Tudor 7157
1 CD • 77min • 2008, 2009
22.07.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Xiaotang Tan ist ein Name, der sich etwas kompliziert liest, aber eigentlich keine Schwierigkeiten bereitet: das „Xiao" wird ziemlich genau wie „Schau" ausgesprochen und der Rest so, wie man es schreibt. Ein- oder zweimal geübt und die phonetische Distanz ist überwunden – was wichtig ist, denn diesen Pianisten sollte man sich merken. Mit der vorliegenden Chopin-CD gelingt ihm auf Anhieb etwas sehr Kostbares: man spürt den Komponisten, nicht den Interpreten. Selten habe ich die Reinheit von Chopins Musik so ungetrübt empfunden wie durch die Hände dieses Chinesen, der es schafft, dass man auch bei über die Maßen bekannten Schlachtrössern wie dem b-Moll-Scherzo, der g-Moll-Ballade oder der fis-Moll-Polonaise gebannt zuhört, um zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Tan kann mit einer athletischen Energie zupacken, deren schlanke Präzision ihm so leicht niemand nachmachen dürfte, und gleichzeitig wirkt sein Wissen um den poetischen Gestus hinter den Noten derart natürlich, als hätte er es mit der Muttermilch eingesogen.
Mit seinen 32 Jahren ist Xiaotang Tan relativ alt für ein Debüt-Album; doch wenn man Alter mit Reife übersetzt, hat es sich gelohnt, so lange zu warten. Sein Spiel zeichnet sich aus durch eine meisterhafte geistige Beherrschung, und das im wörtlichen Sinne: er verliert sich nie in der Musik, obwohl er sie in all ihrer Vielfalt zum Leben erwecken kann. Diese minimale Zurückhaltung zeigt sich zum Beispiel in den (selbst bei Schlußakkorden) ziemlich knapp bemessenen Generalpausen und Fermaten, die viele Pianisten gerne pathetisch auskosten. Genau in diesem Verzicht auf das bewußte Zur-Schau-Stellen von Emotion liegt Tans Kunst, wodurch er Chopins puristischem Verständnis von Romantik sehr nahe kommt.
Die Kombination mit den beiden chinesischen Komponisten Xiaogang Ye und Qigang Chen ist mir auch nach mehrmaligem Hören nicht ersichtlich – erschien dem Label Tudor eine reine Chopin-CD mit knapp 60 Minuten als zu wenig markant? Das Booklet versucht eine Verbindung über die Achse Chopin-Debussy-Messiaen; angesichts der um ein Jahr auseinanderliegenden Aufnahmetermine wirkt das auf mich aber recht konstruiert. Wie auch immer, die Stücke sind gut und interessant (die „Instants d'un opéra de Pékin" leider etwas zu lang), wenn auch der Einfluß von Messiaens Tonsprache und rhythmischen Modi unüberhörbar ist. Dass Xiaotang Tan sich für die zeitgenössische Musik seiner Landsleute einsetzt, öffnet ihm hoffentlich die Türe zu manchen Konzertreihen mit Fokus auf die Moderne. Wenn er dort dann auch Chopin aufs Programm setzen darf, sollten wir seinem gar nicht so unaussprechlichem Namen in Zukunft öfter begegnen.
Henri Ducard [22.07.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | Ballade No. 1 g minor op. 23 – Largo - Moderato | 00:09:27 |
2 | Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31 | 00:09:56 |
3 | Polonaise fis-Moll op. 44 – Tempo di polacca - doppio movmento, tempo di Mazurka - Tempo I | 00:10:39 |
4 | Mazurka c minor op. 30 No. 1 – Allegro non tanto | 00:01:43 |
5 | Mazurka b minor op. 30 No. 2 – Vivace | 00:01:33 |
6 | Mazurka D flat major op. 30 No. 3 – Allegro ma non troppo | 00:02:52 |
7 | Mazurka c sharp minor op. 30 No. 4 – Allegretto | 00:03:30 |
8 | Grande Valse brillante Es-Dur op. 18 | 00:05:32 |
9 | Nocturne Nr. 13 c-Moll op. 48 Nr. 1 | 00:06:04 |
10 | Nocturne Nr. 14 fis-Moll op. 48 Nr. 2 | 00:07:00 |
Xiaogang Ye | ||
11 | Namucuo op. 53 | 00:06:31 |
Qigang Chen | ||
12 | Instants d'un Opéra de Pékin | 00:10:42 |
Interpreten der Einspielung
- Xiaotang Tan (Klavier)