Liszt
Anna Leyerer
hänssler CLASSIC HC23066
1 CD • 79min • 2023
09.03.2024
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Als Klavierkomponist war Franz Liszt in seinem ureigensten Element. Das immense Gesamtwerk, das er für sein Instrument hinterließ, bildet in seiner Vielgestaltigkeit das ganze Wesen seines Schöpfers ab. Es ist eine Welt für sich, in der durchaus auch Widersprüche nebeneinander existieren können. Vergeistigtes trifft auf Populäres, ausgesprochenem „Virtuosenfutter“ stehen sparsamste, allem äußeren Prunk abholde Gebilde gegenüber. Liszt war ein Bahnbrecher und Wegbereiter, der im besten Sinne Unerhörtes vollbrachte, aber auch ein Mann von Welt, der virtuos Konventionen seiner Zeit zu bedienen wusste.
Ein vielseitiges Liszt-Portrait
Einen guten Überblick über viele – wenn auch nicht alle – Seiten der Lisztschen Klaviermusik bietet das Liszt-Album von Anna Leyerer. Das klug zusammengestellte Programm beginnt mit Mazeppa und Wilde Jagd, lässt diesen Études d'execution transcendante, die bei aller äußeren Brillanz vor allem Tondichtungen für Klavier sind, die vier späten, kargen Valses oubliées folgen, und mündet nach den Opernfantasien über Mozarts Don Juan (= Don Giovanni) und Verdis Ernani sowie der den Walzern stilistisch verwandten Romance oubliée in die mitreißend-populären Klänge der Ungarischen Rhapsodie Nr. 6. Als Zugabe steht mit Milij Balakirews Islamey ein Stück am Ende, das den immensen Einfluss verdeutlicht, den Liszt auf die jüngeren osteuropäischen Komponisten seiner Zeit ausgeübt hat.
Don Giovanni nachgedichtet
Wer sich von Anna Leyerers Können einen Eindruck verschaffen möchte, der fange am besten mit den Réminiscences de Don Juan an. Liszt zeichnet hier, teils Abschnitte des Originals transkribierend, teils über Mozarts Themen frei fantasierend, ein umfassendes Charakterbild Don Giovannis und transzendiert gleichsam die aus der Pariser Salonkultur heraus entstandene Gattung des virtuosen Opernpotpourris zur kommentierenden Nachdichtung. Die Pianistin zeigt sich allen Situationen gewachsen, in die Liszt Mozarts Helden schickt. Sie lässt ihn kantabel und anmutig mit Zerlina im Duett singen und brillant die Champagner-Arie schmettern. Die auf- und absteigenden Mollskalen aus der Komtur-Szene, die die Einleitung des Stückes beherrschen, phrasiert sie sorgfältig und lässt leichtes Rubato zu, verliert sich aber auch nicht im Momenthaften. Die Musik atmet und kann sich in großem Bogen entfalten.
Introversion und Virtuosität
In den Valses oubliés und der Romance oubliée wirken viele Abschnitte wie Zeichnungen aus wenigen Strichen. Liszt bewegt sich in diesen Spätwerken mitunter an der Grenze zum Verstummen, ja überschreitet sie in manchen Schlüssen gar, die nicht schließen, sondern sich im Nichts verlieren. Auch diesem introvertierten, mitunter schon impressionistische Züge tragenden Liszt wird Leyerer mit feinen Klangschattierungen gerecht.
Leyerers Darbietungen der Mazeppa- und der Jagd-Etüde, wie auch Balakirews Islamey, fehlt es nicht an Demonstrationen schierer physischer Kraft. Mazeppa wirkt stellenweise beinahe überstark. Aber auch hier wird die große, deklamatorische Melodie markant, als ein kräftiger Gesang artikuliert und trägt als solcher das ganze Stück. Aller pianistische Aufwand dient dem Komponisten eben nur als Mittel zum Ausdruck poetischer Gedanken. Und dass Liszt ein wahrer Tondichter ist, vermag Anna Leyerer trefflich zu vermitteln.
Norbert Florian Schuck [09.03.2024]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Franz Liszt | ||
1 | Mazeppa Nr. 4 d-Moll (aus: Etudes d'execution transcendante) | |
2 | Wilde Jagd Nr. 8 c-Moll (aus: Etudes d'execution transcendante) | |
3 | Valse oubliée Nr. 1 Sz 215 | |
4 | Valse oubliée Nr. 2 Sz 215 | |
5 | Valse oubliée Nr. 3 Sz 215 | |
6 | Valse oubliée Nr. 4 Sz 215 | |
7 | Réminiscences de Don Juan S 418 | |
8 | Konzertparaphrase nach der Oper "Ernani" von G. Verdi S 432 R 265 | |
9 | Romance oubliée S 527 | |
10 | Ungarische Rhapsodie Nr. 6 Des-Dur S 244/6 | |
Mily Alexejewitsch Balakirew | ||
11 | Islamey op. 18 (orientalische Fantasie) – Presto con fuoco |
Interpreten der Einspielung
- Anna Leyerer (Klavier)