Isaac Albéniz
Complete songs
Audax Records ADX13784
1 CD • 70min • [P] 2021
23.11.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Klaviermusik von Isaac Albéniz (1860-1909) hat im internationalen Konzert-Repertoire einen festen Platz, seine Klavier-Suite Iberia ist sogar ausgesprochen populär geworden als ein Musterbeispiel spanischer Musik der vorletzten Jahrhundertwende. Den 30 Liedern, die er komponiert hat, begegnet man dagegen so gut wie nie. Iñaki Encina Oyón, der Pianist der vorliegenden Aufnahmen, erklärt das in seinem Geleitwort einmal damit, dass es bis vor zwanzig Jahren keine gedruckte Edition dieser Lieder gab, und dann mit dem in den meisten Fällen fehlenden Spanien-Bezug, der die großen spanischen Sänger des letzten Jahrhunderts veranlasste, einen Bogen um sie zu machen. Nur fünf der vertonten Gedichte sind in spanischer Sprache geschrieben, sechs italienisch, vier französisch und fünfzehn englisch.
Eleganter Salonton
Das schlägt sich auch in der Musik nieder. Das spanische Idiom, das Albéniz’ Klavierkompositionen prägt, findet sich in seinen Liedern allenfalls verdeckt, während die geschickte und dezente Aneignung fremder Tonsprachen auffällt. Die ersten Arbeiten aus den 1880er Jahren sind in einem Salonton gehalten, der auch musikalischen Dilettanten zugänglich war. Etwa in den Rimas de Bécquer, die mit Gesang oder als begleitete Deklamation vorgetragen werden konnten. Gustavo Adolfo Bécquer (1836-1870), ein spanischer Lyriker der romantischen Richtung, dürfte in Deutschland nur wenig bekannt sein. Den Salonton pflegt Albéniz auch in den Seis baladas der Marquesa de Bolaños (1866-1916), des Titels ungeachtet eine Folge sechs italienischer Lieder, denn die Autorin war eine vornehme Römerin mit Liebe zum italienischen Belcanto. Und der Komponist trägt dem in süffigen Kantilenen Rechnung. Es entsteht eine gewisse Verwandtschaft zu den Kanzonen Francesco Paolo Tostis.
Londoner Intermezzo
In den 1890er Jahren lebte Albéniz mit seiner Familie länger in London und schloß dort Freundschaft mit dem Dichter und Bankier Francis Burdett Money-Coutts (1852-1923), der ihn in der Folgezeit nicht nur großzügig unterstützte, sondern auch Librettist seiner Opern wurde (Pepita Jiménez und Merlin sind auch bei uns bekannt geworden). Ein Bankier, der den Vaternamen Money trägt, dem er später den Namen des Urgroßvaters Coutt (ebenfalls Bankier) anhängt, ist an sich schon eine literarische Figur. Geht man nach dem Eindruck der drei von Albéniz vertonten Gedicht-Zyklen, war er aber mehr als nur ein dichtender Dilettant. Der erste (To Nellie), 1896 entstanden, war seiner Frau gewidmet. Er teilt ihr dort (nach 20jähriger Ehe) durch die poetische Blume mit, dass er ihren Geist mehr bewundert als ihren Körper, in ihr eine Vestalin imaginiert, „von intimem Verlangen ausgeschlossen“. Netter kann man es nicht sagen, dass da im Bett künftig nichts mehr laufen wird. Im Song Separated aus einem späteren Zyklus beschwört er ein anderes Gefühl, das jeder, der in einer Paarbeziehung lebt, kennen dürfte: wenn der andere Teil da ist, wünscht man ihn sich weit weg, aber wenn er weg ist, sehnt man sich nach ihm.
