Klaviermarathon im Konzerthaus Dortmund
Ein Zuhörer bleibt von Anfang bis Ende

1 Notenblatt, 840 Wiederholungen: Dieser Herausforderung der Satie-Komposition Vexations hat sich Pianist Roman Borisov am vergangenen Samstag zum 100. Todestag des Komponisten gestellt. Tausende Menschen verfolgten den Livestream aus dem Konzerthaus Dortmund, 1700 nahmen den ganzen Tag über im Konzertsaal Platz – einige für wenige Minuten, andere länger. Unter ihnen: Andreas Bölker. Der Dortmunder war von Anfang an dabei – und blieb. Von Anfang bis Ende. Fast 15 Stunden lang, von 8.30 bis 23.17 Uhr.
Besondere Faszination
Über das Saisonbuch hatte Andreas Bölker von dem besonderen Konzertereignis erfahren und entschieden, einfach mal ins Konzerthaus zu gehen und dabei zu sein. Dass er als einziger Zuhörer gemeinsam mit dem Pianisten die gesamte Zeit im Konzertsaal verbringen würde – damit hatte er selbst nicht gerechnet. „So etwas kann man ja nicht planen,“ sagt der 59-Jährige, der selbst kein Instrument spielt. Als Wirtschaftsprüfer habe er eher mit Zahlen zu tun, so Andreas Bölker mit einem Schmunzeln. „Vielleicht fasziniert mich Musik darum besonders.“
Extreme Leistung des Pianisten
Das stundenlange Konzert habe ihm jedenfalls „Freude gemacht.“ Eine „Quälerei“ – wie der Titel des Werks in der deutschen Übersetzung nahelegen mag – sei es für ihn nicht gewesen. „Und auch nicht so anstrengend, wie ich es mir vorgestellt hätte“, sagte Andreas Bölker am Ende des Klaviermarathons. Dieses Erlebnis in Worte zu fassen, fällt ihm schwer. „Unglaublich“ sei es gewesen. „Ich bin begeistert von der Leistung des Pianisten“, erklärte er beeindruckt. „Es ist eine Kunst, aus 840 Wiederholungen 840-mal etwas Verschiedenes zu machen.“
Bleibende Eindrücke
Um 8.30 Uhr hatte Roman Borisov die erste Note der Komposition am Flügel auf der Konzertsaal-Bühne gespielt. Von dem Moment an wiederholte der 22-jährige Künstler das Stück ein ums andere Mal. Große LED-Paneele im Saal zeigten in Echtzeit, wie oft die Notenfolge bereits erklungen waren: Mit jeder Wiederholung leuchtete ein neues, farbiges Licht auf. Um 23.05 Uhr gab es nur noch zehn dunkle Punkte an der Lichtwand, zwölf Minuten später spielte Roman Borisov die Komposition zum letzten Mal. Die anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer applaudierten begeistert – und Andreas Bölker ließ es sich nicht nehmen, dem Pianisten persönlich zu gratulieren und für das Konzert zu danken. „Dieser Abend im Konzerthaus bleibt“, ist Andreas Bölker überzeugt.
Ungewöhnliche Konzerterfahrung
Roman Borisov ist der treue Zuhörer in Reihe 2 nicht entgangen. In jeder seiner kurzen Pausen, in denen Jugendliche für ihn am Flügel Platz nahmen, habe er sich gefragt, ob Andreas Bölker „wohl noch da ist, wenn ich zurückkomme“, so Borisov nach der ungewöhnlichen Konzerterfahrung. Gerechnet hatte er damit nicht. In einem Interview vor dem Auftritt hatte er noch gesagt: „Ich weiß, dass es wahrscheinlich unmöglich ist: Aber es wäre toll, wenn jemand von Anfang bis Ende dabei ist.“
Spenden zum Weltkindertag
Anlässlich des Weltkindertags war das Konzert auch eine Benefizveranstaltung für Kinder in Not. Während des Konzerts konnten Gäste im Konzerthaus und Zuschauer vor dem Bildschirm für die Organisation Save the children spenden.