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Besprechung CD

Wilhelm Furtwängler

Symphony No. 1

cpo 555 377-2

2 CD • 1h 28min • 2019

22.07.2021

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Seine Erste Symphonie, die im Wesentlichen in den 1930er Jahren entstand, deren Anfangsthema jedoch bis 1905 zurückreicht, bereitete Wilhelm Furtwängler solche Mühen wie sonst nur noch sein Klavierquintett – 1942 schrieb er, dass er sie bereits zum dritten Male umarbeite –, und wie das Quintett blieb sie zu seinen Lebzeiten unaufgeführt. Eine Probe mit den Berliner Philharmonikern hatte der Komponist 1943 unzufrieden abgebrochen. Er revidierte das Werk aber noch nach der Fertigstellung seiner Zweiten Symphonie. Zum ersten Mal gespielt wurde die Erste 1989, als Alfred Walter sie mit der Tschechoslowakischen Staatsphilharmonie Košice auf CD aufnahm. Derselbe Dirigent leitete 1991 die öffentliche Uraufführung. Den Erstdruck gab 2002 George Alexander Albrecht heraus, der das Werk zuvor mit der Staatskapelle Weimar eingespielt hatte. Fawzi Haimor hat sich nun als dritter Dirigent an eine Aufnahme des groß angelegten Stückes gewagt.

Wie gotische Architektur

Man sollte sich von dem Umstand, dass der Komponist mit dem Werk nie ganz fertig wurde, nicht irritieren lassen (ein Schicksal, das die Symphonie mit Mendelssohns Italienischer und Wagners Tannhäuser teilt). Auch sollte die Spieldauer (Haimor benötigt 88 Minuten, Albrecht 83, Walter 78) nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Formen der Sätze ähnlich knapp gehalten und übersichtlich sind wie in den Symphonien Bruckners, und sich, wie in diesen, die zeitliche Länge aus der Weite der Melodiebögen ergibt. Robert Simpsons Beschreibung des Kopfsatzes von Bruckners Neunter als „Darstellung–Gegendarstellung–Coda“ trifft im Wesentlichen auch auf Furtwänglers Ecksätze zu, die jeweils in zwei großen, mehrfach untergliederten Steigerungswellen verlaufen, deren zweite Durchführung und Reprise zusammenfasst. Die Tempoangaben suggerieren zwar den Wechsel rascher und langsamer Abschnitte, doch handelt es sich – wie auch im Fall der Zweiten Symphonie – um rein aufführungspraktische Anweisungen: In Wahrheit sind „Largo“ und „Allegro“ zwei Erscheinungsformen eines breiten, aber durchweg flüssigen („wagnerischen“) Grundtempos.

Die Tonsprache ist ganz Furtwänglers eigene, von der Fin-de-Siècle-Welt seiner Jugendjahre gleich weit entfernt wie von den verschiedenen Zeitstilen nach 1920, die er als berühmter Dirigent durch Aufführungen und Uraufführungen begleitete. Er liebt diatonische Melodien, deren Kreisen um die Quinte ihnen eine schwebende Wirkung verschafft, und geht von einfachen harmonischen Grundspannungen aus, die auch in Momenten schärfster Dissonanz zu spüren sind. Es ist eine Musik wie gotische Architektur: monumental und leichtfüßig zugleich.

Mangelndes Fernhören

Bei Fawzi Haimors Aufnahme mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen handelt es sich um die in Hinblick auf Klangqualität und Orchesterspiel bislang geglückteste Einspielung. Weder Walter, dessen Orchester hörbar an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit spielt, noch Albrecht, dessen Einspielung unter einem dumpfen Klangbild leidet, können diesbezüglich mit ihr mithalten. Hinsichtlich der musikalischen Qualität verhält es sich anders. Von Albrecht sei hier nur gesagt, dass ich wünschte, seine Furtwängler-Aufnahmen entsprächen in ihrem Wert der wissenschaftlichen Arbeit, die er als Herausgeber der Furtwängler-Gesamtausgabe geleistet hat. Haimors Aufnahme hat den Vorzug, dass man viele Einzelheiten hören kann, die bei Albrecht und Walter nicht so präzise herauskommen. Auch bemüht er sich um deutliche Artikulation. Verglichen mit Walter fällt aber auf, dass Haimor das „Fernhören“, wie Furtwängler nach Heinrich Schenker die Erfassung der Großform nannte, wesentlich weniger gut beherrscht. So ist er im langsamen Satz einfach nur sehr langsam, ohne dass mit der Langsamkeit eine Intensivierung der Spannung verbunden wäre. Im Gegenteil: Er lässt die Momente sich völlig vereinzeln, die Phrasen finden sich nicht zu größeren Bögen zusammen, die Musik klingt orientierungslos. Walter dagegen erweckt den Eindruck, immer zu wissen, an welcher Stelle des musikalischen „Dramas“ er sich gerade befindet. Entsprechend lebendig wirkt bei ihm nicht nur dieser Satz. Die Ecksätze und vor allem das Scherzo kommen Haimor mehr entgegen, wobei die Seitensatzabschnitte in Kopfsatz und Finale ein wenig zu zaghaft geraten sind.

Somit kann nach wie vor, trotz allen Abstrichen im rein Technischen, die über 30 Jahre alte Aufnahme Alfred Walters den Anspruch erheben, den besten Eindruck von Furtwänglers Symphonie Nr. 1 zu vermitteln. Wer sich mit dem Werk ausführlicher beschäftigen möchte, sollte dennoch an Fawzi Haimors Einspielung, die im rein Technischen ihre Stärken hat, nicht vorübergehen.

Vergleichsaufnahmen: Alfred Walter, Tschechoslowakische Staatsphilharmonie (Košice), Marco Polo 1990 – George Alexander Albrecht, Staatskapelle Weimar, Arte Nova 2000.

Norbert Florian Schuck [22.07.2021]

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