Prokofiev
Symphonies Nos. 4 & 7
BIS 2134
1 CD/SACD stereo/surround • 82min • 2014, 2015
15.09.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Sinfonien Sergej Prokofjews haben auf dem Schallplattenmarkt zurzeit Hochkonjunktur: Ein Zyklus wurde vor kurzem vollendet – mit Kirill Karabits und dem Sinfonieorchester Bournemouth (Onyx) – drei weitere sind in Arbeit: mit Marin Alsop und dem São Paulo Symphony Orchestra (Naxos), James Gaffigan und der Niederländischen Radiophilharmonie (Challenge) und, last but not least, Andrew Litton und dem Bergen Philharmonic Orchestra (BIS). Litton hatte seine Prokofjew-Serie fulminant mit der Sechsten begonnen, und die darauf folgende Einspielung der Fünften konnte ebenfalls für sich einnehmen. Nun hat er sich die Sinfonien Nr. 4 und 7 vorgenommen, und ist damit bei den beiden „Problemkindern“ innerhalb dieses Werkkorpus angekommen.
Die Vierte existiert bekanntermaßen in zwei Fassungen, doch keine hat es bislang ins Repertoire geschafft. In beiden Versionen bedient sich Prokofjew der Musik seines Balletts Der verlorene Sohn. Mutet die erste – entstanden zum 50-jährigen Bestehen des Boston Symphony Orchestra – noch eher wie eine leichtgewichtige Ballettsuite an, so war es der Ehrgeiz des Komponisten, in der nach der Sechsten vollendeten Zweitfassung das Material eher nach „großer Sinfonie“ klingen zu lassen – mit dem Ergebnis, dass dieses Opus 112 deutlich länger und üppiger instrumentiert ist als das Ursprungswerk. So recht ist ihm sein Vorhaben allerdings nicht gelungen. Statt einer thematischen Verdichtung findet eher eine Verdickung statt; die aufgeplusterten Gesten in den Ecksätzen passen nicht so recht zur immer noch deutlich tänzerischen Charakter tragenden Thematik. Daher nimmt es nicht Wunder, dass jene Passagen, in denen die Herkunft aus dem Ballett am stärksten zu spüren sind – etwa der gesamte dritte Satz – am meisten überzeugen.
Litton nimmt sich in dieser Einspielung die Zweitfassung vor (die erste Version wird hoffentlich noch folgen), und holt aus dem Werk heraus, was drin steckt – wobei aufs Neue die fabelhafte Klangkultur des Orchesters sowie Littons nie der Gesamtstruktur übergeordnete Liebe zum Detail gelobt werden muss. Aber ein neues Kapitel in der Aufführungshistorie des Werks hat er mit dieser durchaus gelungenen Interpretation wohl kaum aufgeschlagen – was nicht sein Fehler ist.
Im Falle der Siebten Sinfonie – Prokofjews letztem großen Werk – liegen die Probleme woanders, nämlich in der Rezeption. Ein übers andere Mal wurde über die angeblich nachlassende Schaffenskraft Prokofjews geschrieben, wie sie sich angeblich in dieser Sinfonie äußert. Von einer solchen kann jedoch keine Rede sein. Sicherlich spielen in Nummer sieben der für Prokofjews so typische Sarkasmus und die gelegentlich provokative Aggressivität seiner Tonsprache keine Rolle mehr. Doch befindet sich die melodische Erfindung auf höchstem Niveau, von der meisterhaften Orchestrierung ganz zu schweigen. Die „Einfachheit“, von der Prokofjew angesichts seiner Siebten selbst sprach, ist nicht mit Harmlosigkeit zu verwechseln; es finden sich durchaus mannigfache Zwischentöne, Konflikte gar – nur werden diese mit sehr schlankem Florett ausgefochten. Und letztlich bedeutet dieses Werk auch eine von leiser Melancholie durchzogene Rückschau auf – bessere – Zeiten, die für Prokofjew unwiederbringlich verloren waren.
Andrew Litton lässt schon im scharf angestoßenen Unisono des Beginns keinen Zweifel daran, dass es in dieser Sinfonie mehr zu entdecken gibt als nur oberflächliche Heiterkeit. Er glaubt voll und ganz an das Werk und erfasst seinen Charakter in jeder Facette. Unwiderstehlich etwa der bis zum Schluss sich steigernde Wirbel des zweiten Satzes, wunderschön ausgekostet der ambivalente Schluss des Werks nach all dem ausgelassenen Final-Jubel. Wenn es noch eine Ehrenrettung für Prokofjews Sinfonie Nr. 7 benötigen sollte – hier ist sie. Letztendlich sei noch erwähnt, dass Litton – im Gegensatz zu seinen Kollegen – auch in voller Länge die Alternativfassung des Finales präsentiert, mit jenem von Prokofjew aus taktischen Gründen hinzukomponierten neuen, sehr konventionellen Schluss, hinter dem er selbst nicht stand und den auch niemand braucht.
Thomas Schulz [15.09.2016]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Sergej Prokofjew | ||
1 | Sinfonie No. 4 C major op. 112 | 00:38:49 |
5 | Sinfonie Nr. 7 cis-Moll op. 131 | 00:32:57 |
9 | Sinfonie No. 7 c sharp minor op. 131 | 00:09:04 |
Interpreten der Einspielung
- Bergen Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Andrew Litton (Dirigent)