrumenten aus dem 19. Jahrhundert ausgesprochen wohl.
Die Diabelli-Variationen auf zwei verschiedenen Instrumenten
So bringt das im Dezember 2021 eingespielte Doppelalbum Beethovens Meisterwerk mit Ablogin gleich zweimal zu Gehör: Zunächst auf einem Hammerflügel, Baujahr 1825, von Nanette Streicher mit der von ihr erfundenen oberschlägigen Mechanik. Die Hämmer prallen dabei von oben auf die Saiten und werden von einer Federmechanik zurückgeholt. Der Komponist war eng mit der Klavierbauerin befreundet, die sich zeitweise sogar um seinen Haushalt kümmerte, und kannte mit Sicherheit Instrumente desselben Typs. Der Rezensent durfte sich mit genau diesem Instrument ebenfalls bereits vertraut machen. Die Aufnahme entstand in der Großen Aula der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität. Zu den besonderen Charakteristika des Streicher-Flügels gehört ein profunder, facettenreicher Bass, der durch geschickten Anschlag farblich reich modifiziert werden kann. Auf der zweiten CD spielt Ablogin (in Weikersheim) einen modernen Fazioli F278.
Virtuosität und enorme Charakterisierungskunst
Ablogin kann aus beiden Instrumenten Beethovens enorme Spannweite an musikalischen Charakteren adäquat herauskitzeln. Er verzögert schon stellenweise das Walzerthema geschickt, stellt es also nicht als den berüchtigten „Schusterfleck“ (Beethoven) bloß. Umso irritierender ist der darauffolgende, pompöse Marsch. Technisch ist Ablogins Spiel makellos – und selbstverständlich bringt er die Bassqualitäten des Hammerflügels entsprechend zur Geltung, etwa in der „Boogie-Woogie“-Variation Nr. XVI oder dem entrückten Grave e maestoso (Var. XIV). Bei den schnellen Variationen legt es der Pianist keinesfalls darauf an, Temporekorde zu brechen (z.B. Var. XXIII); auch die Fuge (Var. XXXII) bleibt als klares Alla breve eher gemessen. Extrem sorgfältig und ansprechend erscheint – auf beiden Instrumenten – Ablogins Pedalbehandlung. Dadurch bleiben die polyphonen Strukturen stets glasklar, und die große Largo-Variation (Nr. XXXI) gelingt so absolut berührend. Bei einer Live-Aufführung an der LMU im Mai 2022 wirkte der Künstler streckenweise ein wenig distanziert; auf den Aufnahmen ist er emotional deutlich präsenter.
Zwei Klangwelten, die sich gegenseitig befruchten
Seinem Interpretationskonzept bleibt Ablogin auf dem Fazioli absolut treu; selbst die Tempi gleichen sich bei allen Variationen fast auf die Sekunde. Jedoch wird nach dem Hören beider Versionen klar, dass sich die Beschäftigung des Pianisten mit zwei sehr verschiedenen Instrumenten und deren klanglichen Möglichkeiten offenkundig wechselseitig gelohnt hat. Ablogins Klangkultur fasziniert beständig, und insgesamt legt er zwei gleichwertige Darbietungen auf allerhöchstem Niveau hin. Mag man auch im Detail nicht immer seiner Lesart zustimmen – wie dem zu weltabgewandtem piacevole von Var. XXVI –, kann sich Ablogin mit den berühmtesten Einspielungen durchaus messen. Der unmittelbare Vergleich der beiden Versionen erweist sich in jedem Falle als erhellend. Bei sehr guter Aufnahmetechnik – lediglich der Streicher-Flügel klingt etwas herangezoomt – und dem exzellenten Booklettext von Wolfgang Rathert bleibt hier nur eine eindeutige Empfehlung.
Vergleichsaufnahmen: Piotr Anderszewski (Erato/Virgin 7243545468, 2000), Swjatoslaw Richter (Philips 422 416-2, Amsterdam 1986), Alfred Brendel (Philips 426 232-2, London 1988), Rudolf Buchbinder (DG 00289 483 7707, 2019).
Martin Blaumeiser [25.03.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | 33 Variationen über einen Walzer von Diabelli C-Dur op. 120 (Diabelli-Variationen) | 00:57:29 |
Interpreten der Einspielung
- Dmitry Ablogin (Hammerflügel, Fortepiano)