Mediaphon MED 72.184
1 CD • 78min • 2003
28.06.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
1975 sollte der hochbegabte Student Yuri Rozum nach Brüssel reisen, um dort am Klavierwettbewerb Reine Elisabeth teilzunehmen. Drei Jahre zuvor hatte der Gilels-Schüler Valery Afanassiev gewonnen – in bester russischer Tradition, wenn man an einen zuvor erfolgreichen Landsmann wie Mogilewski denkt. Rozum jedoch wurde die Ausreise verweigert – und auch seine innersowjetrussische Karriere wurde in den nächsten, langen Jahren behindert. Sein Denken, seine Lebensanschauung lieferten den führenden Organisationen genügend Argumente, den Künstler an der kurzen ideologischen Leine zu halten. An Reisen in das westliche Ausland war unter diesen Umständen nicht zu denken. Der in seinem Land bereits populäre Musiker konnte somit erst später – genauer gesagt: 27jährig! – mit Wettbewerbserfolgen etwa in Spanien, Japan und Kanada im Westen auf sich aufmerksam machen. Mitte der 90er Jahre verlieh ihm der Oberste Sowjet den Titel „Anerkannter Künstler Russlands“. Inzwischen wurde Rozum von Putin mit dem offiziellen Titel „Verdienter Künstler Russlands“ ausgezeichnet, wobei in Kenntnis der Situation (und im Wissen um Putins musikalisches Desinteresse) gewisse ästhetische und kunstsoziale Bauchschmerzen nicht zu unterdrücken sind. Solche Auszeichnungen schmecken genau nach jenen Verordnungsexzessen unter denen der Geehrte noch kurz zuvor gelitten hatte.
Wenn man Rozum nun als Musiker via Tonträger begegnet, dann beeindruckt ein ungemein kraftvolles, ja stählernes Klavierspiel in Verwandtschaft etwa zum jungen Krainew. Es erzählt in den Balladen von Chopin, in den bald herben, bald saccharinhaltigen Kleinigkeiten von Scriabin, im fesselnd bewusst gestalteten und gesteigerten g-Moll-Prélude von Rachmaninoff und in der abschließenden, von Rozum nachbehandelten Nussknacker-Bearbeitung Pletnevs von einem immer klärend agierenden, auch ungemütlich akzentuierenden Interpreten, der es sich und seinem Publikum nicht leicht macht. Rozum lebt und protegiert ein Klavierspiel der nachdenklichen, im furioso beherrschten Ungefälligkeit, basierend wohl auf schmerzlichen Erfahrungen und einer Lebenseinstellung, die sich an übergeordneten, idealistischen Werten orientiert und nicht an den Kriterien leichten, kurzlebigen Erfolges.
Es handelt sich bei diesen Aufnahmen um einen zuverlässig vom SWR in Freiburg produzierten Konzertmitschnitt vom April 2003. Zur Hüllen- und Beiheftgestaltung erlaube ich mir mahnend anzumerken: die Titelangaben sollte man bei kommenden Editionen etwas leserlicher drucken. Nicht alles, was graphisch verlockend erscheint, kommt den Ansprüchen des Endverbrauchers entgegen.
Peter Cossé † [28.06.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | Etüde C-Dur op. 10 Nr. 1 | |
2 | Etüde c-Moll op. 10 Nr. 12 | |
3 | Ballade Nr. 1 g-Moll op. 23 – Largo - Moderato | |
4 | Ballade Nr. 2 F-Dur op. 38 | |
5 | Ballade Nr. 3 As-Dur op. 47 | |
6 | Barcarolle Fis-Dur op. 60 | |
Alexander Scriabin | ||
7 | Prélude D-Dur op. 11 Nr. 5 – Andante cantabile | |
8 | Prélude fis-Moll op. 11 Nr. 8 | |
9 | Zwei Stücke für die linke Hand op. 9 | |
10 | Prélude c-Moll op. 11 Nr. 20 – Appassionato | |
11 | Prélude As-Dur op. 11 Nr. 17 | |
12 | Prélude es-Moll op. 16 Nr. 4 | |
13 | Prélude es-Moll op. 11 Nr. 14 | |
14 | Etude-Tableaux Es-Dur op. 33 Nr. 7 | |
15 | Etude-Tableaux es-Moll op. 39 Nr. 5 | |
16 | Prélude Es-Dur | |
17 | Prélude B-Dur | |
Frédéric Chopin | ||
18 | Etüde As-Dur op. 25 Nr. 1 | |
19 | Valse e-Moll op. posth. KKIVa Nr. 15 | |
Sergej Rachmaninow | ||
20 | Prelude g-Moll op. 23 Nr. 5 – Alla marcia | |
Peter Tschaikowsky | ||
21 | Pas de deux: Intrada (Bearb. für Klavier) |
Interpreten der Einspielung
- Yuri Rozum (Klavier)