Beethoven
Weihe des Hauses (Overture) • Pianoconcerto No. 4 • Variations WoO 80
MDG 901 2216-6
1 CD/SACD stereo • 60min • 2020
28.08.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Musiker denkt, die Politik lenkt. Wenn eine umfangreiche Planung zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens für den November 2020 aufgrund von Corona-Beschränkungen ohne Publikum durchgeführt werden muss, warum sollte man dann aus der Not keine Tugend machen und dem Publikum diese Veranstaltung nicht per SACD zukommen lassen? Da zur Einführung eine umfängliche Lesung aus dem Gesprächsbuch „Die Kunst des Interpretierens“ mit Musikbeispielen geplant war, bietet es sich an, diese Lesung als Bonus beizulegen.
Der retrospektive Beethoven
Auf den ersten Blick haben die Ouvertüre für die Eröffnung des Theaters in der Josefstadt Die Weihe des Hauses op. 124, das vierte Klavierkonzert op. 58 und die 32 Variationen WoO 80 nur wenig gemein. Und doch geben sie einen Einblick in Beethovens Umgang mit Traditionen. Die WoO 80 ist eine Passacaglia mit 31 Variationen über den chromatischen barocken Lamento-Bass. Beethoven dürfte ihn bereits im Unterricht bei seinem Lehrer Christian Gottlob Neefe als Basis für Improvisationen kennengelernt haben. Die direkte Anregung mag vielleicht vom Partiturstudium der Bachschen h-Moll-Messe (Cruxifixus!) im Hause van Swieten ausgegangen sein, der Duktus selbst von Händels großer G-Dur Chaconne. Allerdings weisen Harmonisierung sowie Ausführung der Figuration bereits auf die Romantik (Brahms, 4.Sinfonie).
Auch das G-Dur-Klavierkonzert birgt in seinem Mittelsatz dieses retrospektive Element. Schließlich behandelt dieser den barocken Topos des „Die von Orpheus besänftigten Wesen der Unterwelt“ und greift im Orchesterpart auf typische Formeln des Accompagnato-Rezitativs der Opera seria zurück. Auch Die Weihe des Hauses profitierte vom Unterricht Neefes und Johann Georg Albrechtsbergers. Die Fugati greifen nämlich ein für den mehrfachen Kontrapunkt höchst nützliches Satzmodell auf, das es gestattet, schnell und elegant Zeit mit Fugato-Flächen zu füllen: aufsteigend sequenzierte Quarten in der Oberstimme gegen synkopierte Tonleiter im Bass mit Terzverdoppelungen und Figuration. Beethoven dürfte es im Studium ad nauseam variiert und in allen Tonarten geübt haben.
Aufschlussreiche Lesung von Text und Musik
„Die Kunst des Interpretierens“ gibt vier Gespräche über die Komponisten Beethoven und Schubert wieder, die Peter Gülke mit Alfred Brendel vor Publikum zu unterschiedlichen Anlässen führte. In diesen, von denen das letzte aufgrund des Gesundheitszustandes von Alfred Brendel nur brieflich geführt werden konnte, werden höchst wertvolle und erhellende Einsichten aus zwei langen Interpreten-Karrieren vermittelt. Durch die an den Text direkt anschließenden Musikbeispiele ist die Lesung Gülkes besonders instruktiv und erkenntnisreich. Gülke gelingt mit Lauma Skride und den Brandenburgern eine beeindruckende, bei aller Virtuosität vom Kantablen her entwickelten Interpretation von op. 58. Hier ist im Mittelsatz der abweisende Sprachgestus des Orchesters als Vertreter der Unterwelt optimal herausgearbeitet. Da stört es in der Ouvertüre auch nur wenig, dass die Koordination zwischen Blech und virtuosen Fagottläufen ein wenig im Ungefähren bleibt. Skride spielt das Konzert wie auch die Variationen elegant, kantabel und immer auf den Punkt genau phrasiert.
Sehr gute Klangtechnik und ein hervorragender Aufsatz von Peter Gülke runden diese Produktion für Feinschmecker ab.
Fazit: Durch die CD mit der Lesung und die eher ungewöhnliche Zusammenstellung nicht unbedingt massentauglich, jedoch eine wunderbare Anregung für den fortgeschrittenen Musikliebhaber.
Thomas Baack [28.08.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Die Weihe des Hauses C-Dur op. 124 (Ouvertüre) | 00:12:25 |
2 | Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 | 00:36:23 |
5 | 32 Variationen über ein eigenes Thema c-Moll WoO 80 | 00:10:42 |
Interpreten der Einspielung
- Lauma Skride (Klavier)
- Brandenburger Symphoniker (Orchester)
- Peter Gülke (Dirigent)