Rolf Wallin (Jahrgang 1957) hat sich längst als einer der bedeutendsten lebenden Komponisten Norwegens etabliert. Nach Studien in Oslo prägten ihn später in den USA Größen wie Roger Reynolds und Vinko Globokar. Seine Musik nutzt einen ungewöhnlich breiten Erfahrungsschatz, der von flexiblen mathematischen Modellen (Chaostheorie) über Jazz- und Rockmusik bis hin zu fernöstlicher Mystik reicht. Für die drei hier vorgelegten konzertanten Werke konnten jeweils Weltklassesolisten gewonnen werden.
Liszt hat’s getan – und Randalu tut’s auch, nur ganz anders. Liszt hat Lieder von Schubert für Klavier arrangiert und sie virtuos überformt, auch, um sie noch besser bekannt zu machen. Randalu hat Schumanns Liederzyklus Dichterliebe bearbeitet, bzw. angereichert „mit klanglichen Nuancen, kreativen rhythmischen Impulsen, überraschenden Wendungen, impressionistischer Gestaltung, improvisatorischen Feinheiten und der Spontaneität und harmonischen Fülle des Jazz“ – so steht’s im zweisprachigen Booklet und so stimmt’s auch. Auf dem Cover ist der Name des Pianisten größer als der des Komponisten: Es gibt mehr Musik von Randalu als von Schumann.
Wohl nur wenige Komponisten konnten sich ihre Schaffenskraft bis ins achte Lebensjahrzehnt erhalten, ohne auf alte Muster zurückzugreifen. Viele erreichten dieses Alter gar nicht erst. Die, die es wie Heinrich Schütz, Richard Strauss und Igor Strawinsky erreichten, griffen auf bereits Bewährtes zurück. Anders Georg Philipp Telemann (1681-1767), der die literarischen Strömungen in jeder Lebensphase aufmerksam verfolgte. Als die Dichtung von Oden im erhabenen Stil durch F. G. Klopstock und Johann Andreas Cramer modern wurde, nutzte er Texte dieses antikisierenden Genres für seine späten Kompositionen und passte kompositorisch seinen Stil der zeitgenössischen Dichtung an.
Wagner paraphrasiert und arrangiert von Leopold Brauneiss und Fazil Say
Ars Produktion ARS 38 655
1 CD • 50min • 2023
07.04.2024 • 8 8 8
Unter dem Titel „Wagneriana“ finden sich im Katalog zahlreiche und sehr unterschiedliche Sammelprogramme, deren gemeinsamer Nenner darin liegt, dass die einzelnen Stücke nicht in den Originalfassungen des Meisters erklingen, sondern in Arrangements und Paraphrasen, oft auch lediglich von Wagners Werk und schillernder Persönlichkeit inspiriert sind. So ist das auch im vorliegenden Fall. Anlass war hier ein Konzert zur Feier des 150jährigen Bestehens der (seit 1977 so benannten) „Josef Matthias Hauer Musikschule“ in Wiener Neustadt, an dem ehemalige Schüler des Instituts wie der Tenor Norbert Ernst, die Pianistin Christine David und das aus drei Posaunen und einer Tuba bestehende Blechbläserquartett teilnahmen.
Musik für sechs Hörner…da kommt schnell die Idee einer Blaskapelle auf, doch damit liegt man bei der vorliegenden CD der Detmolder Hornisten völlig falsch. Es handelt sich um keine neue Aufnahme, sondern um eine der ersten aus der neuen Reihe „MDG Preziosa“, unter deren Titel das Label nun Aufnahmen herausbringen will, die für Label-Chef Werner Dabringhaus mit besonderen Erinnerungen verbunden sind und in den Jahren, in denen noch die Schallplatten stark vertreten waren, nie auf CD herausgekommen sind. Die wirklich sehr persönlichen Erinnerungen und Anekdoten von Werner Dabringhaus werden bei dieser neuen Reihe auf jeden Fall immer einen zusätzlichen Blick in das Booklet wert sein.
Zwei Monde sind auf dem Cover dieser CD zu sehen: wohlgenährt und in einer Art Blase steckend der eine, schlank und spitz der andere. Sie verkörpern zwei gänzlich unterschiedliche Charaktere: Florestan und Eusebius. Beide sind der Phantasie von Robert Schumann entsprungen, mit dem sich der Pianist Sergey Tanin besonders während der Corona-Pandemie intensiv auseinandergesetzt hat. Die vorliegende Einspielung, auf der die Davidsbündlertänze, der Faschingsschwank aus Wien, die Arabeske op. 18 und die Toccata zu hören sind, ist somit zumindest indirekt eine Frucht dieser wirren Zeit. Wirr war sicherlich auch der ein oder andere Gedanke Schumanns, doch hat das in keiner Weise auf das Spiel Tanins abgefärbt.
