Hungaroton HCD 32633
1 CD • 68min • 2010
15.11.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Johann Sigismund Kusser wurde 1660 als Sohn des evangelischen Kantors in Preßburg geboren, in diesem Jahr ist also das 350. Jubiläum seiner Geburt zu feiern; sein Wirken in Deutschland und Europa war nicht so unbedeutend, wie es das Ausmaß vermuten lässt, in dem die Nachwelt diesen Komponisten vergessen hat.
Preßburg/Bratislava/Pozsony, wie die Stadt auf Deutsch, Slowakisch und Ungarisch heißt, war damals die Hauptstadt des Restkönigreichs Ungarn, dessen größter Teil unter osmanischer Herrschaft stand. 1674 zog die Familie, möglicherweise im Zusammenhang mit seit 1671 in Preßburg stattfindenden Protestantenverfolgungen, nach Stuttgart. 1676 ging Kusser für sechs Jahre nach Paris und Versailles und hatte das Glück, die Zuneigung Lullys, des allmächtigen Surintendant de la musique du roi, zu erwerben und von ihm in seinem Kompositionsstil ausgebildet zu werden. 1683 war er wieder in Deutschland, arbeitete an verschiedenen Orten (Baden-Baden und Ansbach sind belegt), bevor er 1690 als erster Kapellmeister an die Braunschweiger Hofoper ging. Von dort wechselte er 1694 an die Hamburger Oper am Gänsemarkt, 1695 war er schon wieder unterwegs. 1699 fand er eine Anstellung am herzoglichen Hof in Stuttgart, wo er 1700 Hofkapellmeister wurde; doch auch in der Heimatstadt seiner Jugendjahre hielt es den offensichtlich unsteten Komponisten nicht lange. 1705 ging er nach London, wo er für zwei Jahre als Privatlehrer und Komponist lebte. 1707 führte ihn sein Weg nach Dublin, dort siedelte er sich für die letzten zwanzig Jahre seines Lebens an: 1711 wurde er „Chappel-Master“ des dortigen Trinity College, 1716 erfolgte die Ernennung zum Musikdirektor am Hof des englischen Vizekönigs in Irland. 1727 ist er in Dublin gestorben.
Mehr noch als seine Talente als Komponist rühmte Johann Mattheson bei Kusser das Verdienst als ausübender Musiker, der in unermüdlicher Probearbeit das Niveau der Hamburger Oper beträchtlich gehoben und dem Wirken Reinhard Keisers, der nach ihm die Oper am Gänsemarkt lange Zeit prägte, bestens den Boden bereitet hat.
Die Werke dieser CD sind vor dem offiziellen Dienstantritt Kussers beim Vizekönig in Dublin entstanden; als Serenate sind sie weltliche Kantaten, fast kleine Opern, und zeugen für Kussers Talent als Musikdramatiker. Vermutlich zwischen 1707 und 1710 schrieb er seine Serenata a 4 für eine der alljährlich in Dublin abgehaltenen Gedenkveranstaltungen an König Wilhelm III. – der 1702 verstorbene Wilhelm von Oranien hatte 1690 mit der Glorious Revolution den katholischen Jakob II. aus dem Haus Stuart als König abgelöst und so die bis auf den heutigen Tag andauernde protestantische Königsherrschaft in England gesichert. 1713 entstand die Serenata Theatrale zu den Feierlichkeiten des Friedens von Utrecht, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete und die englische Königin Anna, Schwägerin und Nachfolgerin Wilhelms III., aller Sorgen um die schwierige Organisation ihrer Thronfolge enthob: England hatte in dieser europäischen Auseinandersetzung äußerst erfolgreich seine Interessen vertreten.
Beide Serenaden sind handwerklich überaus solide und routiniert gefertigte Musik auf der Höhe ihrer Zeit; sie haben es weiß Gott nicht verdient, einem ahnungslosen Publikum auf die Weise dargeboten zu werden, wie es auf dieser CD geschieht. Balázs Máté hat Sigismund Kusser bereits zwei CDs mit Instrumentalmusik gewidmet, auf denen er ein gutes Wort für den „Preßburger Orpheus“ eingelegt hat – leider hat er bei der Auswahl seiner Vokalsolisten dieser CD kein so gutes Händchen bewiesen wie bei der Zusammenstellung seines Instrumentalensembles Aura Musicale. Stimmliche Defizite und Mängel in der Tonsicherheit bestimmen hier das Bild: Wenn man Intonationssicherheit mit dem Dartspiel vergleichen will, treffen die Pfeile bei allen Solisten selten ins Schwarze, bei den Sopranistinnen treffen sie kaum einmal die Scheibe und bei József Csapó, dem Sopranfalsettisten, ahnt man kaum, in welche Richtung er sie abwirft; obendrein entwickelt er im hohen Register ein geradezu quiekendes Timbre – das ist unzumutbar! Diese CD hätte die Schranke zur Veröffentlichung nicht passieren dürfen, sie erweist dem musikalischen Ansehen eines Barockmeisters, der auf die Musik jüngerer Kollegen wie Keiser, Händel oder Telemann nicht ohne Einfluss geblieben ist, einen Bärendienst.
Der Tonmeister kann nichts für das Debakel, daher ist hier eine gute Note angebracht, die in deutlicher Distanz zur übrigen Bewertung steht.
Detmar Huchting [15.11.2010]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sigismund Kusser | ||
1 | Serenata (a 4 for a Memorial Celebration of King William III.) | 00:31:39 |
20 | Serenata Theatrale (a 5 for the Celebration of the Treaty of Utrecht) | 00:35:39 |
Interpreten der Einspielung
- Susan Hamilton (Fame - Sopran, Victory - Sopran)
- Andrea Csereklyei (Albania - Sopran, Felicity - Sopran)
- József Csapo (Apollo - Sopran)
- Éva Lax (Plenty - Mezzosopran)
- Mariam Sarkissian (Peace - Mezzosopran)
- Gábor Kállay (Discord - Tenor)
- Dominik Wörner (Neptune - Baß)
- Péter Mészáros (Mercury - Tenor)
- Aura Musicale (Ensemble)
- Balázs Máté (Dirigent)