Georg Philipp Telemann
A Christmas Oratorio
Pasticcio of Five Cantatas
cpo 555 605-2
1 CD • 78min • 2020
25.12.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Was ist ein Pasticcio? Nun, in Zeiten, in denen Kunst und Kunsthandwerk noch eine Einheit bildeten, war es nicht unüblich, dass – eventuell sogar mehrere – Komponisten frühere Arbeiten wiederverwerteten und daraus etwas Neues schufen. Dies besonders dann, wenn die Zeit drängte oder man Gelegenheitskompositionen vor der Vergessenheit bewahren wollte. Somit folgen Herman Max und seine Ensembles durchaus der barocken Tradition, indem sie fünf Kantaten Georg Philipp Telemanns aus unterschiedlicher Entstehungszeit zu einem Weihnachtsoratorium zusammenfügten.
Leichtigkeit des Komponierens versus Geniekult
So wie es zwei Typen von Instrumentalisten gibt, die Blattspieler und die „Feiler“ gibt es auch vergleichbare Typen von Komponisten. Die einen ringen mit einem Werk über einen langen Zeitraum, die anderen setzen sich mit gespitzter Feder an den Schreibtisch und komponieren, was ihnen aufgetragen ist. Bach, Bruckner und Beethoven stehen für den ersten Typus, Mozart, Händel, Rossini und Telemann für den zweiten. Dies führte im 19. Jahrhundert aufgrund der von Max Weber so trefflich beschriebenen Kultur der „protestantischen Arbeitsethik“ zur Abwertung der letzteren, von der besonders Telemann betroffen war, ohne dass man sich mit seinem Schaffen intensiver auseinandergesetzt hätte.
Ergeben fünf Kantaten schon ein Oratorium?
Die Idee ein Weihnachtsoratorium aus Telemann-Kantaten zusammenzustellen, entbehrt nicht des Reizes. Allerdings wäre hierfür eine durchgehende Handlung erforderlich, wie sie im ursprünglich als Ersatz für die Oper in den geistlichen Zentren entstandenen Oratorium üblich ist und von Bach in seinem – ebenfalls als Pasticcio bewahrenswerter Gelegenheitskompositionen konzipierten – Weihnachtsoratorium vermittels des Evangelisten-Berichtes realisiert wurde. Leider geht dieser Plan trotz der beeindruckenden Kompositionen nicht ganz auf, da gerade dieser durchgehende Handlungsfaden fehlt und der Komponist zudem eine Vorliebe für Libretti hatte, die ihn zu Tonmalereien anregten. Die einzelnen Kantaten, die zwischen ca. 1720 und 1756 entstanden, weisen durchaus bestechende Elemente auf, wobei in den späten Werken sich der empfindsame Stil immer stärker bemerkbar macht. Von den Arien seien „Von allem Bösen“ (Track 6), „Zion lobt Dich in der Stille (Track 23) für den Tenor und die hochvirtuose Bass-Arie „Tönet die Freude“ (Track 9) herausgegriffen. Die Eingangschöre sind auf eine dem hohen Feste zukommende Pracht angelegt, die Choräle wesentlich schlichter als bei Bach und Graupner, sodass die Gemeinde beim Mitsingen nicht verwirrt wird.
Luft nach oben
Hermann Max, die Rheinische Kantorei und Das kleine Konzert verlassen sich in dieser auch technisch nicht besonders transparenten Aufnahme ein wenig zu sehr auf ihre langjähre Telemann-Routine. Das Instrumentalensemble könnte detaillierter artikulieren und auf Höhepunkte phrasieren. In „Wünschet Jerusalem Glück“ erschlagen die Hörner die schwirrende 32stel-Figuration der Violinen, was Telemann wohl eher nicht beabsichtigte und sich diese Schreibarbeit sonst erspart hätte. Bassist Matthias Vieweg klingt über weite Strecken indisponiert und kommt bei den teils extrem virtuosen Koloraturen fast nie ohne Schummeln mit eingeschobenen h’s über die Runden. Hiervon hat sich auch der im mezza voce teilweise berückend schön singende Georg Poplutz anstecken lassen. Dann lieber etwas mehr Vibrato um den Zusammenhalt der Tonkaskaden sicherzustellen! Zudem wurden beide Sänger eher ungünstig mikrophoniert, was man von den beiden exzellenten Damen Veronika Winter und Anne Bierwirth nicht behaupten kann.
Sollte es sich um einen Live-Mitschnitt handeln, was aus der Dokumentation jedoch nicht ersichtlich ist, sind diese kritischen Anmerkungen selbstverständlich cum granu salis zu nehmen.
Das Booklet weist ein paar Ungereimtheiten auf: Track 9 gibt als Text „ den feiernden Schall“ an, gesungen wird aber „den schmetternden Schall“; Track 30 ist kein Duett für Alt und Bass, sondern eine abwechselnd gesungene Strophen-Arie im Stil Johann Schelles, die eine Reminiszenz an Telemanns Leipziger Zeit sein könnte. Die Werkeinführungen sind ansonsten gut, was leider nicht von der allzu flächigen Aufnahmetechnik behauptet werden kann.
Fazit: Fünf interessante, erstmalig eingespielte Kantaten, deren Wiederentdeckung durchaus lohnt, sorgen für die Aufwertung des Gesamteindrucks, ergeben aber kein Oratorium.
Thomas Baack [25.12.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georg Philipp Telemann | ||
1 | Siehe, ich verkündige euch große Freude TWV 1:1333 (Kantate zum 1. Weihnachtstag) | 00:18:27 |
9 | Tönet die Freude, belebte Trompeten TWV 1:1410 (Kantate zum 2. Weihnachtstag) | 00:18:18 |
21 | Darzu ist erschienen der Sohn Gottes TWV 1:166 (Kantate zum dritten Weihnachtstag) | 00:16:10 |
28 | Wünschet Jerusalem Glück TWV 1:1726 (Kantate zu Neujahr) | 00:14:49 |
34 | Ihr Völker, bringet her dem Herrn TWV 1:919 (Kantate zu Epiphanias) | 00:09:47 |
Interpreten der Einspielung
- Veronika Winter (Sopran)
- Anne Bierwirth (Alt)
- Georg Poplutz (Tenor)
- Matthias Vieweg (Bass)
- Rheinische Kantorei (Chor)
- Das Kleine Konzert (Orchester)
- Hermann Max (Dirigent)