Die Neuaufnahme der Johannespassion Bachs beim Label Rondeau Production greift auf die erste Fassung von 1724 zurück, die in der aktuellen Auflage des Bach-Werke-Verzeichnisses unter BWV 245.1 geführt wird. Thomaskantor Andreas Reize legt dabei großen Wert darauf, sich an der traditionellen Aufführungspraxis zu orientieren. Und dies liegt besonders nah, wenn man an den Ort der Einspielung, die Thomaskirche in Leipzig, und an den Einsatz des legendären Thomanerchores wie an die Mitwirkung der auf historischen Instrumenten spielenden Akademie für Alte Musik denkt.
Diese CD ist nicht nur etwas für Musikenthusiasten, sondern auch für Hifi-Afficionados. Es gibt sie nämlich gleich doppelt: einmal als „normale“, nur geringfügig lauter ausgesteuerte Stereo-CD, aber auch als Audio Blu-ray, die von Dolby Atmos bis zu 7.1.4 Auro-3D verschiedene Audio-Formate vereint. Der Hörvergleich ist in der Tat beeindruckend: bei der Blu-ray hat man den Eindruck, man säße direkt im Konzertsaal, der Klang ist in feinste Nuancen aufgefächert, durchhörbar und ebenso klar wie natürlich. Aber auch, wenn man „nur“ die Stereo-CD hört, bleibt das klangliche Erlebnis erstklassig. Das liegt an der exzellenten Aufnahme, in erster Linie aber natürlich am Onyx Klavierduo, das hier sein Debüt vorlegt und dafür mit einer ebenso feinnervigen wie sensiblen Anschlagskultur Werke von Barber, Smit, Ravel und Mozart eingespielt hat.
Wenn ein Sänger eine CD mit Arien füllt, macht er sich wahrscheinlich Gedanken, ob diese auch thematisch zusammenpassen: Er wird sie vielleicht chronologisch anordnen oder dramaturgisch nach Temperament, entweder abwechselnd heldische und lyrische oder temperamentmäßig aufbauend bis zum fulminanten Schluss. Der Countertenor Oscar Verhaar macht es anders. Er stellt die Arien aus Händels Oratorien, die er singt, unter ein gemeinsames Thema, nämlich die Freiheit, und „Freedom“ ist auch der Titel dieser CD.
„Bratislava, bis 1919 slowakisch Prešporok, deutsch Pressburg (bis 1996 Preßburg), ungarisch Pozsony … war im Laufe seiner Geschichte eines der wichtigsten wirtschaftlichen und administrativen Zentren Großmährens, des Königreichs Ungarn (auch im Rahmen der österreichischen Monarchie beziehungsweise Österreich-Ungarns) und der Tschechoslowakei. Die Stadt war von 1536 bis 1783 und 1848 Hauptstadt des Königreichs Ungarn.“ So informiert Wikipedia über die Hauptstadt der Slowakischen Republik. Pressburg war die Geburtsstadt von Sigismund Kusser (1660-1727), der dort als Sohn des evangelischen Kantors Johann Kusser geboren wurde. Mit 14 Jahren verzog er mit seinen Eltern nach Stuttgart.
Im vergangenen Jahr wäre der polnische Dirigent und Komponist Stanisław Skrowaczewski 100 Jahre alt geworden, und aus diesem Anlass hat MDG seine Aufnahme der drei Suiten aus Sergej Prokofjews Ballett Romeo und Julia mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester (wie es zum Zeitpunkt der Einspielungen noch hieß) neu herausgebracht. Dabei handelt es sich um Aufnahmen aus den Jahren 1994/95, die ursprünglich beim Label Denon erschienen sind, das aber nunmehr nur noch auf dem asiatischen Markt aktiv ist und für den weltweiten Vertrieb ausgewählter Alben eine Kooperation mit MDG eingegangen ist.
