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Besprechung CD

Bruno Procopio Carl Philipp Emanuel Bach

Württemberg Sonatas Wq 49

Paraty 515501

2 CD • 1h 31min • 2014

02.07.2015

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

„Seele, Ausdruck, Rührung, das hat Bach erst dem Claviere gegeben“, schrieb Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) und meinte mit Bach, wie eigentlich alle seine Zeitgenossen, den „Berliner“ bzw. „Hamburger“ Carl Philipp Emanuel Bach (dem erst später zur Legende gewordenen Vater hätte damals wohl die Bezeichnung „der alte Bach“ gegolten).

1741 war Bach, nachdem er 1738 als Cembalist in die Kapelle des preußischen Kronprinzen eingetreten war, zum Kammercembalisten des nunmehr als König über Preußen herrschenden Friedrich II. aufgestiegen. Mit zwei Sammelbänden von jeweils sechs Cembalosonaten gab der knapp Dreißigjährige 1742 und 1744 seine Visitenkarte als ein führender Komponist des neuen „empfindsamen Stils“ ab, den er selbst maßgeblich prägen sollte – Reichardts obiges Zitat ist ein deutlicher Beleg aus der nachfolgenden Generation dafür. Die ersten sechs Sonaten waren dem Dienstherrn König Friedrich gewidmet und sind als Preußische Sonaten bekannt geworden, die zweite Sammlung wurde dem nachmaligen Herzog Carl Eugen von Württemberg zugeeignet, der damals in Berlin weilte und von Philipp Emanuel Bach Klavierunterricht erhielt – sie sind also die Württembergischen Sonaten. Joseph Haydn machte 1749 Bekanntschaft mit den Preußischen Sonaten und beschrieb das Erlebnis als alter Mann seinem Biographen Griesinger: „… da kam ich nicht mehr von meinem Klavier hinweg, bis sie durchgespielt waren, und wer mich gründlich kennt, der muss finden, dass ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke, dass ich ihn verstanden und fleißig studiert habe; Emanuel Bach ließ mir auch selbst einmal ein Kompliment darüber machen.“

Wären nun Haydn statt der Preußischen die Württembergischen Sonaten in die Hände gefallen, er wäre noch begeisterter gewesen, sind diese Stücke doch noch vielschichtiger und neuartiger als die insgesamt moderateren Sonaten für König Friedrich, mit dessen etwas altbackenem galantem Musikgeschmack Bach an manchem Abend leidvoll konfrontiert wurde, wenn er die Majestät auf dem Cembalo beim Flötenspiel begleitete.

Bruno Procopio, in Frankreich lebender Cembalist brasilianischer Herkunft und Schüler von Pierre Hantaï und Christophe Rousset, verwendet für seine Einspielung der Württembergischen Sonaten ein im Jahr 2000 gebautes Cembalo aus der Werkstatt des im kalifornischen Berkeley ansässigen Cembalobauers John Philips. Das im Beiheft nicht weiter spezifizierte Instrument dürfte der Abbildung zufolge das in Philips’ Angebotskatalog aufgeführte deutsche Cembalo nach einem Cembalo des Dresdner Cembalobauers Gräbner von 1739 sein. Mit sprechender Agogik lotet Procopio die Möglichkeiten des ausgesprochen klangschönen Instruments ebenso aus wie den temperamentvollen Reichtum des neuen „empfindsamen Stils“, als dessen führender Vertreter sich der „Berliner“ Bach ja nicht zuletzt mit dieser Sonatensammlung exponierte. Dabei kommt allerdings auch die Eleganz nicht zu kurz, die in den Württembergischen Sonaten mit ihren höheren Ansprüchen an den Solisten eine größere Rolle spielt als in den Preußischen Sonaten.

Bob van Asperen, zum Zeitpunkt der Einspielung seiner Aufnahme der Württembergischen Sonaten 32 Jahre alt (damit sechs Jahre jünger als Procopio bei seiner Einspielung), geht die Stücke zwar ganz im Sinn einer Sturm-und-Drang-Ästhetik etwas ungestümer an als Procopio, doch wäre es verfehlt zu behaupten, die beiden Cembalisten lägen mit ihren Interpretationen weit auseinander.

Miklós Spányi spielt ein Clavichord (Kopie eines Instruments des Dresdners Horn aus dem Jahr 1785); keine tadelnswerte Entscheidung, selbst wenn die Stücke auf dem Titelblatt des Drucks eigens für das Cembalo bestimmt worden sind. Aufgrund seiner überaus vielfältigen klanglichen Differenzierungsmöglichkeiten war das Clavichord das ideale Instrument für das künstlerische Selbstgespräch des „Clavieristen“, taugte aber wegen seines leisen Klanges kaum für den Einsatz im Konzert – zumal Bach Klangverstärkungen beim Clavichord durch 4-Fuß-Doppelungen im Bass nicht schätzte, durch die manche Clavierbauer damals den Instrumenten wenigstens ein lauteres Fundament zu geben versuchten. Spányi beschwört mit seiner Deutung die private Atmosphäre des künstlerischen Selbstgesprächs herauf – hier ist von Eleganz und virtuoser musikalischer Selbstdarstellung des Protagonisten eines neuen, und für die 1740er Jahre durchaus revolutionären Stils nicht viel zu spüren. Mit sehr viel langsameren Tempi als Procopio und van Asperen kostet Spányi den Klangreichtum und die Farbigkeit des Clavichords ganz und gar aus und unternimmt so eine Reise ins Innere der fühlenden Seele: Sie sollte ja im Mittelpunkt des neuen Stils stehen, der auch im literarischen „Sturm und Drang“ wie eine Art vorweggenommener Romantik anmutet. So ergänzen Procopio und Spányi einander vorzüglich und liefern gemeinsam das ganze Bild dieser außerordentlichen Künstlerpersönlichkeit des Carl Philipp Emanuel Bach, dessen Verdienste um die Musikgeschichte kaum genügend gewürdigt werden können, stellt man in Rechnung, dass Haydn, Mozart und Beethoven – die im Persönlichen so unterschiedliche Trias der Wiener Klassik – diesem Bach-Sohn allesamt höchsten Respekt zollten.

Aufnahmetechnisch begegnen sich Procopio und Spányi auf gleichem, hohem Niveau, da fällt die ADD-Aufbereitung von van Asperens Einspielung leider mulmiger aus.

Vergleichseinspielungen: Miklós Spányi (Clavichord), BIS CD 1423 u. BIS CD 1424 (AD: 2003); Bob van Asperen (Cembalo), Warner Classics 2564 69455-4 (ADD, AD: 1979)

Detmar Huchting [02.07.2015]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Carl Philipp Emanuel Bach
1Württembergische Sonate Nr. 1 a-Moll Wq 49/1 H 30 00:15:59
4Württembergische Sonate Nr. 2 As-Dur Wq 49/2 H 31 00:13:06
7Württembergische Sonate Nr. 3 e-Moll Wq 49/3 H 33 00:12:52
CD/SACD 2
1Württembergische Sonate Nr. 4 B-Dur Wq 49/4 H 32 00:14:56
4Württembergische Sonate Nr. 5 Es-Dur Wq 49/5 H 34 00:16:04
7Württembergische Sonate Nr. 6 h-Moll Wq 49/6 H 36 00:17:50

Interpreten der Einspielung

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