Francesco Maria Veracini
Sonate a flaute solo e basso vol. 1
Vanitas VA-17
1 CD • 60min • 2019
27.05.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die 12 Sonaten für Blockflöte oder Violine von Francesco Maria Veracini (1690-1768) sind im Grunde genommen ein Faschingsprodukt. Denn der sächsische Kronprinz Friedrich August hielt sich zum Karneval 1716 in Venedig auf, war von Veracinis Spiel und seinen Ouvertüren begeistert und engagierte ihn deshalb als Kammermusiker und Impresario für italienische Sänger nach Dresden. Der Komponist dankte ihm mit der Widmung der Sonaten. Nachdem die ersten 6 Sonaten bereits in zwei Aufnahmen vorliegen, wird sich Muriel Rochat Rienth wohl des kompletten Zyklus‘ annehmen und legt jetzt die Vol. 1 von wohl zwei CDs vor.
Il capo pazzo
Veracini galt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als einer der international angesehensten Geiger und war zudem als Opernkomponist erfolgreich. Aus Florenz gebürtig, wirkte er in Venedig, Dresden, London und gegen Ende seines Lebens in seiner Heimatstadt, wo er auch begraben wurde. Er war zeitlebens ein von sich recht eingenommener Exzentriker, weshalb ihn Zeitgenossen auch als „capo pazzo“ – wörtlich: „verrückter Kopf“, modern: „verrücktes Huhn“ – schalten. So musste er Dresden 1721 recht plötzlich verlassen, weil er sich mit dem Kapellmeister Johann David Heinichen und dem Konzertmeister Johann Georg Pisendel wegen seiner und der Sänger-Stars exorbitanten Gagenforderungen auf das heftigste zerstritten hatte.
Sieht leicht aus, aber Vorsicht
Blättert ein Blockflötist Veracinis 12 Sonaten ohne Opuszahl oberflächlich durch, kommt er zu dem Schluss: etwas leichter als die Händel-Sonaten, keine exponierten hohen Töne wie bei Bach oder Telemann, also obere Mittelstufe. Schaut er genauer hin, stellt er fest, dass er sich geirrt hat, da das reine Abspielen des Notentextes meist ein arg langweiliges Ergebnis zeitigt. Und dies, obwohl Veracini in der Harmonik bereits so manchen affektgeladenen Kniff der Neapolitaner vorausnimmt
Also genauer hingeschaut. Jetzt stellen sich Fragen: Sind die in der Handschrift ungewöhnlich zahlreich – manchmal an unüblichen Stellen – gesetzten Bögen Legato-Anweisungen oder reine Phrasierungsangaben? Wie gestalte ich auf einem Instrument mit nur geringem dynamischen Spielraum die vielen Passagen, die als notengleiches Echo notiert sind? Kann ich in diesem Fall die Bögen ignorieren? Wo muss ich in langsamen Sätzen exzessiv verzieren? Wie lege ich diese Verzierungen an, sodass sie überraschend wirken? Grundproblem einer Gesamteinspielung dieser Sonaten in der Reihenfolge des Manuskripts ist zudem, dass sich benachbarte Werke im Duktus oft nur wenig unterscheiden. Als Einzelwerke durchaus reizvoll, verleiten sechs dieser Sonaten am Stück zu innerem Abschalten.
Licht und Schatten
Muriel Rochat Rienth (Blockflöte), Thor Jorgen (Viola da Gamba) und Andrés A. Gómez (Cembalo) musizieren die sechs Sonaten routiniert und handwerklich gekonnt. Leider phrasiert Frau Rienth in den langsamen Sätzen nicht cantabel genug auf Höhepunkte hin. Dies resultiert oft aus zu schwer genommenen Auftakten. Ihre Verzierungen sind zu wenig überraschend, die Triller entsprechen häufig im Tempo nicht dem Affekt. Sowas macht man, wenn man beim Durchspielen improvisiert, läuft dabei aber immer Gefahr, dass es ein wenig nachlässig klingt. Die schnellen Sätze sind auf vordergründige Brillanz getrimmt, dabei würde ein etwas ruhigeres Tempo mit entsprechender Agogik präzisere Verzierungen, eine größere Variabilität der Artikulation und mehr Spielwitz ermöglichen. Schließlich klingt ihr Instrument niemals wirklich süß (Flauto dolce), sondern in seiner Obertonstruktur irgendwie stumpf. Ich vermute, dass es sich um eine der im Konzertsaal sicherlich nützlichen, vor dem Mikrofon aber unnötigen, aufgebohrten Bressan-Kopien handelt. Will man das Allegro in Track 10 in ihrem Tempo spielen, benötigt man ein wesentlich leichter ansprechendes agileres Instrument (nach Denner oder Anciuti), sonst werden die Staccati zu Sputati. Ihre Continuo-Gruppe ist hingegen hervorragend im Setzen von Impulsen und in der Ausgestaltung der für italienische Musik ungewöhnlich ausgiebigen Bezifferung.
Die Aufnahmetechnik ist etwas zu flötenlastig. Das Booklet bietet die nötigen Informationen.
Fazit: Wer eine weitere Aufnahme der ersten sechs Veracini-Sonaten sucht, dem stehen als Alternativen auch die Einspielungen mit Karsten Erik Ose oder Christoph Ehrsam zur Verfügung, wobei erstere den Vorteil hat, originale Instrumente aus dem 18. Jahrhundert zu verwenden. Beide sind auch über Streaming greifbar.
Vergleichsaufnahmen: Karsten Erik Ose (Aeolus) - Christoph Ehrsam (Accent).
Thomas Baack [27.05.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Francesco Maria Veracini | ||
1 | Sonata Prima | 00:10:22 |
5 | Sonata Seconda | 00:09:34 |
9 | Sonata Terza | 00:11:01 |
13 | Sonata Quarta | 00:08:57 |
17 | Sonata Quinta | 00:10:42 |
21 | Sonata Sesta | 00:09:22 |
Interpreten der Einspielung
- Muriel Rochat Rienth (Blockflöte)
- Thor Jorgen (Viola da gamba)
- Andrés Alberto Gómez (Cembalo)