Violeta Dinescu | Doina Rotaru | Carmen Maria Cârneci
gutingi 264
1 CD • 71min • [P] 2024
30.03.2024 • 10 9 9
So wie der Mensch Werkzeuge für sein Tun erfand, hat er auch Instrumente geschaffen, um sich auszudrücken – möglicherweise als Fortsetzung seiner eigenen Stimme. Ganz nahe heran an solche Ursprüngen kommt die interessante Palette von Klangforschungen für hohe und tiefe Flöten, wie sie der rumänische Musiker Ion Bogdan Ștefănescu betreibt. Phasenweise wird er auf dieser neuen Aufnahme für das gutingi-Label durch die Flötistin Carla Stoleru unterstützt. Grundlage liefern neue Kompositionen von Violeta Dinescu, der Initiatorin des Projekts.
Er steht in den Startlöchern als der neue Wagner-Tenor. Noch ordnet man den vielseitigen Daniel Behle, der auch als Komponist hervorgetreten ist, dem lyrischen Fach zu und Richard Wagner spielte in seinem Repertoire bislang nur eine marginale Rolle. In bester Erinnerung ist immer noch sein David in Barry Koskys Bayreuther Festspielinszenierung der Meistersinger von Nürnberg, in Stuttgart hat er bereits Lohengrin gesungen, aber jetzt macht er ernst und zeigt, was in Zukunft im jugendlich-dramatischen, gar heldischen Fach von ihm noch zu erwarten ist.
Noch zu k. u. k. Zeiten in Karlsbad geboren, teilt Walter Kaufmann (1907-1984) seinen komplizierten Lebensweg mit vielen deutschsprachigen Juden, die der intellektuellen Prager Kulturszene zuzurechnen wären. Zunächst studierte Kaufmann dort Komposition, später in Berlin bei Franz Schreker und Musikwissenschaft bei Curt Sachs, der früh sein Interesse an indischer Musik weckte. Er assistierte als Dirigent Bruno Walter und feierte schnell Erfolge mit eigenen Werken. 1927 ging er als Doktorand nach Prag, fand dort Anschluss an den Freundeskreis um Franz Kafka, heiratete später in erster Ehe sogar dessen Nichte Gerty. Mit dem Entschluss, 1934 vor den Nazis zu fliehen, bot sich sofort Indien an. In Bombay wirkte er beim All India Radio und erforschte intensiv die indigene Musik des Subkontinents. Neben zahlreichen Kompositionen klassischer Gattungen schrieb er auch Filmmusiken für das gerade im Entstehen begriffene „Bollywood“.
Der Neue Kammerchor Berlin unter Adrian Emans, Preisträger verschiedener Chorwettbewerbe, gibt seine Visitenkarte mit einem vorwiegend angelsächsisch geprägten Debüt-Album ab. Es leidet unter der Crux vieler Debütproduktionen, zu viele unterschiedliche Stilbereiche mit demselben Interpretationsansatz abdecken zu wollen. So wirken Josef G. Rheinberger, Max Bruch und Der Mai ist gekommen in dieser stilistisch von britischer Neo-Romantik geprägten Umgebung doch etwas deplatziert. Dies macht die Aufnahme aber durchaus wegen der Werke von Daniel Elder, Paul Stanhope und anderer zeitgenössischer Komponisten für Chorleiter interessant.
Das Cover dieser Einspielung des Pianisten Mario Häring ist ein echter Hingucker: ein grellbuntes Gesicht vor dunkelblauem Hintergrund, überwuchert von irisierenden Blumenmustern und einem markenten Schriftzug: Extase. Genau darum geht es auf dieser CD, die einen Spiegel dessen bieten, was sich Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts darunter vorgestellt haben. Doch kommt es bei einer CD ja zum Glück immer noch auf den Inhalt und weniger auf das äußere Erscheinungsbild an. Da sind zum einen die üblichen Verdächtigen, die vielen Pianisten zu diesem Thema einfallen würden: Franz Liszt, vertreten mit dem Mephisto-Walzer Nr. 1, Richard Wagner (Isoldes Liebestod) oder Claude Debussy (L’Isle joyeuse). Und natürlich Alexander Skriabin, der aber nicht mit seinem für Orchester konzipierten Poème de L’Extase vertreten ist (woher vermutlich aber trotzdem die im Deutschen laut Duden falsche Schreibweise mit „x“ übernommen wurde), sondern mit seiner nicht weniger ekstatischen Klaviersonate Nr. 5.
