Harrison Birtwistle
Chamber Works
BIS 2561
1 CD/SACD stereo/surround • 65min • 2021
01.03.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Sir Harrison Birtwistle (Jahrgang 1934) fühlte sich zu Beginn seiner Komponistenlaufbahn den beiden, etwa gleichaltrigen späteren Mitstreitern der sogenannten Manchester School – Peter Maxwell Davies und Alexander Goehr – handwerklich unterlegen. Dies führte allerdings letztlich dazu, dass gerade Birtwistle vielleicht am klarsten eine unverkennbar persönliche Musiksprache entwickeln musste, quasi als Gegenpol zur Weltgewandtheit der genannten Kollegen. Das Zusammen-, aber ebenso Entgegenwirken, von Linie und Puls war immer zentraler Punkt bei seinen vielfältigen Techniken. Bewegen sich seine großbesetzten Orchester- und Musiktheaterwerke mit gewissen Tendenzen zur Hyperkomplexität und untrüglichem Gespür für hochgradige Dramatik oft in archaisch dunklen Klangräumen, erlaubt sich Birtwistle in seiner Klavier- bzw. Kammermusik auch Momente von Gelöstheit, Ironie oder Humor. Die vorliegende Neuerscheinung mit dem mittlerweile seit gut vierzig Jahren bestehenden Nash Ensemble – seit 2010 residentes Kammerensemble der Wigmore Hall – stellt drei neueren Kompositionen aus den 2010er Jahren ein – leicht revidiertes – Werk von 1981 gegenüber.
Oboenmusik mit nervöser Unruhe
Pulse Sampler für Oboe und Schlagzeug – ursprünglich nur Claves, in der überarbeiteten Version von 2018 glücklicherweise mit sensibel erweitertem Arsenal – demonstriert Birtwistles irritierendes Spiel mit Linie und Puls geradezu exemplarisch: In dem nur zehnminütigen, kontinuierlichen Stück kommen die beiden Spieler nur in einem der 28 Abschnitte mal rhythmisch wirklich zusammen. Zudem spielt die Oboistin Melinda Maxwell – bereits die Uraufführungsinterpretin – ihren, in den vorzüglichen Liner Notes von Bayan Northcott treffend als „hyperaktiv“ charakterisierten, Part zwar mit zwingender, jedoch übertriebener musikalischer Gestik. In ihrer Direktheit – mal abgesehen von durchaus kompositorisch eingepreisten mikrotonalen Verfärbungen – ist sie klanglich zu undifferenziert; und so wirkt das ein wenig wie permanent misshandeltes Federvieh.
Hohe Komplexität, dennoch verständlich
Wesentlich souveräner erscheinen das Klaviertrio von 2011 und das über zwei Jahre schließlich zur Viersätzigkeit angewachsene Oboenquartett (Oboe + Streichtrio). Im 15-minütigen, ebenfalls durchgehenden Klaviertrio fungieren die beiden Streicher quasi als Duo mit abwechslungsreichen, zweistimmigen Inventionen gegen ein eher starres, teils bedrohliches Klavier. Dabei präsentiert Birtwistle jedoch eine spannende Gesamtform mit verständlicher Zielgerichtetheit. Im Quartett – freilich auch das dankbarere Stück: zugleich leidenschaftlich virtuos und kontrolliert – kann Oboist Gareth Hulse dann mehr überzeugen als Maxwell in Pulse Sampler, besonders im beeindruckenden IV. Satz. Das Duet for Eight Strings (2018) – und hier sind tatsächlich Saiten und nicht Streicher gemeint – gelingt Lawrence Power (Viola) und Adrian Brendel (der Sohn Alfred Brendels, Cello) fantastisch austariert. Wie homogen gerade im piano oder pianissimo die beiden hier agieren, ist staunenswert. Die emotionale und dynamische Spannweite dieses – mit zwanzig Minuten indes etwas zu langen – Werkes ist riesig, und nicht nur der sich in unendliche Höhen verflüchtigende Schluss bleibt geheimnisvoll: trotzdem für diese seltene Besetzung ein ungemein starker Beitrag. Birtwistle bleibt auch mit seiner neuesten Kammermusik weiterhin ein Schwergewicht der britischen Musik. Aufnahmetechnisch ist die BIS-Produktion mal wieder ohne den kleinsten Makel.
Martin Blaumeiser [01.03.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Harrison Birtwistle | ||
1 | Trio für Klavier, Violine und Violoncello | 00:15:25 |
2 | Duet for Eight Strings | 00:19:40 |
3 | Pulse Sampler | 00:09:57 |
4 | Oboe Quartet | 00:18:24 |
Interpreten der Einspielung
- The Nash Ensemble (Ensemble)