Französische Einflüsse
1894 ließ sich Albéniz in Paris nieder, wo er mit der Elite des französischen Musiklebens in Kontakt kam und dabei mit Gabriel Fauré Freundschaft schloß. Hier erweiterte und verfeinerte sich sein Stil, was nicht nur in den Vertonungen französischer Texte zu erkennen ist, sondern besonders in seinem letzten Zyklus Quatre Mélodies auf Texte von Money-Coutts, den er Fauré widmete. Da war er bereits todkrank und sich wohl bewusst, dass es „vier letzte Lieder“ werden würden. „I live no more in the outer world” heißt es im Lied The retreat – da schreibt er sich gleichsam selbst einen musikalischen Epitaph, der im pianissimo verhallt.
Die Wiedergabe durch die Sopranistin Adriana González (1991 in Guatemala geboren und 2019 Preisträgerin in Domingos Operalia-Wettbewerb) und den baskischen, überwiegend in Frankreich arbeitenden Dirigenten und Klavierbegleiter Iñaki Encina Oyón ist engagiert und durchweg von der Qualität der Musik überzeugend. Die Sängerin darf als eine Entdeckung gelten. Ein runder, warmer lyrischer Sopran von sinnlicher Mezzofarbe mit auch im piano noch leuchtkräftiger Höhe, scheint eine große Karriere vor sich zu haben. Sie fühlt sich offenbar wohl mit ihrer Stimme, die sie manchmal mehr als nötig „ausfährt“ und die überschäumende Emphase des Vortrags ersetzt mitunter die ausdifferenzierte Textgestaltung. Der Pianist kontert das durch eine eher sachliche Begleitung.
Das üppige Booklet enthält die Liedtexte und die gründliche Werkeinführung von Prof. Jacinto Torres in vier Sprachen, ungewöhnlicherweise aber keine Biographien der ausführenden Künstler, über die man sich im Internet kundig machen muß.
Ekkehard Pluta [23.11.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Isaac Albéniz | ||
1 | Besa el aura que gime blandamente T 33a,1 | 00:01:14 |
2 | Del salón en el ángulo oscuro T 33a,2 | 00:01:09 |
3 | Me ha herido recatándose en la sombra T 33a,3 | 00:01:14 |
4 | Cuando sobre el pecho inclinas T 33a,4 | 00:01:07 |
5 | ¿De dónde vengo ...? T 33a,5 | 00:01:52 |
6 | Barcarola T 36,1 | 00:02:42 |
7 | La lontananza T 36,2 | 00:02:17 |
8 | Una rosa in dono T 36,3 | 00:01:46 |
9 | Il tuo sguardo T 36,4 | 00:03:29 |
10 | Morirò!! T 36,5 | 00:02:07 |
11 | T'ho riveduto in sogno T 36,6 | 00:03:07 |
12 | Chanson de Barberine T 37 | 00:02:30 |
13 | Home T 39,1 | 00:01:39 |
14 | Counsel T 39,2 | 00:02:05 |
15 | May-Day song T 39,3 | 00:01:53 |
16 | To Nellie T 39,4 | 00:02:05 |
17 | A song of consolation T 39,5 | 00:02:00 |
18 | A song T 39,6 (Love comes to all!) | 00:02:12 |
19 | Art thou gone for ever, Elaine? T 40,1 | 00:03:13 |
20 | Will you be mine? T 40,2 | 00:02:45 |
21 | Separated! T 40,3 | 00:02:45 |
22 | The caterpillar T 40,4 | 00:01:48 |
23 | The gifts of the Gods T 40,5 | 00:01:44 |
24 | Il en est de l'amour ... T 42 | 00:02:27 |
25 | Crépuscule T 41,1 | 00:01:53 |
26 | Tristesse T 41,2 | 00:02:28 |
27 | Amor, summa injuria T 44,1 | 00:02:22 |
28 | In sickness and health T 44,2 | 00:04:32 |
29 | Paradise regained T 44,3 | 00:03:28 |
30 | The retreat T 44,4 | 00:03:05 |
Interpreten der Einspielung
- Adriana González (Sopran)
- Iñaki Encina Oyón (Klavier)