James D. Hicks ist auf seiner Reise durch die nordische Orgelmusik des 19. – 21. Jahrhunderts bereits bei der 15. Folge angekommen und www.klassik heute.de bekommt erstmalig die Gelegenheit auf diese hochinteressante Serie hinzuweisen. Nachdem er zuvor Skandinavien von Island im Westen bis Finnland im Osten durchquert hat, macht er nun im Baltikum Station und präsentiert teilweise nur im Manuskript vorliegende Werke estnischer, litauischer und lettischer Komponisten, bei denen es sich zumeist um Ersteinspielungen handeln dürfte. Beraten wurde er bei der Auswahl durch den Organisten der Universität Vilnius, Vidas Pinkevicius, dessen Website zur Orgelpädagogik einen Besuch lohnt und der mit seiner Suite nach litauischen Volksliedern auch als Komponist auf der CD vertreten ist.
Stanislaw Skrowaczewski, 1923 in Lemberg, dem heutigen Lwiw, geboren, hat wenige Monate vor seinem Tod im Alter von 92 Jahren Bruckners Achte in Tokio dirigiert und damit eine Art Vermächtnis geschaffen. Der international tätige Maestro war von 2007 bis 2009 ständiger Leiter des Yomiuri Nippon Orchestra in Japan und wurde dort 2010 zum Ehrendirigenten ernannt. Die Einspielung der Sinfonie Nr. 8 von Anton Bruckner zeigt noch einmal seine künstlerische Bedeutung auf, wenn er fast eineinhalb Stunden lang ein Großwerk unter Spannung setzt. Der nach dem Verklingen der C-Dur-Apotheose des Finales und nach einer andächtigen Stille der Besinnung im Tokyo Metropolitan Theatre aufbrandende stürmische Applaus bestätigt die Bedeutung dieser Live-Aufnahme.
Welch tollkühnes Unterfangen den kompletten Kantaten-Jahrgang für das Kirchenjahr 1714/15 mit 72 Einzelwerken von Georg Philipp Telemann aufzunehmen! Mittlerweile haben Felix Koch, die Gutenberg Soloists und sein hervorragender Neumeyer Consort mit Vol. 3 das erste gute Drittel geschafft und zusätzlich Orgelbearbeitungen von Choralmelodien zu kleinen Choralkantaten arrangiert. Auch dies ist durchaus hörenswert und könnte Anregung für kleine Gemeinden ohne die Möglichkeit, die großbesetzten Kantaten aufzuführen, bieten.
Musik für Trompete und Orgel ruft den schmetternden Sound von Maurice André in Erinnerung, zu dessen Weltberühmtheit im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt solche Programme beitrugen; ich erinnere mich lieber noch an Adolf Scherbaum, dessen Aufnahmen mit ihrer harmonischen Vereinigung von Klangschönheit und musikalischer Prächtigkeit meinen musikalischen Horizont in den 1960er Jahren wesentlich geprägt haben. Mit dem Aufkommen der historisch informierten Aufführungspraxis wandten sich interessierte Trompeter wieder der Naturtrompete zu – einem Instrument, dessen Beherrschung Musiker mit großen Herausforderungen konfrontiert.
L'Intégrale de Clavecin, vol.1, 1er Livre, Ordres I et III
CMY Baroque CMY 6006
1 CD • 81min • 2023
24.03.2024 • 10 10 8
Der spanische Barock-Spezialist Yago Mahúgo hat sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Werke für Cembalo von François Couperin (1668 – 1733) neu einzuspielen. Die rund 240 Pièces de Clavecin wurden, 1713 beginnend, in vier Büchern (Livres) herausgegeben, die wiederum in „Ordres“ gegliedert sind. Diese Ordres sind mit Suiten verwandt, umfassen allerdings mehr Stücke als die üblichen Tanzfolgen. Denn Couperins Anliegen war es, neben Couranten, Sarabanden und Giguen auch Charakterstücke und Portraits zu erfinden. Es ging ihm dabei um eine ganz spezielle, ausgeklügelte Kunst des Cemabalospiels, wie er sie in seinem Schulwerk „L’Art de toucher le Clavecin“ beschrieben hat.
Bruckner • Schwarz-Schilling • Mendelssohn Bartholdy Symphonia Momentum • Christoph Schlüren
Aldilà Records ARCD 017
1 CD • 80min • 2021
23.03.2024 • 10 10 10
Es ist mittlerweile fast 15 Jahre her, dass der Dirigent Christoph Schlüren die Symphonia Momentum gründete, ein (knapp) 20-köpfiges Streichorchester, und als diskographisches Ergebnis der damaligen Konzerte liegt eine eindrucksvolle, bei Aldilà Records erschienene CD rund um eine Streichorchesterfassung von Reinhard Schwarz-Schillings großartigem Streichquartett vor. Gut zehn Jahre später kam das Orchester (in veränderter Besetzung) Ende August 2021 im fränkischen Lehrberg erneut zusammen, und auch dieses Programm ist nun bei Aldilà Records veröffentlicht worden. Der Titel „Quintessence“ gestaltet sich dabei als ein Fingerzeig auf eine Besonderheit der Besetzung, deren Fünfstimmigkeit sich aus zwei Bratschenstimmen ergibt.
