Franz Berwald
Chamber Music
MDG 903 2189-6
1 CD/SACD/DVD Audio • 61min • 2020
29.12.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Franz Berwald gehört zu den Komponisten, deren Bedeutung erst am Lebensende erkannt wurde. Deshalb musste er – so wie es heute manchen Künstlern im Lockdown ergehen mag – in mehreren Phasen seines Lebens „berufsfremd“ als Orthopäde in Berlin und als Leiter einer Glasfabrik und einer Sägemühle in Nordschweden seinen Lebensunterhalt bestreiten. Ein Porträt zeigt ihn ernst, abweisend mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Zeitgenossen der schwedischen Gesellschaft hielten ihn für arrogant. Heute gilt er als der bedeutendste schwedische Romantiker.
Einst verkannt, heute eine Ikone schwedischer Kultur
Die hier eingespielten Kammermusikwerke mit Bläsern entstammen allesamt einer frühen Schaffensperiode Berwalds. Sie entstanden zwischen 1818 und 1825 und somit fast ein Vierteljahrhundert vor den vier Sinfonien, die auch heute im Konzertleben noch lebendig sind. Das „Große Septett“ orientiert sich in der Besetzung an Beethovens op. 20. Es geht von der Form her jedoch eigene Wege, indem es sich auf die konzentrierte Dreisätzigkeit einer Sinfonietta beschränkt. Mehrere Elemente sorgen dafür, dass das Werk vom konservativen schwedischen Musikpublikum als bizarr wahrgenommen wurde: Der Grundton des Werks ist schwärmerisch-romantisch und zupackend. Irritierend sind jedoch einige archaisierende Elemente wie die Vorhaltskette über einer Quintfallsequenz im Kopfsatz und die Verschränkung von langsamem Satz und Scherzo – das Scherzo bildet den Mittelteil einer großen dreiteiligen Form – die wie eine Reminiszenz an die barocke Doppelaffektarie („Cara sposa“ aus Händels Rinaldo) anmuten.
Sturm und Drang trifft auf Romantik
Auch das Quartett für Klavier, Klarinette, Horn und Fagott kann als Reflex auf Beethovens Quintett, von dem auch eine Quartettfassung existiert, gelesen werden. Allerdings liegt bei Berwald der Akzent weit stärker auf den Bläsern und der Klavierpart ist eher unaufwendig gestaltet. Ein „Gustostück“ ist die Serenade für Tenor, Klarinette, Horn, Viola,Violoncello, Kontrabass und Klavier. Auf eine pompöse Einleitung folgt ein Rezitativ und die aus drei Strophen bestehende eigentliche Serenade. Hierbei kann nicht ausgeschlossen werden, dass Berwald einen Rossini-Tenor der königlichen Oper foppen wollte. Jeder Strophe ist nämlich eine virtuose Variation für eines der Soloinstrumente nachgestellt. Besonders brillant gerät die Klaviervariation, die mit allen Tricks des frühen Virtuosentums aufwartet.
Schwierige Balance
Das franz ensemble kann in dieser Einspielung nicht ganz an das Niveau seiner hinreißenden CD mit Werken von Ferdinand Ries anschließen. Dazu fehlen im Septett die Gänsehautmomente, die durch gezielte Akzentuierung innerhalb der einzelnen Phrasen entstehen. Alles ist technisch wunderbar gespielt, es fehlt nicht an beglückenden Einzelmomenten, jedoch fehlt es an der feineren Gestaltung mancher dynamischer Details, die diese Musik erst lebendig wirken lassen. Zudem ist die – zugegebenermaßen schwierige – Balance zwischen den (zu prominenten) Bläsern und den dadurch unterbelichteten Streichern nicht optimal. So kann der Kontrabass nicht das Bassfundament erzeugen, welches für den sinfonischen Duktus erforderlich wäre. Hier zeigt sich das Nash Ensemble eindeutig überlegen. Auch existiert eine Aufnahme des exakt identischen Programms mit schwedischen Künstlern bei Naxos, die interpretatorisch zumindest ebenbürtig ist und für die Serenade mit Thomas Annmo den authentischeren Tenore di grazia aufbietet. Patrick Vogel ist ein begabter Sänger, allerdings als jugendlicher Heldentenor in diesem Repertoire nicht ideal.
Der Booklet Text bietet alle wichtigen Informationen, hätte jedoch von einer sprachlichen Überarbeitung profitiert.
Vergleichsaufnahmen: Arion Wind Quintet and Schein String Quartet, Thomas Annmo Naxos 8.553714 -The Nash Ensemble crd 3344.
Thomas Baack [29.12.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Berwald | ||
1 | Stor Septett B-Dur | 00:23:32 |
4 | Quartett Es-Dur op. 1 für Klavier, Klarinette, Horn und Fagott | 00:22:59 |
7 | Serenade F-Dur für Klarinette, Horn, Viola, Violoncello, Tenor und Kontrabass | 00:14:17 |
Interpreten der Einspielung
- franz ensemble (Ensemble)
- Patrick Vogel (Tenor)