Naxos 8.660205-06
2 CD • 2h 06min • 2005
18.08.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Bei der Vorführung dieser Aufnahme könnte man leicht ein Ratespiel unter Opernfreunden veranstalten: Wer ist der Komponist? Mit ziemlicher Sicherheit würden nach Anhören der Ouvertüre oder irgendeiner beliebigen Arie die meisten Stimmen auf Rossini fallen. Der junge Giacomo Meyerbeer hat sich hier mit wahrhaft chamäleonartiger Mimikry seinem Vorbild angeglichen, und zwar mit einer Perfektion, der man Respekt erweisen muß. Diese Gabe, sich je nach Mode dem gängigen Stil anzugleichen, wurde Meyerbeer von der Wagner-Richtung übelgenommen, doch muß dabei bedacht werden, daß dies nur die Anfangsjahre des Komponisten betraf, der sich erst in Deutschland, dann in Italien Anerkennung verschaffen wollte und erst in Frankreich zu künstlerischer Eigenständigkeit vordrang.
Der Rossini-Kopist Meyerbeer machte jedenfalls dem Original keine Schande. Man mag die Musik in abwertendem Sinn vielleicht als gute Konfektion bezeichnen, aber das würde das Ziel verfehlen: es steckt nämlich viel gültige Kunst darin. Die musikalischen Themen sind einfallsreich, sie zünden, die ganze Sache hat Schmiß und Bravour, sie ist sogar „italienischer“ als so manche bodenständige Hervorbringung dieser Epoche. Semiramide wurde 1819 in Turin aufgeführt, im Jahr danach erschien die Oper unter dem Titel Semiramide riconosciuta in Bologna. Ein richtig durchgreifender Erfolg blieb ihr versagt, nicht zuletzt deshalb, weil Rossini vier Jahre nach Meyerbeers Oper selbst mit einer Semiramide hervortrat. Allerdings verwendete er ein anderes Libretto als Meyerbeer, in dessen Werk die assyrische Königin von Anfang bis Ende als Mann verkleidet erscheint und sich nur im allerletzten Moment der Handlung als Frau und Fürstin zu erkennen gibt.
Meyerbeers Oper paßt somit vorzüglich in den Spielplan des Rossini-Festivals Bad Wildbad, wo sie im Jahr 2005 nach langer Totenstarre zum Leben erweckt wurde. Daß das rührige Wildbader Festival keine Belcantisten von „Weltformat“ aufbieten kann, wird einleuchten, trotzdem befinden sich die Gesangsleistungen auf recht respektablem Niveau. Deborah Riedel in der Titelrolle hat zwar einige Mühe, ihr schwergewichtiges Mezzo-Organ in die höheren Gesangsregionen zu stemmen, aber sie kommt mit den Schwierigkeiten der Partie schließlich doch gut zurecht. Leichteres, gefühlvolleres Singen vernimmt man von Fiona Janes (ebenfalls Mezzosopran) in der Hosenrolle des Scitalce. Filippo Adami (Ircano) ergänzt das Trio der Hauptpartien mit einem etwas schneidenden, aber sicher geführten Tenor. Unter den Sängern der Nebenpartien fällt Olga Peretyatko durch ihre liebliche Sopranstimme auf. Am Dirigentenpult wirkt Richard Bonynge, ein Künstler mit großer Erfahrung und Routine, der das Ensemble mit feuriger Energie zusammenhält. Sänger, Chor und das Württembergische Philharmonische Orchester widmen sich mit spürbarer Freude dieser kennenswerten Opern-Entdeckung.
Die Naxos-Edition enthält einen gründlichen Kommentar zum Werk und seiner Entstehung, leider kein Textbuch sondern nur eine – allerdings ausführliche – und nach den Musiknummern gegliederte Inhaltsangabe.
Clemens Höslinger [18.08.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Giaccomo Meyerbeer | ||
1 | Semiramide |
Interpreten der Einspielung
- Deborah Riedel (Semiramide - Sopran)
- Filippo Adami (Ircano - Tenor)
- Fiona Janes (Scitalce - Mezzosopran)
- Wojtek Gierlach (Mirteo - Baß)
- Olga Peretyatko (Tamiri - Sopran)
- Leonardo Silva (Sibari - Tenor)
- Marco Bellei (Cembalo)
- Rossini-Chor Altensteig (Chor)
- Philharmonisches Orchester Württemberg (Orchester)
- Richard Bonynge (Dirigent)