Russia
SWRmusic 93.317
1 CD • 62min • 2013
05.08.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Es ist erstaunlich, mit welcher technischen Perfektion manche Chorensembles heute zwischen alter Musik und extrem herausfordernden modernen Partituren agieren, und zweifellos ist es gerade auch der Wechsel zwischen den unterschiedlichen Extremen der Herausforderung, der diese Entwicklung beschleunigt hat. Bestaunte man vor einiger Zeit noch die Leistungen der Sänger um Altmeister Eric Ericson, so ist dergleichen Makellosigkeit heute fast schon Voraussetzung, um internationales Ansehen einzufahren. Das SWR Vokalensemble gehört zu den Spitzenformationen weltweit, und diese Spitzenstellung wird auch auf vorliegender Aufnahme bestätigt. Dabei fällt gerade bei den sehr archaisierenden Werken von Schnittke, Glinka, Tschaikowsky und Rachmaninoff, und nicht weniger bei den anspruchsvollen Gedichte-Vertonungen Sergej Tanejevs auf, dass insbesondere deutsche Bässe nicht über die Fülle und Pracht ihrer russischen Kollegen verfügen. Also klingt alles schlanker und auch schärfer, und so ist zweifellos zu konstatieren – ohne dass dies ein Manko wäre –, dass, wer authentischeren Klang sucht, mit einer herausragenden russischen oder baltischen Aufnahme adäquater bedient ist. Dafür wird man hier mit einer fast schon einschüchternden Brillanz glasklaren Klanges entschädigt.
Die Zusammenstellung ist interessant und auch vielseitig, doch hat man sich auf die ohnehin bekannten Namen verständigt, unter denen Tanejev fast schon der hierzulande exotischste ist. Warum beschränken sich die Chorleiter gerade bei der zeitgenössischen Musik aufs längst Durchgesetzte, anstatt einmal zu forschen und neue Überraschungen zu präsentieren (ich erwähne nur exemplarisch die beiden Petersburger Großmeister Boris Tishchenko und Sergej Slonimsky). Wobei Alfred Schnittkes das Programm eröffnende drei geistlichen Gesänge von 1984 in ihrer traditionsgebundenen Einfachheit und innigen Würde herrlich ins Gesamtbild passen, Sofia Gubaidulinas experimentierfreudige fünfsätzige Suite Hommage an Marina Zwetajewa hingegen mit Gemeinplätzen der Vokalmusik der achtziger Jahre spielt – zwar recht kurzweilig, aber auch, bei allem Klangabenteuer vom Flüstern bis zum kollektiven Cluster-Schrei, letztlich ein poetisch getarnter, energetisch unzusammenhängender Diskurs durch Klangeffektgelände bleibt. Immerhin, die Ausführenden scheinen ihren Spaß an der Sache zu haben, und der Hörer kann sich an professionellen Abstrusitäten ergötzen. Der Rest ist makellos, und wieder einmal erweist sich der unvergleichliche Klangsinn russischer Komponisten, sei es fürs Orchester oder eben hier für den Chor, wie es ja schon Bortniansky vorgemacht hat. Michail Glinkas verklärt sechsstimmiger Cherubim-Hymnus, Peter Tschaikowskys mit inniger Leidenschaft ergreifend abschließender Cherubim-Hymnus aus der Liturgie des heiligen Chrysostomos und Sergej Rachmaninoffs in der weittragenden Schlichtheit fesselndes Geistliches Konzert Theodokos, immer wachend im Gebet umfangen mit transzendenter Qualität, und die Auszüge aus Sergej Tanejevs Chören op. 27 nach Gedichten von Jakov Polonski (1819-98) sind sakral anmutende Meisterwerke weltlicher Chorpoesie. Etwas mehr dynamische Differenzierung innerhalb des Fortissimo würde der Beweglichkeit der Faktur immer wieder guttun, doch insgesamt ist nicht zu diskutieren, dass diese auch klangtechnisch exzellent realisierte Aufnahme A-cappella-Klangkultur auf höchstem Level repräsentiert.
Christoph Schlüren [05.08.2014]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Alfred Schnittke | ||
1 | Lied der Heiligen Gottesmutter | 00:01:52 |
2 | Jesusgebet | 00:01:32 |
3 | Vater unser | 00:04:01 |
Sergej Rachmaninow | ||
4 | Theodokos, immer wachend im Gebet (Geistliches Konzert) | 00:08:38 |
Sofia Gubaidulina | ||
5 | Hommage an Marina Zwetajewa (Suite für gemischten Chor a cappella in 5 Sätzen) | 00:19:39 |
Sergej Tanejew | ||
10 | Sterne | 00:05:46 |
11 | Über'm Berg zwei grimme Wolken | 00:06:56 |
12 | Sieh, wenn aufs verschlaf'ne Meer | 00:04:11 |
Michael Glinka | ||
13 | Cherubim-Hymnus | 00:04:09 |
Peter Tschaikowsky | ||
14 | Cherubim-Hymnus Nr. 1 | 00:04:58 |
Interpreten der Einspielung
- SWR Vokalensemble Stuttgart (Chor)
- Marcus Creed (Dirigent)