Vor hundert Jahren, am 17. Februar 1924, ist Oskar Merikanto gestorben, der populärste Komponist, den Finnland hervorgebracht hat, der aber im Konzertrepertoire des Auslands eine Randfigur geblieben ist. Ihn aus Anlass des Jahrestages auch bei uns mehr bekannt zu machen, ist per se ein verdienstvolles Unterfangen. Schon ein Blick auf das Cover lässt allerdings den Verdacht aufkommen, dass es um den Komponisten, dessen Name ganz klein gedruckt ist, während der des Sängers in großen farbigen Lettern prangt, erst in zweiter Linie geht. Und auch im Booklet sucht man einen Aufsatz über Leben, Werk und stilistische Eigenart Merikantos vergeblich. Der Bariton Waltteri Torikka, der bei seinen Konzerten in Finnland wie ein Popstar gefeiert wird (wovon man sich bei mehreren Posts auf youtube überzeugen kann), ist das, was man in der „Szene“ als einen „Barihunk“ bezeichnet: ein sexy Mann mit einer sexy Stimme. Das setzt den künstlerischen Wert seiner Auseinandersetzung mit Merikantos Liedern allerdings nicht herab.
Arrangements for piano four hands Piano Duo Trenkner-Speidel
MDG 102 2294-2
4 CD • 4h 13min • 1995, 2000
22.03.2024 • 8 9 9
Muss das sein? Die Frage werden sich manche stellen, die Bachs Orchester- und Orgelwerke in vierhändiger Fassung zu hören bekommen. Als Max Reger von 1905 ab mit solchen Transkriptionen begann, lag das Bearbeiten von Orchester- und Kammermusik im Trend. Es ging weniger darum, die Stücke vors Konzertpublikum zu bringen, als sie dem häuslichen Musizieren zu erschließen und dem genaueren Kennenlernen zu öffnen. Das bedeutet natürlich einen Verlust des Parameters der Klangfarbe, und genau das ist es, was die vierhändige Einspielung der sechs Brandenburgischen Konzerte problematisch macht.
Am 1. April 2024 jährt sich zum 100. Male der Geburtstag von Georges Barboteu, dem wohl berühmtesten französischen Hornisten des 20. Jahrhunderts. Hervé Joulain, einst Schüler Barboteus, dann sein Nachfolger am Pariser Konservatorium, hat seinem Lehrmeister anlässlich dieses Jubiläums in Form des Albums „Jeux“ eine liebevolle Hommage zuteil werden lassen: Gemeinsam mit der Pianistin Tatiana Chernichka und dem Leopold Mozart Quartett stellt Joulain einen Querschnitt aus Barboteus kompositorischem Werk vor.
Astor Piazzolla holte die anrüchige Folklore aus den Hafenkneipen und Bordellen von Buenos Aires in den Konzertsaal. In geistreichen Arrangements offenbart der Cellist Dai Miyata die Kraft und Leidenschaft von Piazzollas „Tango nuevo“. Dai Miyata ist weltweit als Solist erfolgreich, seit er 2009 als erster Japaner den Großen Preis beim angesehenen Rostropowitsch-Cello-Wettbewerb in Paris gewann.
Piano Works by Johann Sebastian Bach, Johannes Brahms and Robert Schumann
Genuin GEN 24852
1 CD • 75min • 2023
21.03.2024 • 9 10 9
Der Pianist Andrey Denisenko ist 1992 in Rostow am Don geboren und lebt seit 2017 in Hamburg. Er hat einige Preise bei Klavierwettbewerben eingeheimst und legt nun hier seine Debüt-Aufnahme vor. „Per aspera ad astra“ hat er sie in jugendlicher Nachdenklichkeit genannt. Er hat Musik von Brahms und Schumann ausgewählt – wohl aus emotionaler Nähe zu dieser Musik, wie er selber im Booklet schreibt. Als tiefsinnender und nachdenklicher Pianist präsentiert er sich hier als jemand, der den Stimmungen in den langsameren Sätzen nachlauscht und sich tief darin versenkt.
