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Besprechung CD

Louis Spohr

The Complete Works for Clarinet & Orchestra

cpo 555 151-2

2 CD • 1h 58min • 2017, 2019

30.01.2023

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Christoffer Sundquist und die NDR Radiophilharmonie Hannover legen erstmalig sämtliche Werke für Klarinette und Orchester von Louis Spohr (1784-1859) vor. Diese sind durchweg aufregend und spannend, gehen sie doch in ihren virtuosen Anforderungen weit über die Klarinetten-Werke Mozarts und Carl Maria von Webers hinaus. So etwas kann passieren, wenn ein Geiger für Blasinstrumente schreibt und der Auftraggeber alle Energie dareinsetzt, die Anforderungen des Komponisten zu erfüllen.

Der erstaunte Komponist

Spohr schrieb alle seine Klarinettenkompositionen für Johann Simon Hermstedt (1778-1846), den Leiter der Harmoniemusik und späteren Hofkapellmeister in Sondershausen. Als Geiger hatte sich der Komponist mit dem Umfang der Klarinette wohl vertraut gemacht, konnte jedoch als Nicht-Bläser kaum abschätzen, was er dem Solisten für aberwitzige Griffkombinationen in langen chromatischen Läufen auf dessen, damals mit maximal mit 6-9 Klappen versehenen Instrument, abforderte. Umso erstaunter war er, dass Hermstedt alles sauber herausbrachte.

Hermstedts schärfster Konkurrent war Heinrich Baermann, für den später die wesentlich leichteren Konzertstücke Webers und Mendelssohns entstanden. Wie Musikmarketing im 19. Jahrhundert funktionierte, zeigt folgende, auf das erste Konzert bezogene Briefstelle von 1809. Spohr an Hermstedt: „Nach reiflicher Überlegung glaube ich, daß wir Herrn Baermann, wenn Sie nicht ganz dagegen sind, das Concert hinschicken[.] Hören Sie meine Gründe. Sollte er es blasen können (woran ich noch sehr zweifl[e] ohnerachtet er ein ausgezeichneter Clarinettist ist,) so würde ich als Komponist den Vorthei[l] haben, daß mein Concert im südlichen Deutschland auch gehört würde. Wir machten ihm dann zur Bedingung, daß er es einmal gäbe, und nicht in Dresden und Leipzig bliese, weil Sie es an diesen Orten selbst blasen wollten. Sollten er es aber nicht blasen können, so hätten sie wenigstens den Vortheil, daß die Clarinettisten in München einen Begriff von Ihrem Talent bekämen. In jedem Fall könnten Sie sich damit trösten, daß ich Ihnen diesen Herbst noch ein Concert mache, welches Sie dann ganz allein für sich haben werden.“

Mit dem Druck tat sich der Komponist allerdings schwer. So schreibt er 1810 an den Verleger Kühnel: „Meine Clarinettkompositionen halte ich zur Herausgabe zu schwer. Ich glaube nicht daß Sie je ein anderer als Hermstädt g[ut] blasen wird.“ Doch erschienen die ersten beiden Konzerte dort im Jahre 1812. Das dritte und vierte Konzert blieb jedoch – wie auch die kürzeren Gustostückerl – bis in die 1880er Jahre unveröffentlicht. Auffallend, dass drei der vier Konzerte in Moll stehen. Es handelt sich also um spannungsvolle, dramatische Musik im Duktus des Violinkonzerts „in Form einer Gesangsszene“.

Spohr reizt dabei den damals erreichbaren Tonumfang der Klarinette von e0 bis c4 (notiert, je nach Stimmung einen Ganzton oder eine kleine Terz tiefer klingend) komplett aus, was Mozart und Weber vermieden. Bemerkenswert ist, dass die ersten beiden Konzerte vor der Einführung der revolutionären, durch Iwan Mülller 1813 vorgestellten 13-klappigen Applikatur, die für die Romantik die Norm darstellte, entstanden.

Beglückende Interpretation

Christoffer Sundquist und der NDR Radiophilharmonie unter Simon Gaudenz gelingt die Ehrenrettung dieser durchweg höchst hörenswerten Kompositionen. Er verfügt über die Souveränität, selbst den virtuosesten Passagen noch durch feine agogische Rückungen Sinn zu geben, sodass diese als Ausdrucksvaleurs aufgenommen werden können und nicht ausschließlich schnell und brillant wirken. Dabei sind seine Tempi durchaus rasant. Zudem verfügt er über einen schier endlosen Atem und vermag auf seinem Instrument zu singen. Selbst die Altissimo-Töne (g3-c4) gelingen immer rund. Das Chalumeau-Register klingt nie überfettet blökend, sondern behält durchweg eine schlanke Fassung. Dem Orchester gebührt allein schon wegen der vielen exzellent ausgeführten Bläsersoli höchstes Lob. Simon Gaudenz reagiert sensibelst auf die kleinste Tempoverschiebung, sorgt für kammermusikalische Transparenz und – wo nötig – für dramatischen Impetus. Das kann man nicht besser machen!

Die Aufnahmetechnik vermittelt ein farbiges und transparentes Klangbild. Wäre die musikalische Seite schlechter, hätte der ungemein kenntnisreiche Booklet-Text von Bert Hagels für eine Aufwertung der Produktion um einen Punkt gesorgt.

Fazit: So spielt man Frühromantik auf der Klarinette! Somit Pflichtkauf für Bläser. Ebenso für Freunde der Musik zwischen Beethoven und Schumann und besonders diejenigen, die Spohr aufgrund einiger Violinkonzerte immer für etwas langweilig gehalten haben. Unbedingt empfohlen!

Thomas Baack [30.01.2023]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Louis Spohr
1Klarinettenkonzert Nr. 1 c-Moll op. 26 00:19:54
4Klarinettenkonzert Nr. 2 Es-Dur op. 57 00:23:54
8Potpourri über Themen aus Winters Oper Das unterbrochene Opferfest op. 80 00:09:35
CD/SACD 2
1Fantasie und Variationen op. 81 für Klarinette, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass 00:07:47
2Klarinettenkonzert Nr. 3 f-Moll WoO 19 00:25:07
5Klarinettenkonzert Nr. 4 e-Moll WoO 20 00:23:55

Interpreten der Einspielung

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