Talent DOM 2929 100
1 SACD • 76min • [P] 2005
26.08.2005
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Daß ich die beiden hier gekoppelten Sinfonien schon einmal gehört habe, will ich ebensowenig leugnen wie die Frage, die sich mir als erstes aufdrängte: Warum denn bloß jetzt schon wieder? Wir haben doch wahrlich Beethoven genug, von höchstem Kaliber bis hinunter zur Kreisklasse, von der philharmonischen Stromlinienform bis zu sperrig-provokaten Experimenten im „authentischen” Ton. So befiel mich denn auch ein rechtes Unbehagen beim Auspacken der CD, auf der uns, wie wir alsbald belehrt werden, ein (in der Tat) kenntnisreicher Fachmann für historische Aufführungspraxis am Ergebnis seiner Bemühungen mit einem traditionellen Orchester teilhaben läßt ...
Das hatten wir ja noch nie! Und so war es eigentlich nur eine Frage von 75 Minuten Spieldauer, bis sich auch diese Produktion in die lange Reihe der Entbehrlichkeiten würde eingliedern lassen. Dachte ich. Und schaltete ein. Danach vergingen noch genau 19 Takte der vierten Sinfonie – dann stand fest, daß ich mich in jeder Hinsicht, gründlich, durch und durch, restlos und einhundertprozentig geirrt hatte. Welch klangliche Wunder vollbrachte allein das Solofagott in diesem bewußten und dem Folge-Takt! Wie unglaublich „schön” – man vergebe mir das heute verpönte Wort, es fällt mir kein anderes ein – heben sich die Holzbläser als Chor und Solo-Ensemble aus dem gesamten Geschehen heraus, mit dem sie doch wieder zugleich auf so herrliche Weise organisch verschmelzen? Nachher dann, im Allegro, welch köstliche Dialoge zwischen Klarinette und Fagott ab Takt 141, wie massiv und wuchtig Trompeten und Hörner (hat Beethoven wirklich keine Posaunen vorgeschrieben?), die grunzenden Kontrabaßakzente am Ende der Exposition ... und immer wieder dieses göttliche Fagott, das allein schon nach diesem Satz den Ehrenpreis verdient hätte (und das Finale kommt ja noch!).
Und diese ungemein erlesene Farbenkunst ist nicht einmal Selbstzweck (was manchem Ästhetizisten ja schon genug wäre), sondern in jedem Moment und jedem Satz der beiden Sinfonien in eine straffe, architektonische Betrachtungsweise eingebunden: Die kaum einmal durch überraschende Schlußritardandi modifizierten und mit Ausnahme des Allegretto aus der Siebten durchweg zügigen Tempi, die Transparenz des Gesamtklangs, die oftmals tatsächlich wie Spielbälle zwischen Instrumenten und Instrumentalgruppen hin- und herfliegenden Motive, die dynamischen Schattierungen – all das resultiert in einem Beethoven-Ereignis, das ich mit großem Vergnügen empfehle und das mir inzwischen um so mehr ans Herz gewachsen ist, als es mir und meiner völlig anderen Erwartungshaltung förmlich um die Ohren flog.
Was sich in der vierten Symphonie als pures Vergnügen erweist, steigert sich in der Siebten zu einem musikalischen Suchtstoff, von dem man schon bald nicht mehr wird lassen können. Auch in dieser monomanischen Studie über antike Versfüße sind Herreweghe und das Flämische Orchester königlich, und das nicht etwa, weil der Dirigent seine Mannen mit Peitschengeknall zu einer tour de force anhielte, sondern weil wieder alle Parameter in einer beglückenden Harmonie zusammenkommen und bis in die wild bohrenden Jamben des Schlußsatzes von der Farbe (ich sag’s nochmal: den Fagottisten sollte man mit Lorbeer bekränzen) bis zur Spannkraft der Motivkonstellationen alle Bedingungen erfüllen, um die Höchstnote für Interpretation und Klang zu verdienen. Sollte diese Einspielung der Beginn einer wunderbaren Gesamtdarstellung sein, so wäre ein wenig mehr Einsatz beim Booklet nur angemessen – dann könnte es beim nächsten Male glatt die Tripel-Zehn geben.
Rasmus van Rijn [26.08.2005]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Symphony No. 4 B flat major op. 60 | |
2 | Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 |
Interpreten der Einspielung
- Royal Flemic Philharmonic (Orchester)
- Philippe Herreweghe (Dirigent)