Mozarts Hornkonzerte sind zu großen Teilen der Freundschaft des Komponisten mit dem Salzburger Hornisten Joseph Ignaz Leutgeb zu verdanken. Wie eng die Beziehung der beiden war, geht auch aus den scherzhaften Glossen hervor, die der Komponist im Manuskript zum unvollendeten D-Dur-Konzert KV 412 angebracht hat. Die originellen Bemerkungen zum „Herrn Esel“ und „Sauschwanz“ sind denn auch im Booklet der Neueinspielung gleich dreisprachig abgedruckt.
Das 2020 gegründete Ensemble Musica getutscht, – über den putzigen Namen später – bestehend aus Bernhard Reichel (Theorbe und Leitung), Mechthild Karkow (Barockvioline), Claudius Kamp (Blockflöte und Dulzian) und Julius Lorscheider (Claviere) hat sich für sein CD-Debüt mit der Sopranistin Pia Davila, die bereits interessante Liedaufnahmen eingespielt hat, zusammengetan, um Kompositionen des italienischen Frühbarock zu präsentieren. Dabei kreisen die Vokalwerke um La Madonna und La Maddalena. Diese werden in Instrumentalwerke von Salamone Rossi und Girolamo Frescobaldi eingebettet.
Es ist die immerwährende Wiederholung des Ewiggleichen und doch ist es immer wieder anders. Die sogenannte Minimal Music ist auf der einen Seite vielleicht manchmal redundant, auf der anderen Seite aber ungeheuer faszinierend, denn immer gleich klingt das Gleiche dann eben doch nicht. Dafür sorgt zum einen der Komponist, in diesem Fall John Adams, der einer der Exponenten der Minimal Musik ist, diese aber so raffiniert und variantenreich einsetzt, dass Langeweile garantiert nicht aufkommt – zumal, wenn mit dem Stuttgarter Kammerorchester ein Klangkörper am Werk ist, der die Nuancen dieser Musik so feinsinnig und raffiniert umsetzt.
Seit einigen Jahren präsentiert das Detmolder Label MDG durchaus verstärkt auch Komponisten (und zugehörige Ensembles) aus der Region, so etwa Jörg-Peter Mittmann (Minden / Detmold) und sein Ensemble Horizonte oder Fabian Hauser (Bielefeld) mit dem Trio Tastenwind, und in der Tat ist es ausgesprochen erfreulich, auf diese Weise einen Einblick in die aktuelle Musiklandschaft Ostwestfalen-Lippes zu erhalten. In diese kleine Reihe fällt auch die vorliegende Neuerscheinung, die den in Bielefeld wirkenden Komponisten, Organisten und Dirigenten Bernd Wilden (Jg. 1966) vorstellt, zusammen u.a. mit dem Evangelischen Stadtkantorat Bielefeld.
Der 1950 geborene Menachem Wiesenberg gehört zu den angesehensten israelischen Komponisten der Gegenwart. Auch als Jazz-Pianist international erfolgreich, hat Wiesenberg während seiner langjährigen Tätigkeit als Dozent an der Jerusalemer Akademie für Musik und Tanz eine Abteilung für interdisziplinäres Musizieren ins Leben gerufen und sich intensiv mit jüdischer Volksmusik in ihren verschiedenen Ausprägungen beschäftigt. Davon legt auch das vorliegende, mit etwa 40 Minuten ziemlich kurz geratene Album der in Baden bei Wien beheimateten Beethoven Philharmonie Zeugnis ab, das zwei konzertante Werke Wiesenbergs vorstellt.
Das Oratorium Der sterbende Jesus des böhmischen Komponisten Antonio Rosetti (1750-1792) war im ausgehenden 18. Jahrhundert äußerst beliebt wegen seiner betrachtenden Empfindsamkeit. Heute nicht mehr – was diese Aufnahme vielleicht ändern könnte. Und Günther Grünsteudel, dem Verfasser des ebenso kenntnisreichen wie einfühlsamen Booklet-Textes, ist durchaus zuzustimmen, wenn er dies Oratorium rühmt: „Dank seines melodischen Erfindungsreichtums, differenzierter Harmonik, eines wachen Sinns für musikalische Proportionen und eines virtuosen Umgangs mit den Orchesterfarben gelingt Rosetti eine geniale (weil überhöhende) Umsetzung des hochemotionalen Textbuches“ – von Karl Friedrich Bernhard Zinkernagel, ist dazuzufügen. Der Text erzählt weniger dramatisch das Geschehen, mehr reflektiert und empfindet er.
