Mikhail Ivanovich Glinka
Complete Piano Works • 1
Grand Piano GP741
1 CD • 77min • 2016
06.02.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Untrennbar mit dem Namen Michail Iwanowitsch Glinkas verknüpft sind seine Leistungen als Komponist von Opern und Orchesterstücken, mit denen er zu einer richtungweisenden Vorbildfigur der russischen Musikgeschichte wurde. Gewiß hat Glinka mit Ein Leben für den Zaren und Ruslan und Ljudmila seine wichtigsten Werke geschaffen; es lohnt jedoch, sich zu vergegenwärtigen, dass sie diese gewandte Künstlerpersönlichkeit nur von einer Seite zeigen, dass Michail Glinka noch andere Gesichter hatte. So war der russische Nationalkomponist auch ein unermüdlicher Student der deutschen Klassiker, er bewunderte den italienischen Belcanto-Gesang, und ebenso zog auch die französische Operntradition seine Aufmerksamkeit auf sich. Dass aus diesem vielfach interessierten Mann ein großer Reisender wurde, der bei Dehn in Berlin seine kontrapunktischen Fertigkeiten schulte und mehrere Jahre in Italien, Frankreich und Spanien zubrachte, um von der Kunstmusik zu lernen und sich von der Volksmusik inspirieren zu lassen, erscheint nur folgerichtig.
Die neun Variationenreihen, die Inga Fiolia als erste Folge einer Gesamteinspielung von Glinkas Klaviermusik aufgenommen hat, zeugen exemplarisch von den verschiedenen Eindrücken, an denen sich die Phantasie des Komponisten entzündete: Eine Romanze seines Landsmanns Aljabjew variierte er ebenso wie Arien von Mozart und Cherubini, Donizetti und Bellini; auch ein russisches und ein italienisches Volkslied finden sich. Trotz der Unterschiede im einzelnen hört man allen Stücken mehr oder weniger an, dass sie einer Zeit entstammen, in der Variationen über beliebte Melodien zum Kernbestand bürgerlicher Salonmusik gehörten. Glinka gibt seinen Interpreten reichlich Möglichkeit, ihre Fingerfertigkeit zu zeigen – das versteht sich für ihn von selbst –, er scheut die konventionellen Figurationen der Zeit keineswegs, doch haucht er ihnen Leben ein durch die Einfälle, die kompositorischen Ideen, in deren Dienst er sie stellt. Dies ist vor allem in den umfangreicheren Variationenfolgen der Fall, die von gewichtigen Introduktionen eröffnet und von ausgedehnten Finali beschlossen werden. Hier zeigt Glinka, dass er ein Meister der Charaktervariation ist. Er kennt seine Themen und weiß ihnen stets interessante neue Gestalten abzugewinnen. Man höre z.B. gleich im ersten Stück der CD, den Variationen über ein eigenes Thema, die langsame Moll-Variation!
In Inga Fiolia haben die Werke eine ideale Interpretin gefunden, deren Darbietungen erkennen lassen, dass ihnen eine intensive Beschäftigung mit den Stücken vorausgegangen sein muß. Durch Fiolias differenzierte Gestaltung der Dynamik – ihre Stärken liegen namentlich im Piano-Bereich – und ihre stets geschmackvoll angebrachten Rubati, erhält die ohnehin abwechslungsreich komponierte Musik noch eine Vielzahl an Feinheiten und Kontrasten hinzu. Erfrischend spontan wirkt es besonders dann, wenn die Pianistin die notengetreuen Wiederholungen leicht abweichend akzentuiert und dadurch innerhalb der Variationen noch Varianten anbringt. Zu Glanzstücken der Aufnahme werden auf diese Weise die Bellini- und Donizetti-Variationen. Die Herausforderung für den Interpreten besteht bei diesen höchst brillanten und ausgiebig figurierten Werken gerade darin, sie nicht als pianistische Bravournummern darzubieten, sondern das Klavier Belcanto singen zu lassen – eine Spezialität des Pianisten Glinka, wie man aus dem unterhaltsam formulierten Beiheft erfährt. Inga Fiolia wird dem vollkommen gerecht und vermag den Tasten imaginäre Opernszenen zu entlocken, wie sie dem Komponisten vorgeschwebt haben dürften.
Ausdrücklich zu tadeln ist an dieser Produktion nur eines: Die Pausen zwischen den einzelnen Stücken sind viel zu kurz, ja zum Teil fast gar nicht vorhanden, so dass die Variationenreihen einander attacca folgen. Mindestens 10 Sekunden Stille hätten nach jedem Stück selbstverständlich sein müssen und wären auch auf der Scheibe noch problemlos unterzubringen gewesen.
Davon abgesehen liegt eine sehr empfehlenswerte CD vor. Inga Fiolia präsentiert Glinkas Klaviervariationen nicht als Nebenwerke eines auf anderen Gebieten ausgezeichneten Komponisten, sondern als treffliche Musik eigenen Rechts, die das Hören und Spielen lohnt. Sie hat diese Stücke ernst genommen, und die Musik hat es ihr gedankt. Auf die Fortsetzung der Reihe darf man gespannt sein.
Norbert Florian Schuck [06.02.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Michael Glinka | ||
1 | Variationen über ein eigenes Thema F-Dur | 00:11:48 |
2 | Variationen über ein Thema aus der Oper Faniska von Cherubini B-Dur | 00:05:05 |
3 | Variationen über zwei Themen aus dem Ballett Chao-Kang D-Dur | 00:05:22 |
4 | Variationen über ein Thema aus Donizettis "Anna Bolena" A-Dur | 00:11:50 |
5 | Variationen über ein Thema aus Die Zauberflöte von Mozart Es-Dur | 00:05:54 |
6 | Variationen über die Romanze Benedetta sia la madre E-Dur | 00:13:42 |
7 | Variationen über das russische Volkslied Sredi doliny a-Moll | 00:02:57 |
8 | Variationen über ein Thema aus der Oper I Capuletti e i Montecchi von Bellini C-Dur | 00:12:37 |
9 | Variationen über das Lied Die Nachtigall von Alabiev e-Moll | 00:07:51 |
Interpreten der Einspielung
- Inga Fiolia (Klavier)