Heimat
500 Jahre Heimatlieder und -gedichte
Daniel Behle • German Hornsound • Mario Adorf
Prospero PROSP0052
2 CD • 1h 34min • 2021, 2022
08.11.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wie viel Heimat braucht der Mensch?, fragte in einem Aufsatz der Schriftsteller und Journalist Jean Améry, der zwei Vernichtungslager überlebt hatte, und kam zu dem Schluss: „Umso mehr, je weniger davon er mit sich tragen kann“. Ein guter Einstieg in ein Programm, das einem Begriff gewidmet ist, dem nach seinem propagandistischen Missbrauch im Dritten Reich noch heute ein unguter Beigeschmack anhaftet. Das vorliegende Album versucht einige Façetten dieses Begriffs zu erfassen und lässt dabei nicht nur Autoren und Komponisten zu Wort kommen, die ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Heimat hatten, sondern auch solche, denen ihre Heimat genommen wurde. Neben Werner Bochmanns Heimat, deine Sterne hört man das Buchenwald-Lied von Hermann Leopoldi, Hanns Eisler betrachtet das Thema mit Texten von Hölderlin und Brecht aus dem Blickwinkel des Geflüchteten.
Viele Musikgenres
Das musikalische Programm beginnt mit dem um 1500 entstandenen choralartigen Lied Innsbruck, ich muss Dich lassen von Heinrich Isaac, dessen weltlicher Inhalt (schmerzender Abschied von der Geliebten) in eine sakrale Melodie gekleidet ist, die später mehrfach von Johann Sebastian Bach aufgegriffen wurde (u.a. Nun ruhen alle Wälder). Die meisten Musikbeispiele stammen allerdings aus dem 19. und vor allem aus dem 20. Jahrhundert und gehören sehr unterschiedlichen Genres an, von der Opernarie über das Volkslied bis zum Tonfilmschlager oder dem Chanson. Man begegnet manchen bekannten Namen und Titeln, aber es gibt auch einiges aus dem Randrepertoire zu entdecken, wozu ich drei Stücke aus Ernst Kreneks Reisebuch aus den österreichischen Alpen (1929) aus seiner neoromantischen Schaffensperiode rechnen würde. Ganz und gar nicht „tümlich“ kommen die Volkslieder daher, vor allem der derb-erotische Jäger aus Kurpfalz in seiner originalen Version. Aus dem reichen Fundus des Volksliedes haben insbesondere Johannes Brahms und Gustav Mahler geschöpft.
In allen Stilen zuhause
Was der Erlkönig oder die Gralserzählung mit dem Thema Heimat zu tun haben, erschließt sich nicht ohne weiteres, aber man könnte argumentieren, dass Goethe, Schubert und Wagner zur künstlerischen Heimat des Sängers gehören. Der ist, wie er in diesem Album beweist, in allen Stilen zuhause und zeigt neben vielen sängerischen Primärtugenden (entspannte Tongebung, elegante Phrasierung und perfekte Diktion) einen außergewöhnlichen Kunstverstand und eine absolute Geschmackssicherheit. Selbst ausgesprochene Schmonzetten wie das Heimatlied, das der Nazidichter Klaus Siegfried Richter nach dem 2. Satz von Dvořáks Sinfonie aus der Neuen Welt fabriziert hat, werden durch seinen Vortrag aufgewertet. Der vom alten Hans Albers kreierte Mischa-Spoliansky-Song Der Mensch muss eine Heimat haben und Heimat des deutschen Liedermachers Johannes Oerding (Jg. 1981) klingen in seiner Gestaltung besser als bei den Originalen. In Georg Kreislers bitterbösem Chanson Wien ohne Wiener allerdings liegt Behle etwas neben der Spur, bietet den Glanz einer Operettenarie (à la Treu sein, das liegt mir nicht) statt schwarzem Humor. Sein eigener Humor blitzt aus dem selbst getexteten und komponierten Lied Heimat ist dort, wo der Schlüssel passt und wo man die „Sorgen dieser Welt“ draußen vor der Tür lassen kann.