Im Bach-Werke-Verzeichnis wird als Nummer 247 eine Markuspassion gelistet, doch bekanntlich ist hiervon nur die Textvorlage aus der Feder von Christian Friedrich Henrici, der sich Picander nannte und auch das Libretto der Johannespassion schuf, überliefert (in zwei leicht verschiedenen Fassungen aus den Jahre 1731 und 1744). Es versteht sich fast von selbst, dass diese Situation über Jahrzehnte hinweg die Fantasie vieler Musiker und Komponisten beflügelt hat. Ausgehend von der Hypothese, dass es sich bei diesem Werk um eine Parodie (also eine Adaption anderer Werke Bachs) handelte, gibt es mindestens zehn Versuche, dieses Werk zu „rekonstruieren“, und mindestens vier Komponisten haben das Libretto zudem als Basis für eigene Werke genutzt.
„Miracle Brothers“ – so ist die CD der Österreichisch-Ungarischen Haydn Philharmonie unter der Leitung von Enrico Onofri untertitelt. Die Rede ist von Joseph und Michael Haydn, die doch eine sehr unterschiedliche Karriere machten und deren Musik heute auch keinesfalls gleichermaßen verbreitet ist. Der musikalische Weg der beiden Brüder verlief zunächst noch recht ähnlich: Beide erhielten ihre erste Ausbildung in Hainburg und gingen später nach Wien, wo sie zunächst Chorknaben an St. Stephan wurden und ihre musikalische Ausbildung erhielten. Trotz des Altersunterschieds von fünf Jahren verbrachten sie einige Jahre gemeinsam im Wiener Kapellhaus, bevor sich ihre beruflichen Wege trennten und in sehr unterschiedlichen Richtungen verliefen: Joseph Haydn machte Karriere in Esterháza und unternahm von dort aus sehr erfolgreiche Reisen innerhalb Europas. Sein jüngerer Bruder Michael hingegen ging nach Salzburg an die Hofkapelle, wo er sich einen ausgezeichneten Ruf erarbeitete, der sich aber weitestgehend auf Salzburg beschränkte.
Der Cellist Friedrich Kleinhapl hat sich intensiv mit dem Tango auseinandergesetzt und mit der Bohuslav Martinu Philharmonie unter Leitung von Robert Kruzik einen Kooperationspartner gefunden, der dem "ewigen" Tango von Piazzolla etwas Eigenständiges und Neues, vor allem aber eine sinfonische Dimension verleiht. Kleinhapls Spiel zeigt auf dieser Aufnahme mit dem Titel „Gran Pasión Tango“ von Anfang an, dass er ein leidenschaftlicher und klangmächtiger Spieler ist, bei dem eine kraftvolle Spieltechnik im Dienst eines aufrichtigen Ausdrucks steht. Da schien es fast vorprogrammiert, dass er sich auf das Sujet des Tangos stürzen musste.
Mit den drei Streichtrios, die Ludwig van Beethoven zwischen 1796 und 1798 in Wien komponierte, hat sich das französische Trio Goldberg eine besonders anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Denn mit diesen Werken machte der Komponist den gelungenen Versuch, die Form der viersätzigen Symphonie, wie er sie von seinem sporadischen Lehrer Haydn kannte, auf die subtile Besetzung des Streichtrios zu übertragen. Dies bedeutete, dass das Gewicht der Stücke im Vergleich zu den mehr unterhaltsamen Trios op. 3 und 8 enorm angewachsen war. Die Geigerin Liza Kerob, der Bratschist Federico Hood und der Cellist Thierry Amadi, die sich beim Monte-Carlo Philharmonic Orchestra zusammengefunden haben, sind sich offenbar dieses Anspruchs voll bewusst, wie ihre hoch engagierte Interpretation beweist.
Harfenisten arrangieren sich ihr Repertoire meist selber, sagt Markus Folker Thalheimer, der Instrumentalist dieser CD. So sind von den acht Werken dieser Aufnahme nur zwei Originalkompositionen für Harfe. „Durezza e Ligatura“ hat Thalheimer seine CD betitelt, also Härte und Verbindung. Verbindung schafft er durch die Zusammen- oder Gegenüberstellung von Werken aus der Renaissance und der moderneren Zeit aus drei verschiedenen Ländern. Das hat seinen Reiz: Die Zusammenstellung ist richtig durchkomponiert, man sollte die CD auch in dieser Reihenfolge anhören.
