Brahms Mozart
Piano Concertos
Géza Anda Karl Böhm

Prospero Classical PROSP0100
1 CD • 79min • 1963, 1974
23.06.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Dass das 1. Klavierkonzert von Brahms bei der Uraufführung ausgepfiffen worden ist, kann man nach dem Anhören dieser Aufnahme mit dem Philharmonie Orchestra unter Karl Böhm und Géza Anda verstehen: Wie ein archaisches Urgewitter bricht der Kopfsatz los, mit drohend donnernden Paukenwirbeln und gefährlich grellen Trillern – das Chaos vor der Erschaffung der Welt. Wenn dann nach 91 Takten majestätischer Urgewalt das Klavier wie beschwichtigend einsetzt, fühlt man sich an die Schöpfungsgeschichte erinnert: Zuerst war die Erde wüst und leer – und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Oft sagt man, eine Symphonie stelle die Erschaffung einer Welt dar – hier versteht man diese Behauptung. Es ist wie ein gemeinsames titanisches Ringen, so intensiv verschränken sich Klavier und Orchester, dazwischen herrscht eine regelrecht überschießende Freude – wenn ein solcher Begriff bei Brahms überhaupt angebracht sein könnte – am Ende gibt’s einen wahren Final-Sturmlauf.
Wunderbar fließend mit Sogwirkung beginnt das Orchester den zweiten Satz, worauf das Klavier bedeutungsvoll und nachdrücklich „redend“ antwortet und dann weiter singend und sinnend dialogisiert. Wo also vorher ein gemeinsames Ringen herrschte, folgt jetzt ein gemeinsames Gespräch. Das Finale ist überraschend aufgehellt.
Die Aufnahme, ein Mitschnitt des Schweizer Radios von den Musikfestwochen Luzern, stammt aus dem Jahre 1963 ist ziemlich basslastig, ja bassdumpf – und trotz des Remasterings hört man viele Nebengeräusche und man glaubt einige (Ein-)Schnitte zu bemerken.
Traurigkeit und Tiefsinn
Das Mozart’sche Klavierkonzert in B-Dur KV 456 mit den Wiener Philharmonikern ist eine Aufnahme des Österreichischen Rundfunks von den Salzburger Festspielen 1974. Gewiß glänzen die Streicher der Wiener mit seidigem Glanz, betören die Holzbläser mit Schönklang – aber in der Interpretation gibt’s eine gewisse Disparität zwischen Pianist und Dirigent. Der Kopfsatz beginnt nicht im militärischen Gestus, obwohl Struktur des Hauptthemas und Rhythmus dies nahelegen, Karl Böhm lässt das Orchester eher verhalten-weich beginnen mit schöner Ausgeglichenheit zwischen Streichern und Bläsern. Géza Anda beginnt dann wesentlich energischer, rhythmisch prononcierter, wesentlich innerlich vibrierender, vorantreibender, nicht so „Verweile-doch!“-schwerelos schön. Er scheint sogar das Orchester antreiben zu wollen. Und dann ereignet sich das, was das Booklet „diese Verbindung von Sachlichkeit und Passion, von intellektueller Durchdringung einer Partitur und Entfesselung ihres spirituellen Potentials“ nennt – wobei statt „Sachlichkeit“ wohl eher ein Begriff wie Genauigkeit stehen sollte. Wunderbar ist das von Anda produzierte „singende Allegro“, das Legato im Nicht-Legato, das „verfeinerte Stakkato“, das bekanntlich Mozart bevorzugte. In der Kadenz, die doch eigentlich nur die Virtuosität des Pianisten zeigen sollte, gibt es Stellen mit einem emotionalen Stillstand, einem seelischen fast erschreckenden Innehalten.
Das „Andante un poco sostenuto“ nimmt Anda molto sostenuto, so dass beinahe ein Adagio draus wird, ein melancholisches Innehalten. Als Beispiel nur: Wo Anda 12:07 für diesen Satz braucht, braucht Alfred Brendel 9:35. Der Pianist kommt bei seinem Einsatz aus der Stille, schleicht sich förmlich hinein, vertieft dann aber alles mit Leuchtglanz, vertieft aber auch schwermütig die immer wieder abwärtsgleitenden Passagen – und wieviel Innigkeit, ja Traurigkeit kann in der einfach fallenden Terz des Variationsthemas stecken, wenn sie von Anda gespielt wird! Und so ist es fast folgerichtig, dass auch das quirlig-lebensfreudige Rondo durch das Nachklingen des langsamen Satzes ein wenig eingetrübt ist, manchmal wirkt es wie eine verzweifelte Freude. Die Spitzentöne der Phrasen nimmt Anda beim Spiel zurück, wie mutlos wirkend.
Das sofortige „Bravo!“ eines eilfertigen Zuhörers beweist, wie tiefsinnig diese Lesart gewirkt hat. Vorher hat man kaum Zuhörergeräusche gehört, dafür ein leises Mitsummen, fast Mitstöhnen des Pianisten.
Charmant ist, dass die beiden Originalansagen des Schweizer und Österreichischen Rundfunks mitgeschnitten sind.
Rainer W. Janka [23.06.2024]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
2 | Konzert Nr. 1 d-Moll op. 15 für Klavier und Orchester | 00:43:22 |
Wolfgang Amadeus Mozart | ||
6 | Klavierkonzert Nr. 18 B-Dur KV 456 | 00:32:51 |
Interpreten der Einspielung
- Géza Anda (Klavier)
- Philharmonia Orchestra (Orchester)
- Wiener Philharmoniker (Orchester)
- Karl Böhm (Dirigent)