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Besprechung CD

Ludwig van Beethoven

Complete Piano Concertos

DG 483 9971

3 CD • 2h 53min • 2020

08.08.2021

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Natürlich ist es absolut statthaft, wenn ein Weltklassepianist wie Krystian Zimerman nach 30 Jahren erneut alle fünf Beethoven-Klavierkonzerte aufnimmt. Gerade angesichts der Tatsache, dass Zimermans erste Einspielung auf Deutsche Grammophon – die letzten drei Konzerte dirigierte 1989 Leonard Bernstein, die beiden ersten leitete nach dessen plötzlichem Tod dann der Pianist vom Klavier aus – schon ein solch hohes Niveau hat, schürt eine Neuaufnahme natürlich Erwartungen, die kaum zu erfüllen sind. Entweder ein Interpret präsentiert eine deutlich veränderte Sichtweise, oder liefert eine in wirklich allen Belangen noch perfektere Darbietung ab. Beides ist hier nicht der Fall; trotzdem kann Zimerman mit dem London Symphony Orchestra unter Simon Rattle erneut überzeugen.

Humorvolle Jugendlichkeit unter Corona-Bedingungen

Die Aufnahme vom Dezember 2020 aus St. Luke‘s in London entstand unter strengen Corona-Auflagen: große Abstände und Plexiglaswände zwischen den Orchesterpulten. Ob es daran liegt, dass die Aufnahme insgesamt doch etwas weichgezeichnet, um nicht zu sagen, zumindest im Orchester leicht matschig klingt, oder dies genau ins Konzept von Zimerman und Simon Rattle passte, lässt sich von außen schwer beurteilen. Ungewöhnlich: Der Pianist verwendet für die einzelnen Konzerte unterschiedliche Tastaturen, was natürlich den Klang eines modernen Flügels nur unwesentlich ändert, aber eine bestimmte Anschlagshärte in die eine oder andere Richtung wohl erleichtert. Tatsächlich spielt Zimerman die beiden ersten Konzerte heute humoriger, stellenweise gar jugendlich unwirsch – 1991 hörte man da etwas zu viel altkluge Gediegenheit. Allerdings vermisst man bei den beiden ungarisch angehauchten Couplets in den jeweiligen Final-Rondos eine gewisse Wildheit. Im Kopfsatz des C-Dur-Konzerts wählt der Pianist nun die kürzeste der drei von Beethoven nachkomponierten Kadenzen; diese wirkt im Kontext glaubwürdiger als die völlig überdimensionierte längste.

Echte c-Moll-Dramatik im dritten Konzert

Der größte Unterschied zeigt sich bei Zimerman im dritten Konzert: Der erste Satz erklingt deutlich aggressiver, dramatischer; der zweite atmet noch inniger als unter Bernstein. Und im dritten Satz gelingt eine echte Meisterleistung: Die „Aufgänge“ vor den wiederkehrenden Refrains hat man wohl kaum je so brillant und aufregend gehört; auch das Presto am Schluss ist umwerfend. Das Orchester könnte allerdings im Detail noch präziser sein; z.B. erscheint der Quartsextakkord vor der Kadenz im ersten Satz irgendwie unvorbereitet. Vieles präsentiert sich lediglich routiniert, aber ohne gelebte Spannung – schade!

Delikat ohne aufzutrumpfen

Im vierten und fünften Konzert kann der Rezensent nun beim besten Willen kein verändertes Konzept erkennen: Zimerman kostet noch etwas stärker kleinste Anschlagsnuancen aus als in der alten Aufnahme, gerade im Finale des G-Dur-Konzerts, das mit enormem, gleichzeitig abgeklärtem Witz daherkommt. Rattle folgt den delikaten, agogischen Freiheiten des Pianisten quasi blind: ein eingespieltes Team. Hingegen sind die Orchesterrezitative im langsamen Satz zu lakonisch, um die expressiven Antworten des Klaviers verständlich erscheinen zu lassen: Hier treffen zwei völlig getrennte Welten aufeinander – eine vielleicht legitime Deutung. Das Es-Dur-Schlachtschiff trumpft keineswegs auf, wirkt fast leichtfüßig, sogar im ersten Satz; aber eine gewisse, geradezu desolate Rätselhaftigkeit, wie sie bisweilen etwa Daniel Barenboim live gelang, trauen sich Rattle und Zimerman nicht wirklich zu. Fazit: Zweifellos eine edle, aus pianistischer Sicht sogar kaum zu übertreffende, vorbildliche Darbietung mit wenig Tiefenschärfe im Orchester und ohne Mut zu Extremen – empfehlenswert, aber sicher keine Offenbarung.

Vergleichsaufnahmen: Krystian Zimerman, Wiener Philharmoniker, Leonard Bernstein (DG 435 467-2, 1989/91); Alfred Brendel, Wiener Philharmoniker, Simon Rattle (Philips 462 781-2, 1997-98); Jos van Immerseel, Tafelmusik, Bruno Weil (Sony 88725463902, 1995-96).

Martin Blaumeiser [08.08.2021]

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