Morton Feldman (1926-1987) wird oft fälschlicherweise zu den Komponisten der amerikanischen Minimal Music gezählt; prägend waren dort vor allem Steve Reich, Philip Glass, Terry Riley und La Monte Young. Feldman gehört jedoch mit John Cage, Christian Wolff und Earle Brown vielmehr zur sogenannten New York School, die sich von der gleichnamigen Gruppe bildender Künstler (Jackson Pollock, Philip Guston, Mark Rothko…) und Dichter, also Vertretern des abstrakten Expressionismus, inspirieren ließ. Auch wenn insbesondere Feldman gerade in seinem Spätwerk ab Mitte der 1970er Jahre mit sehr sparsam gesetzter, extrem langsamer, leiser und vor allem langer Musik auffällt – das 2. Streichquartett dauert etwa über 5 Stunden –, unterscheidet er sich doch grundlegend von obigen klassischen „Minimalisten“.
Die Gitarristen Simon Wildau und Mikkel Egelund, die seit über 15 Jahren als das dänische Aros Guitar Duo zusammen auftreten, haben für ihr neues Album „In Time“ Kompositionsaufträge an sechs Komponisten vergeben. Die Aufgabe bestand darin, Duos zu kreieren, die auf die aus der Zeit um 1500 stammende Ode In vernalis temporis, ein Frühlingslied, zurückgehen. Die Melodie, die täglich vom Glockenturm des Rathauses in Aarhus erklingt, bildet also eine Art Thema, und es wäre deshalb hilfreich gewesen, die Noten im Booklet abzudrucken.
Anton Bruckner hat, bevor er seine Symphonien zur Uraufführung brachte, diese für zwei Klaviere bearbeitet, um sie vorweg besser bekannt zu machen. Schüler von ihm spielten sie vor Publikum, so auch die 7. Symphonie, und dies anscheinend so gut, dass Arthur Nikisch ganz begeistert war und sie unbedingt uraufführen wollte. Zum Bruckner-Jahr 2024 erinnern Julius Zeman und Shun Oi mit dieser CD daran. Sie spielen auf Bösendorfer-Flügeln, die auch Bruckner bevorzugt hatte. Steinways hätten vielleicht mehr stählerne Kraft, die hier verwendeten Bösendorfer-Flügel aber haben wärmere Wucht.
Die Musik der finnischen Komponistin Outi Tarkiainen, 1985 geboren und Schülerin u.a. von Eero Hämeenniemi, wird seit einiger Zeit auch international verstärkt wahrgenommen (eines der hier versammelten Werke wurde z.B. im Rahmen der Proms uraufgeführt). Ondine hat ihr bereits eine CD mit Orchesterwerken gewidmet, die auf dem neuen Album durch eine Auswahl von Werken der letzten fünf Jahre ergänzt wird. Vorgestellt werden drei gut zehnminütige Orchesterstücke sowie ihr Milky Ways betiteltes Englischhornkonzert; der britische Dirigent Nicholas Collon leitet das Finnische Rundfunk-Sinfonieorchester.
Complete Duos for Harp and Piano Volume Two Duo Praxedis
Toccata Classics TOCC 0566
1 CD • 76min • 2022
12.03.2024 • 9 9 9
Es gibt in der Kammermusik unzählige Instrumenten-Kombinationen, eine der seltener verwendeten, aber durchaus aparten ist die von Harfe und Klavier. Noch aparter ist der Name des hier spielenden Duos: Das Duo Praxedis benennt sich nach dem gemeinsamen Vornamen der Musikerinnen, die auch noch Mutter und Tochter sind: Praxedis Hug-Rütti, die Mutter, spielt Harfe, Praxedis Geneviève Hug, die Tochter, spielt Klavier. Beide spielen Werke des walisischen Harfenisten John Thomas (1826-1913), der schon mit 13 Jahren an der Royal Academy of Music in London studierte, später mit einem Opernorchester auf große Europa-Tournee ging und 1872 offizieller Harfenist der Queen Victoria und dann auch ihres Sohnes Edward VII. wurde.
Steffen Schleiermacher beschäftigt sich seit gut 40 Jahren mit Klaviermusik diverser „Avantgarden“ – bzw. solcher Strömungen, die sich in ihrer Zeit jeweils dafür hielten – rund um den Globus. Besondere Verdienste erwarb er sich mit Musik der New York School, vor allem einer Gesamtaufnahme des Klavierwerks von John Cage. Nun präsentiert er eine äußerst kluge Auswahl an 28 kurzen Klavierstücken der französischen Groupe des Six, alle zwischen 1914 und 1926 entstanden, umrahmt von zwei Werken Erik Saties, der anfänglich als Mentor der sechs Komponisten galt.