Hornzauber
Der Sänger hat in dem Quartett German Hornsound – bestehend aus den Hornisten Christoph Eß, Sebastian Schorr, Stephan Schottstädt und Timo Steininger – kongeniale Partner gefunden, deren variables und virtuoses Spiel viele der bekannten Stücke ganz neu erleben lässt. Ich denke da besonders an den Erlkönig, dessen Klavierbegleitung schon manchen Pianisten ins Schwitzen gebracht hat. Welche vielseitigen klanglichen, aber auch erzählerischen und dramaturgischen Möglichkeiten in diesem Instrument stecken, das im Orchester sonst hauptsächlich zur Erzeugung von Stimmungen eingesetzt wird, ist doch verblüffend. Da hat auch der Arrangeur Alexander Krampe ganze Arbeit geleistet. Die gesprochenen Texte bringt der über 90jährige Mario Adorf völlig unverkünstelt auf den Punkt. Ähnliches kann man auch dem nur in deutscher Sprache gehaltenen, überaus informativen Booklet attestieren. Ein Album zum Immer-Wieder-Hören und zum Verschenken!
Ekkehard Pluta [08.11.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Heinrich Isaac | ||
1 | Innsbruck, ich muss dich lassen | 00:02:42 |
Mischa Spoliansky | ||
3 | Der Mensch muss eine Heimat haben | 00:03:00 |
Johannes Brahms | ||
4 | Da unten im Tale WoO 33,6 (Deutsche Volkslieder Heft 1) | 00:02:37 |
Richard Trunk | ||
5 | Die Stadt op. 40 Nr. 3 | 00:03:18 |
Franz Schubert | ||
7 | Erlkönig op. 1 D 328 | 00:04:18 |
Antonín Dvořák | ||
8 | Heimatlied | 00:05:26 |
Hans Naumilkat | ||
10 | Unsere Heimat | 00:03:01 |
trad. | ||
11 | Ein Jäger aus Kurpfalz | 00:02:17 |
Ernst Krenek | ||
13 | Ein Regentag (aus: Reisebuch aus den österreichischen Alpen op. 62) | 00:02:24 |
Daniel Behle | ||
14 | Heimat ist dort, wo der Schlüssel passt | 00:03:26 |
Franz Schubert | ||
15 | Meeres Stille op. 3 Nr. 2 D 216 | 00:02:14 |
Johannes Brahms | ||
17 | Über die Heide op. 86 Nr. 4 | 00:01:25 |
trad. | ||
18 | Kommt ein Vogel geflogen | 00:01:36 |
Richard Wagner | ||
20 | Gralserzählung (aus: Lohengrin WWV 75) | 00:05:50 |
CD/SACD 2 | ||
Ernst Krenek | ||
1 | Motiv (aus: Reisebuch aus den österreichischen Alpen op. 62) | 00:02:24 |
Hanns Eisler | ||
3 | Die Heimat | 00:01:25 |
4 | Die Flucht | 00:00:38 |
Will Meisel | ||
5 | Ein neuer Frühling wird in die Heimat kommen | 00:04:49 |
Hermann Leopoldi | ||
6 | Buchenwald-Lied | 00:02:26 |
Carlo Sigmund Taube | ||
7 | Jüdisches Kind | 00:02:31 |
Werner Friedrich Emil Eisbrenner | ||
9 | Lied der Flüchtlinge | 00:02:43 |
Gustav Mahler | ||
10 | Das irdische Leben (1892/1893 - aus: Des Knaben Wunderhorn) | 00:03:01 |
Franz Schubert | ||
11 | Wandrers Nachtlied I D 224 (Der du von dem Himmel bist) | 00:01:29 |
trad. | ||
13 | Im Frühtau zu Berge (schwed. Volkslied) | 00:01:48 |
Ernst Krenek | ||
14 | Auf und Ab (aus: Reisebuch aus den österreichischen Alpen op. 62) | 00:01:53 |
Georg Kreisler | ||
15 | Wien ohne Wiener | 00:05:10 |
Johannes Oerding | ||
17 | Heimat | 00:03:35 |
Werner Bochmann | ||
18 | Heimat, eine Sterne | 00:03:48 |
Theo Mackeben | ||
19 | Und über uns der Himmel | 00:04:32 |
Interpreten der Einspielung
- Daniel Behle (Tenor)
- german hornsound (Hornquartett)
- Mario Adorf (Sprecher)