Krunk
Armenian Secular Music
Lilit Tonoyan

Kaleidos KAL 6369-2
1 CD • 70min • 2024
30.01.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In einer Zeit, in der kulturelle Grenzen oft unüberwindbar scheinen, legt das Ensemble Lignum Vitae unter der Leitung der armenischen Geigerin Lilit Tonoyan eine Einspielung vor, die von der zeitlosen, verbindenden Kraft der Musik kündet. Dafür hat Lilit Tonoyan, die heute in Köln lebt, über 15 Jahre lang die Musiktradition ihres Heimatlandes erforscht. "Armenian Secular Music" offenbart in 23 kunstvoll arrangierten Stücken einen verborgenen Schatz weltlicher armenischer Musik. Die Wurzeln dieser Werke reichen tief in die mittelalterliche Tradition zurück, wo sie von armenischen Barden und Troubadouren – den sogenannten Gusanen – überliefert wurden. Diese fahrenden Sänger bewahrten und formten über Jahrhunderte hinweg einen reichen Fundus an Melodien und Texten, die von existenziellen menschlichen Erfahrungen künden.
Außergewöhliche Instrumentierung
Der Kranich – armenisch Krunk – steht als titelgebende Symbolfigur im Zentrum der Einspielung. Das alte Pilgerlied verkörpert in seiner Schlichtheit die zeitlose Erfahrung von Sehnsucht und Vergänglichkeit – eine symbolische Dimension, die sich durch das gesamte Album zieht. Die besondere Magie dieser Aufnahme entfaltet sich durch die außergewöhnliche Instrumentierung: Lilit Tonoyans beseelter Violinton, der wie eine Singstimme Geschichten zu erzählen vermag, tritt in einen faszinierenden Dialog mit André Meisners Duduk. Letzterer, ursprünglich Jazz-Saxophonist, fand seinen Weg zu dem armenischen Holzblasinstrument durch eine schicksalhafte Begegnung auf einem Festival. Sein atmender, zwischen verhaltener Melancholie und ekstatischer Intensität oszillierender Ton trägt als weitere Komponente zur spirituellen Dimension dieser Aufnahme bei. David Melkonyan am Cello und Giuseppe Mautone an den Perkussionsinstrumenten vervollständigen das organische Ganze, das mit bestechender kammermusikalischer Intensität ausgstattet ist.
Faszinierender Reichtum an Ausdrucksformen
Die 23 Stücke durchmessen ein faszinierendes Spektrum musikalischer Ausdrucksformen. In den ruhigen Passagen entfaltet sich eine meditative Kraft, während die Tanzstücke von einer vitalen, erdverbundenen Energie getragen werden. Die Bandbreite reicht von majestätischen Melodiebögen in Landschaftsbeschwörungen über meditative Naturbetrachtungen bis hin zu vitalen Tanzrhythmen. In der Transformation dieser Überlieferungen zeigt sich die besondere Kunst des Ensembles: Die von den Troubadouren tradierten Weisen entfalten sich zu Meditationen von universeller Gültigkeit, während die aus dem geistlichen Kontext stammenden Gesänge durch ihre Nähe zu barocken Strukturen überraschen. Die kontemplativen Stimmungsbilder werden durch einen feinen Wechsel zwischen lyrischen Passagen und rhythmisch pointierten Abschnitten geprägt. Bemerkenswert ist die Kunst der Arrangements, mit der Lilit Tonoyan das überlieferte Material bearbeitet hat.
Atmosphärische Miniaturen
Aus ihrer langjährigen Beschäftigung mit der armenischen Musiktradition erwächst ein tiefes Verständnis für die komplexen modalen Strukturen der Kirchentonarten und die subtilen mikrotonalen Stimmungen, die dieser Musik ihre charakteristische Färbung verleihen. Die ornamentalen Feinheiten werden dabei nie zum Selbstzweck, sondern fügen sich organisch in den musikalischen Fluss. Die Stücke verdichten sich trotz ihrer Kürze zu atmosphärischen Miniaturen und offenbaren in manchen Momenten verblüffende Parallelen zur europäischen Kunstmusik – insbesondere in polyphonen Strukturen, die manchmal an Bach'sche Suitensätze erinnern.
"Armenian Secular Music" ist ein Schatz, der die reiche Überlieferung armenischer Musik in neuem Licht erstrahlen lässt. Mit großer Einfühlungsgabe nimmt das Ensemble seine Hörer an die Hand und führt sie behutsam in bislang verborgene musikalische Schatzkammern. Dem Ensemble gelingt dabei der schwierige Balanceakt zwischen Authentizität und zeitgemäßer Interpretation: Die Musik wirkt nie museal, sondern offenbart ihre zeitlose Aktualität.
Stefan Pieper [30.01.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
trad. | ||
1 | Es arun | 00:03:01 |
2 | Alagyaz & Khnki tsar | 00:04:30 |
3 | Avetis | 00:01:01 |
4 | Goghtan mankti & Bostan em dre | 00:03:38 |
5 | Blbuli hid (Chka qizi nman) | 00:04:57 |
6 | Akna oror | 00:02:56 |
7 | Habrban | 00:02:06 |
8 | Tsirani tsar I | 00:02:59 |
9 | Tsirani tsar II | 00:02:02 |
Sayat Nova | ||
10 | Nazani | 00:03:31 |
trad. | ||
11 | Krunk | 00:03:33 |
12 | Bari luso | 00:01:45 |
Gabriel Yeranyan | ||
13 | Kilikia | 00:03:54 |
trad. | ||
14 | Janiman | 00:02:15 |
15 | Taltala | 00:04:07 |
16 | Akna krunk | 00:02:32 |
17 | Yerangi | 00:03:21 |
18 | Amran gisher | 00:03:38 |
19 | Es gisher ashnan gisher | 00:02:52 |
20 | Keler tsoler | 00:02:34 |
21 | Loutki & Lorke | 00:03:39 |
22 | Mush | 00:03:14 |
23 | Bari luso | 00:01:40 |
Interpreten der Einspielung
- Ensemble Lignum Vitae (Ensemble)