Max Bruch
Lieder

cpo 555 422-2
1 CD • 61min • 2020
08.03.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Max Bruch hatte es schwer: Zeit seines Lebens stand er im Schatten von Johannes Brahms, obwohl er ebenso vehement gegen die „Neutöner“, nämlich, Liszt, Bruckner und Wagner, agitierte. Und Zeit seines Lebens wurde er nur mit seinem Violinkonzert identifiziert, obwohl er doch so viel anderes komponiert hatte, so auch viele gewichtige Chorwerke und viele Lieder. Die kennt heute kaum einer. Dabei sind sie gehaltvoll, melodisch und volksliedhaft.
Diese CD will Bruchs Liedschaffen dokumentieren und bietet deswegen jeweils aus jedem Lied-Opus ein Beispiel. Nur ein Opus, die Siechentrost-Lieder op. 54, ist ganz enthalten. Und schon dafür allein lohnt sich diese CD.
Lieder voller Wehmut und Herzblut
Der Bruder Siechentrost ist die Titelfigur einer Novelle von Paul Heyse – eine tragische Gestalt. Durch die Pest hatte er Frau und Kind verloren, war in ein Barfüßerkloster eingetreten und hatte als „Engel der Kranken“ die Pestkranken gepflegt. Doch als solcher wurde er selber wie ein Aussätziger ausgegrenzt und musste sich die Almosen am Ende seines langen Siechenstabes reichen lassen. Er sang er wunderbar und begleitete sich selber auf seiner Geige: ein treffliches Symbol für den romantischen Musiker bzw. Künstler, der herrlich musiziert, aber immer außerhalb der Gesellschaft lebt. In der Novelle bringt Siechentrost einen hochgemuten Bräutigam dazu, alles hinter sich zu lassen und mit ihm auf Wanderschaft zu gehen, bis er in einem Fluss ertrinkt. Diese fünf Lieder aus der Novelle bilden das Zentrum dieser Lieder-CD. In ihnen stecken Wehmut und Herzblut. Wohlig strömt hier der höchst virile Bariton von Rafael Fingerlos dahin, begleitet nicht nur außerordentlich farbig von Sascha El Moussi am Klavier, sondern auch zehrend süß von Benjamin Herzl auf der Geige, dazwischen im freundschaftlichen Zweiklang mit dem hellen Tenor von Bernhard Berchtold, und am Schluss klingt’s vierstimmig (zusätzlich Cornelia Zink und Magdalene Rüker). Eine wahre Trouvaille ist dieses „Liederspiel“, das wert wäre, öfters aufgeführt zu werden. Die „volkstümliche Fasslichkeit“, die Bruch immer erreichen wollte, ist ihm hier mehr als nur geglückt: Es ist eine höchst artifizielle Fasslichkeit.
Wirkungsgeschickt komponierte Lieder
Die übrigen Lieder sind meist auf Gedichte von Emanuel Geibel und Herrmann von Lingg komponiert. Wirkungsgeschickt sind sie: So symbolisiert Bruch die fallenden Tropfen in Durch die wolkige Maiennacht op. 97 Nr. 2 mittels wiegender Synkopen in der Klavierbegleitung, das berühmte Mörike-Gedicht Um Mitternacht op. 59 Nr. 1 komponiert er schön am Texte entlang mit dem Kontrast der Gelassenheit der Nacht und den munteren Quellen, und der Tannhäuser op. 17 Nr. 8 auf ein Lingg-Gedicht ist eine veritable Ballade, in der die Frau Venus den jagenden Tannhäuser in ihren Bann schlägt.
Etliche Liedsänger-Preise hat Rafael Fingerlos schon gewonnen mit seinem kernig-kräftigen Opern-Bariton – hier klingt er bisweilen zu kräftig, zu wenig unbeschwert dahinsingend, zu „gemacht“, zu ausdrucks-überbordend, zu sehr auf die Stimme drückend – und manchmal die Vokale kehlig-dunkel einfärbend.
Aber er fühlt sich gut in die jeweilige Liedstimmung gut ein, versucht’s sogar mit Neckischkeit, wird verführerisch in der Tannhäuser-Ballade und artikuliert überhaupt hervorragend.
Sein Begleiter am Klavier ist viel mehr als ein Begleiter, er ist ein Mitgestalter, gibt Stimmung, Charakter, Farbe und den Ausdruck der Wortbedeutung am Klavier. Sänger und Pianist bilden eine Einheit, wie man es sich immer wünscht.
Rainer W. Janka [08.03.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Max Bruch | ||
1 | Goldne Brücken op. 15 Nr. 4 | 00:01:43 |
2 | Dein gedenk' ich Margaretha op. 33 Nr. 3 | 00:02:51 |
3 | Tannhäuser op. 17 Nr. 8 | 00:03:40 |
4 | Der Landsknecht op. 18 Nr. 2 | 00:03:49 |
5 | Ein Mädchen und ein Gläschen Wein op. 97 Nr. 1 | 00:01:04 |
6 | Altes Lied op. 7 Nr. 1 | 00:01:52 |
7 | Mein Liebchen naht, Blumen zu pflücken op. 97 Nr. 1 | 00:02:26 |
8 | Wie mochte je mir wohler sein op. 54 Nr. 1 (Lied im Volkston - aus: Siechentrost-Lieder) | 00:05:20 |
9 | Mai, Mai, Mai! op. 54 Nr. 2 (aus: Siechentrost-Lieder) | 00:02:33 |
10 | Gott woll', daß ich daheime wär op. 54 Nr. 3 (Duett - aus: Siechentrost-Lieder) | 00:04:59 |
11 | Wer weiß, woher das Brünnlein quillt op. 54 Nr. 4 (Duett - aus: Siechentrost-Lieder) | 00:02:58 |
12 | Frühling im Moselthal op. 54 Nr. 5 (aus: Siechentrost-Lieder) | 00:05:20 |
13 | Von den Rosen komm' ich op. 17 Nr. 4 | 00:01:39 |
14 | Klosterlied op. 17 Nr. 10 | 00:01:59 |
15 | An die heilige Jungfrau op. 17 Nr. 1 | 00:03:37 |
16 | An die heilige Jungfrau op. 18 Nr. 3 | 00:03:38 |
17 | An den Jesusknaben op. 17 Nr. 3 | 00:01:40 |
18 | Im tiefen Thale op. 15 Nr. 3 | 00:02:51 |
19 | Um Mitternacht op. 59 Nr. 1 | 00:03:48 |
20 | Durch die wolkige Maiennacht op. 97 Nr. 2 | 00:02:41 |
Interpreten der Einspielung
- Rafael Fingerlos (Bariton)
- Sascha Mouissi (Klavier)
- Benjamin Herzl (Violine)
- Cornelia Zink (Sopran)
- Magdalena Rüker (Mezzosopran)
- Bernhard Berchtold (Tenor)