Franz Schubert
Winterreise
Rondeau ROP6201
1 CD • 73min • 2020
17.04.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Schaut man sich die längst unübersichtliche Diskographie von Schuberts Liedzyklus Winterreise an, so fällt auf, dass man neben den weit über 100 Einspielungen der originalen Klavierfassung seit etwa 30 Jahren auf Bearbeitungen für Solo-Instrumente oder Kammerorchester trifft. Den prominenten Anfang machte 1993 Hans Zender mit seiner Fassung für Tenor und kleines Orchester, die er zutreffend „eine komponierte Interpretation“ nannte. Wohl zu Recht vergessen ist die Orchesterversion des Japaners Yukikazu Suzuki, für Hermann Prey geschrieben und von diesem 1997 in Bad Urach uraufgeführt. Sehr originell scheint die Fassung von Normand Forget mit Akkordeon und Bläserquintett (2008), die Christoph Prégardien aus der Taufe gehoben und auch eingespielt hat. Es gibt daneben zahlreiche Kammermusikfassungen für Streicher (bevorzugt Streichquartett) und Bläser, häufig auch unter Aussparung eines Sängers. Zuletzt erschien bei hänssler classics eine Version für Oboe, Fagott und Klavier. Da die Liedtexte im Booklet abgedruckt sind, mag man dabei an Karaoke denken.
Den Klavierpart weitergedacht
Solche Arrangements sind durchaus legitim, für mich ist dabei das einzige Kriterium, ob sie dem Werk neue Facetten abgewinnen. Das Arrangement für mittlere Stimme und Streichtrio von Shane Woodborne hat mich nach anfänglicher Skepsis mehr und mehr überzeugt, da es sehr eng an der originalen Klavierfassung bleibt. Der aus Südafrika stammende Komponist holt mit Violine, Viola und Cello aus der Begleitung Klangwirkungen heraus, die im Klaviersatz schon angelegt sind, aber von einem Tasteninstrument so nicht hervorgebracht werden können. Ein paar wenige Beispiele: Die „bunten Blumen“ im Frühlingstraum glaubt man im einschmeichelnden Violinsolo förmlich zu riechen. In Die Krähe entwickelt das Streichtrio den kargen Begleitton des Klaviers organisch weiter. Und im positiv gestimmten, trotzig fröhlichen Mut scheint eine fidele Dorfkapelle aufzuspielen. Das habe ich so noch nicht gehört. Der Erfolg dieses Arrangements ist natürlich zu einem guten Teil das Verdienst der drei Instrumentalisten Daniel Sepec, Donata Böcking und Patrick Sepec, die sich als Erzmusikanten erweisen, die wechselnden Stimmungen der Lieder gut einfangen und gelegentlich scharfe dramatische Akzente setzen.
Sängerische Sachlichkeit
Sie bieten dem Sänger Klaus Mertens, der den Zyklus in der Klavierfassung bereits zweimal eingespielt hat, auch in emotionaler Hinsicht einen tragfähigen Untergrund. Denn Mertens, der seine Reputation vor allem seinen Interpretationen von Werken Bachs und Telemanns verdankt, ist kein romantischer Sänger, neigt eher zur Sachlichkeit und Klarheit, setzt Text und Musik mit demonstrativer Deutlichkeit um. Da wirkt jede Nuance ausgefeilt. Für Betroffenheit, Selbstmitleid oder Verzweiflung ist da kein Platz. Mit hoher Bewunderung habe ich die rein gesangliche Leistung des zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 71jährigen Sängers registriert, der keinerlei stimmliche und technische Probleme zu haben scheint, wenigstens 20 Jahre jünger klingt als er ist, und bruchlos von kernig bassigen Passagen in tenorale Klanggefilde wechseln kann.
Insgesamt eine Einspielung, die man allen Kennern der Winterreise, die schon mehrere Referenz-Aufnahmen des Zyklus besitzen, als reizvolle Außenseiter-Variante durchaus empfehlen kann.
Ekkehard Pluta [17.04.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Gute Nacht op. 89 Nr. 1 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:05:52 |
2 | Die Wetterfahne op. 89 Nr. 2 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:51 |
3 | Gefrorne Tränen op. 89 Nr. 3 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:42 |
4 | Erstarrung op. 89 Nr. 4 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:11 |
5 | Der Lindenbaum op. 89 Nr. 5 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:04:44 |
6 | Wasserflut op. 89 Nr. 6 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:04:40 |
7 | Auf dem Flusse op. 89 Nr. 7 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:43 |
8 | Rückblick op. 89 Nr. 8 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:39 |
9 | Irrlicht op. 89 Nr. 9 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:45 |
10 | Rast op. 89 Nr. 10 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:26 |
11 | Frühlingstraum op. 89 Nr. 11 D 911Nr. 11 (aus: Die Winterreise) | 00:03:51 |
12 | Einsamkeit op. 89 Nr. 12 D 911 Nr. 12 (aus: Die Winterreise) | 00:02:30 |
13 | Die Post op. 89 Nr. 13 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:20 |
14 | Der greise Kopf op. 89 Nr. 14 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:58 |
15 | Die Krähe op. 89 Nr. 15 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:59 |
16 | Letzte Hoffnung op. 89 Nr. 16 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:24 |
17 | Im Dorfe op. 89 Nr. 17 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:13 |
18 | Der stürmische Morgen op. 89 Nr. 18 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:00 |
19 | Täuschung op. 89 Nr. 19 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:26 |
20 | Der Wegweiser op. 89 Nr. 20 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:04:03 |
21 | Das Wirtshaus op. 89 Nr. 21 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:03:55 |
22 | Mut op. 89 Nr. 22 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:01:29 |
23 | Die Nebensonnen op. 89 Nr. 23 D 911 (aus: Die Winterreise) | 00:02:41 |
24 | Der Leiermann op. 89 Nr. 24 D 911 Nr. 24 (aus: Die Winterreise) | 00:04:04 |
Interpreten der Einspielung
- Klaus Mertens (Bass)
- Daniel Sepec (Violine)
- Donata Böcking (Viola)
- Patrick Sepec (Violoncello)