Anders Eliasson
Symphonies Nos 3 & 4, Trombone Concerto
BIS 2368
1 CD/SACD stereo/surround • 77min • 2017
05.03.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die Ersteinspielung der 2005 komponierten und im Januar 2007 in der Münchner Musica viva vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Christoph Poppen uraufgeführten 4. Symphonie ist das Hauptereignis dieser neuen Portrait-CD des schwedischen Komponisten Anders Eliasson (1947-2013), den viele Kenner für den überragenden Komponisten seiner Generation halten. Die 4. Symphonie unterstreicht derlei Einschätzung nachdrücklich, gelingt es Eliasson doch auch hier, über 27 Minuten in einem Satz eine kontinuierlich zusammenhängende dynamische Formentwicklung von enormer Spannkraft zu schaffen, bei der weit mehr drin ist als die viel beschworene ‚Originalität‘ (es ist ja ohnehin so, dass man schon nach wenigen Tönen hören kann, wer diese Musik geschrieben hat, so eigentümlich ist insbesondere die freitonal schwerelos deklamierende, singende, hämmernde, wirbelnde harmonische Sprache).
Durch und durch organisch
Diese Musik quillt über vor empordrängendem Leben, atmet mit jeder Faser unbedingten Daseinswillen, spricht grundsätzlich nur Wesentliches, zieht den konzentrierten, offenen Hörer von der ersten bis zur letzten Sekunde in ihren Bann. Und dass ein Zweitonmotiv einen so machtvollen Wiedererkennungswert hat, ist an sich schon sensationell. Darum: mit Anders Eliassons 4. Symphonie ist – endlich – eines der ganz großen Meisterwerke der Symphonik des letzten halben Jahrhunderts jedermann zugänglich gemacht, und dies in einer exzellenten Aufführung des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Sakari Oramo, der auch hier wieder mit seinen zentralen Stärken besticht: rhythmische Präzision, die aus dem natürlichen Schwung und nicht aus statischem Zählen heraus entsteht, und stets erstaunliche Balance des Gesamtklangs, die uns – auch dank der exzellenten Tontechnik von Matthias Spitzbarth und Hans Kipfer – fast alles wahrnehmen lässt, was sich gleichzeitig im Orchester ereignet, und das ist oft so einiges gegensätzlich Agierende. Auch die Steigerungen gelingen sehr stringent und fesselnd, und das große Flügelhorn-Solo im langsamen Mittelteil sowie das Wiederaufgreifen desselben in der wiederum verbreiterten Coda – gespielt von Joakim Aknas – ist ganz wunderbar makellos und berührend manifestiert. Eine durch und durch organische Musik, die als solche auch begriffen und umgesetzt wird!
Gewaltlos klar
Mit den gleichen Musikern wurde 2011 auch die hiermit nach über einem Jahrzehnt veröffentlichte Ersteinspielung des Posaunenkonzerts von 2000 realisiert – mit dem Solisten Christian Lindberg, der sich mittlerweile überwiegend als Dirigent versteht. So herausfordernd das Werk für den Solisten als teils wild gezacktes gesangliches Kontinuum ist, so grandios ist die instrumentale Leistung Lindbergs – schwer vorstellbar, dass jemand dies technisch besser meistert. Jedenfalls würde ich dieses gleichfalls einsätzige Großwerk eher als Symphonie denn als Konzert für Posaune und Orchester bezeichnen – der Solist führt zwar fast durchgehend das Geschehen, oft in intensivem Dialog, an, doch geht es hierbei niemals um die Demonstration einer Virtuosität, die allein aus musikalischer Notwendigkeit gefordert ist. Insofern ist es auch kein instrumental effektvolles Konzert, sondern ein riesiger, teils heftig kontrastierender, gemeinsam mit dem Orchester entfalteter Entwicklungsbogen, wobei – umgekehrt zur 4. Symphonie – wie in der großartig aufgebauten ‚Sinfonia per archi‘ die Grundform langsam-schnell-langsam vorliegt. Ein wundervolles Werk, das sicher meditativ inniger, kaum jedoch instrumental beeindruckender gespielt werden kann. Und wieder bin ich frappiert, wie gewaltlos klar sich das Spiel des Rhythmischen unter Oramos Händen artikuliert, wie es niemals nebulös wird.
Schlüsselkomposition
Die CD wird eröffnet von der in 5 scharf kontrastierenden Abschnitten in einem Satz durchkomponierten 3. Symphonie von 1989, einem der ganz großen Meisterwerke Eliassons. Der Übergang vom 3. Satz (Fremiti) zum 4. (Lugubre) gehört zu den ergreifendsten Situationen der Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts – auch hier ist er wieder als solcher erlebbar, wenn auch weniger bezwingend und eindrücklich als in der Ersteinspielung mit dem phänomenalen Widmungsträger John-Edward Kelly, dem leider viel zu früh verstorbenen bedeutendsten klassischen Altsaxophonisten überhaupt.
Für Anders Paulsson, der hier die zweite Einspielung des Werkes vorlegt, hat Eliasson 2010 ein Arrangement für Sopransaxophon und Orchester autorisiert, das lagemäßig natürlicher geraten sein mag und dem Werk mehr künftige Aufführungen sichern dürfte (wer hätte es schon jemals, zumal im ganz hohen Register, wieder so spielen können wie Kelly?), was jedoch mit bemerkenswerten Einbußen an Intensität, Dramatik und Tiefe einhergeht. Begleitet wird Paulsson, der das teils rhythmisch rasant vertrackte und kantabel so anspruchsvolle Werk wach und intelligent darbietet, von den Göteborger Symphonikern unter Johannes Gustavsson, der ähnlich Oramo ein bewährter Fachmann in Sachen Eliasson ist. Also durchaus eine respektgebietende, grundsolide Aufführung einer Schlüsselkomposition, die auch schon von anderen als ‚Jahrhundertwerk‘ gepriesen wurde – und ich übertreibe nicht, wenn ich diese Sichtweise teile. Die Göteborger Aufnahme vom Team Andreas Ruge und Thore Brinkmann ist nicht ganz so brillant und durchsichtig gelungen wie die beiden Stockholmer Einspielungen, doch weitgehend sehr gut.
Selbsterneuernde kinetische Energie
Besondere Erwähnung verdient der Booklettext aus der Feder des weltweit führenden Wiener Eliasson-Kenners Peter Kislinger, dem wir auch verdanken, dass die handschriftliche Skizze Eliassons zu seinem freitonalen System, das keines im begrenzenden Sinne ist (also jener ‚triangulatorischen‘ Harmonik, die den Eindruck des fortwährenden Fliegens, der sich ständig aus eigener Kraft erneuernden kinetischen Energie, hervorbringt), das Cover ziert und damit den hochwertigen Charakter der gesamten CD auch optisch unterstreicht. Niemand, der sich für die Symphonik der Epoche nach Schostakowitsch und Pettersson und für substanzielle musikalische Alternativen zum Mainstream der Avantgarde seit den 1960er Jahren interessiert, sollte sich dieses Album entgehen lassen.
Christoph Schlüren [05.03.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anders Eliasson | ||
1 | Sinfonie Nr. 3 für Orchester und Sopransaxophon | 00:27:34 |
6 | Concerto per Trombone | 00:21:56 |
7 | Sinfonie Nr. 4 | 00:26:46 |
Interpreten der Einspielung
- Anders Paulsson (Sopransaxophon)
- Gothenburg Symphony Orchestra (Orchester)
- Johannes Gustavsson (Dirigent)
- Christian Lindberg (Posaune)
- Royal Stockholm Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Sakari Oramo (Dirigent)