Valentina Lisitsa Chasing Piano Michael Nyman
Decca 478 6421
1 CD • 76min • 2013
14.05.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Aus der Menge der sozusagen konventionellen Klassik-Einspielungen stechen in letzter Zeit Aufnahmen von eigenwillig entschleunigter Passion hervor. Interpretinnen und ihre männlichen Mitbewerber um ein bei Kerzenlicht den Neuigkeiten lauschendes Publikum geben sich zurückhaltend, virtuos auf eine gänzlich inwendige Weise. So ertasten sie Melancholie, edle Lyrik, vom Jazz inspirierte, human rhythmisierte Sanglichkeit und zeigen zugleich Distanz zur seinerzeit avancierten Musik des 20. Jahrhunderts etwa im Sinne der Neuen Wiener Schule und der Darmstädter Doktrinen. Genug also wenigstens für eine gute Stunde der sportlich forcierten Instrumentalraserei, die in kritischen Kollegenkreisen weniger das ästhetische Feingefühl herausfordert, sondern anscheinend die Lust auf musikantische Fotofinishs etwa am Ende der Petruschka-Suite oder im Finale der Siebenten Sonate von Prokofieff. Ich nenne in diesem mehr als beunruhigenden Zusammenhang nur zwei Namen: zum einen die in vielen Fragen der Tempo- und damit der Werkrücksicht fehlgeleitete Katia Buniatishvili und den russischne Pianisten Boris Berezovsky, der inzwischen auch drei der vier Sätze des B-Dur-Konzerts von Brahms als eine kapitale Rennstrecke missbraucht hat (Mirare 132).
Nun jedoch bewegen sich Musiker auch betont zurückhaltend und mit pianistisch recht fein abgestimmten Zutaten wie etwa der Luxemburger Pianist und Komponist David Ianni durch eine akustische Landschaft, die unter der Überschrift „Prayers of Silence“ zweifelsfrei jeglicher Hektik enthoben und noch dazu einer – freilich nicht näher gekennzeichneten – Religiosität zuzuordnen ist (Oehms OC 428).
Die ukrainische, in den USA lebende Pianistin Valentina Lisitsa probiert es nun nach einem literarisch vergleichsweise konzentriertem Muster, sofern man die bunt bestückte „Road 66“-Einspielung der von Eltern aus Sri Lanca abstammenden Shani Diluca zum Vergleich heranzieht. Sie fesselt mit nachdenklichen, mehr von innen her glühenden Miniaturen von Adams, Barber, Beach, Jarrett, Cage, Gershwin, Bernstein oder auch Cole Porter (Mirare 239). Valentina Lisitsa, die auf ihrem Weg in eine bereits weltweite Öffentlichkeit alle Möglichkeiten des Internets nutzte und von diesen Möglichkeiten wohl bis jetzt wie keine zweite Pianistenpersönlichkeit profitierte – sie hat sich auf ihrer neuen Decca-Einspielung auch weitgehend auf züchtige, eher im Mikrobereich der Emotionen auf- und anregende Stücke des englischen Komponisten Michael Nyman konzentriert. Er ist einem breiten Publikum vor allem durch seine Musik für den Film The Piano bekannt geworden, in gezielter an Neuigkeiten interessierten Kreisen aber auch durch vielfältig prononcierte, aber in Mehrheit doch eher verhalten temperierte Stücke mit dem erklärten Ziel, „schöne Musik“ zu schreiben. Die mithin überwiegend andächtige Reise durch Nymans artig-raffinierte Klangwelt mit vielen zarten, leise vibrierenden Passagen „liegt“ der Vortragenden für mein Empfinden. Lisitsa bekundet Sinn für kleine Rückungen in den allein zehn aus The Piano stammenden Behaglichkeiten. Wenn nötig zeigt sie aber auch ihre Krallen – mit Geschmack und Noblesse, so möchte man in längst antiquiertem Rezensentenjargon lobend ausrufen. Das heißt: sie sorgt sich um jede Windung, um jede Unterschwelligkeit und um dynamische Zwischen- und Überganswerte. Dies erinnert mich in dieser Hinsicht an ihr besonders im Umkreis der Nocturnes ausgefeiltes Chopin-Spiel – dokumentiert etwa in Aufnahmen aus der Kölner Philharmonie (ZDF/Arte 2013) via Rundfunk vom Rheingau-Festival im August 2013 und im Rahmen eines Münchner Mitschnitts vom Mai 2010.
Peter Cossé † [14.05.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Michael Nyman | ||
1 | The Heart Asks Pleasure First (The Piano) | 00:04:21 |
2 | Big My Secret (The Piano) | 00:02:58 |
3 | Candlefire (The Diary Of Anne Frank) | 00:02:29 |
4 | If, Why (The Diary Of Anne Frank) | 00:03:34 |
5 | Sheep 'n' Tides (Drowning By Numbers) | 00:02:32 |
6 | Goodbye Moortie (The Diary Of Anne Frank) | 00:01:53 |
7 | Fly Drive (Carrington) | 00:00:51 |
8 | Diary of Love (The End Of The Affair) | 00:02:44 |
9 | Time Lapse (A Zed & Two Noughts) | 00:04:54 |
10 | Odessa Beach (Man With A Movie Camera) | 00:03:32 |
11 | The School Room (The Diary Of Anne Frank) | 00:02:12 |
12 | If, Why (The Diary Of Anne Frank) | 00:03:59 |
13 | Chasing Sheep Is Best Left To Shepherds (The Draughtsman's Contract) | 00:03:17 |
14 | Deep Sleep Playing (The Piano) | 00:02:19 |
15 | The Exchange (The Piano) | 00:02:51 |
16 | Here To There (The Piano) | 00:01:21 |
17 | Jack (Wonderland) | 00:02:20 |
18 | Bill (Wonderland) | 00:02:39 |
19 | The Departure (Gattaca) | 00:02:49 |
20 | Lost And Found (The Piano) | 00:03:08 |
21 | All Imperfect Things (The Piano) | 00:03:06 |
22 | The Attraction Of The Pedalling Ankle (The Piano) | 00:07:42 |
23 | The Mood That Passes Through You (The Piano) | 00:02:36 |
24 | The Embrace (The Piano) | 00:02:31 |
25 | Silver-Fingered Fling (The Piano) | 00:05:15 |
Interpreten der Einspielung
- Valentina Lisitsa (Klavier)