Frédéric Chopin
Études op. 10 & 25
Ars Produktion ARS 38 548
1 CD • 58min • 2016
21.02.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wenn man die Etudes von Frédéric Chopin bei jpc sucht, gibt es satte 1139 Treffer: Wenn man als junge Pianistin also eine CD mit diesen Etudes vorlegt, muss man etwas zu sagen haben. Und man muss sich messen lassen. Tatiana Chernichka gibt im Booklet als Begründung an, dass ihre verstorbene Mutter, Olga Volchkova, in Nowosibirsk „die erste Person, die alle 24 Etüden in einem Konzert aufführte“, gewesen sei. Zum 70. Geburtstag ihrer Mutter legt ihre Tochter nun diese CD vor.
Der erste Eindruck ist der einer leichtfingrigen Virtuosität, einer gewinnenden Leggerezza sowie einer hellen Transparenz. Aber nach Cortot hat zu dieser Welt pianistischer Wagnisse „der Musiker ohne Virtuosität ebenso wenig Zugang wie der Virtuose ohne Musikalität.“ Wie gesagt, man muss sich messen lassen. In dieser Rezension ist Vladimir Ashkenazy der Vergleichs-Maßstab.
Die Etude Nr. 3 aus op.10 nimmt Tatiana Chernichka wirklich „ma non troppo“ und sehr schlicht, mit sonor tropfender Basslinie – aber nicht so ausdrucksstark wie Ashkenazy, der mit winzigen Verzögerungen vor „starken“ Tönen und mehr dynamischer Vielfalt operiert und trotzdem den Fließcharakter beibehält und den erregteren Mittelteil deutlicher mit den Eckteilen verzahnt. Tatiana Chernichka hat da (noch) nicht ganz soviel zu „sagen“.
Höchst spannungsvolle, ja quälende Chromatik und unruhige, unheimliche Dissonanz herrscht bei Ashkenazy in der Etude Nr. 6, während Tatiana Chernichka die Melodie stärker hervorhebt und die hier sinngebenden vier Strukturelemente, nämlich Melodie, Gegenmelodie, Basslinie und Sechzehntel-„Begleitung“, mehr auseinanderfallen. Insgesamt klingt bei ihr diese Etude fast zu wohlig. Auch in der Etude Nr. 9 rumort bei Ashkenazy die Stimmung unterdrückter Leidenschaft wesentlich stärker, sind die vorwärtstreibenden scheinbaren „Parlando“-Floskeln auf unheimlich virtuose Art miteinander verbunden und laden sich gegenseitig mit immer neuer Energie auf. Da bleibt Tatiana Chernichka im Ausdruck zurück. In der Revolutions-Etüde ist bei ihr der revolutionäre Sturm nicht stürmisch genug, wenn auch die technischen Voraussetzungen da sind. Ashkenazy schüttelt mehr Kraft aus den Handgelenken und hat mehr überschäumenden Vorwärtsdrang in den wütenden Sechzehntelläufen.
In der Etude Nr.5 aus op.25 betont Tatiana Chernichka stärker den Scherzo-Ton, ist eleganter, Ashkenazy ist da ernster, bedeutungssuchender. In der darauffolgenden Terzen-Etüde legt Tatiana Chernichka viel Augenmerk auf die linke Hand, was ihre Interpretation deutlich raffinierter klingen lässt. Auch in der cis-Moll-Etude Nr.7 ist die linke Hand gewichtig und schmerzreich klagend, wenngleich da noch eine Steigerung der Klage denkbar wäre. Graziös ist die Etude Nr. 9. In der letzten Etüde überrascht wieder die Kraft der linken Hand.
Das Klangbild wirkt so, als wenn der Flügel weiter hinten im Raum stünde, das nimmt ein bisschen weg von der Klangüberwältigung.
Rainer W. Janka [21.02.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | Etüde C-Dur op. 10 Nr. 1 | 00:02:00 |
2 | Etüde a-Moll op. 10 Nr. 2 | 00:01:27 |
3 | Etüde E-Dur op. 10 Nr. 3 | 00:04:02 |
4 | Etüde cis-Moll op. 10 Nr. 4 | 00:01:55 |
5 | Etüde Ges-Dur op. 10 Nr. 5 (Schwarze-Tasten-Etüde) | 00:01:50 |
6 | Etüde es-Moll op. 10 Nr. 6 | 00:04:10 |
7 | Etüde C-Dur op. 10 Nr. 7 | 00:01:33 |
8 | Etüde F-Dur op. 10 Nr. 8 | 00:02:28 |
9 | Etüde f-Moll op. 10 Nr. 9 | 00:01:59 |
10 | Etüde As-Dur op. 10 Nr. 10 | 00:02:16 |
11 | Etüde Es-Dur op. 10 Nr. 11 | 00:02:26 |
12 | Etüde c-Moll op. 10 Nr. 12 | 00:02:25 |
13 | Etüde As-Dur op. 25 Nr. 1 | 00:02:37 |
14 | Etüde f-Moll op. 25 Nr. 2 | 00:01:35 |
15 | Etüde F-Dur op. 25 Nr. 3 | 00:01:53 |
16 | Etüde a-Moll op. 25 Nr. 4 | 00:01:41 |
17 | Etüde e-Moll op. 25 Nr. 5 | 00:03:45 |
18 | Etüde gis-Moll op. 25 Nr. 6 | 00:02:25 |
19 | Etüde cis-Moll op. 25 Nr. 7 | 00:05:46 |
20 | Etüde Des-Dur op. 25 Nr. 8 | 00:01:24 |
21 | Etüde Ges-Dur op. 25 Nr. 9 | 00:01:05 |
22 | Etüde h-Moll op. 25 Nr. 10 | 00:04:26 |
23 | Etüde a-Moll op. 25 Nr. 11 | 00:03:39 |
24 | Etüde c-Moll op. 25 Nr. 12 | 00:02:43 |
Interpreten der Einspielung
- Tatiana Chernichka (Klavier)