Zeitenwende Tribschen
Mathias Weber an Wagners Érard
Ambitus amb95 600
1 CD • 74min • 2018
13.11.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Als Richard Wagner im Frühjahr 1858 von der Witwe des Klavierbauers Pierre Érard den heiß ersehnten Flügel als Geschenk erhielt, geriet er gleich ins Schwärmen: „Der neue Flügel schmeichelte meiner musikalischen Empfindung ungemein, und ganz von selbst geriet ich beim Phantasieren auf die weichen Nachtklänge des zweiten Aktes vom Tristan“. Viele Jahre blieb der Érard-Flügel sein treuer Begleiter beim Komponieren. Heute steht er im Wagner-Museum in Tribschen, das jetzt zu Luzern gehört. Und der mit historischen Instrumenten dieser Firma bestens vertraute Pianist Mathias Weber hat ihn jetzt wieder zum Klingen gebracht. Tristan ist im vorliegenden Programm eingebettet in Kompositionen von Chopin und Liszt, die beide mit einem Érard-Flügel gearbeitet haben, wobei Chopin einmal geäußert hat, er benutze ihn, wenn er nicht in Stimmung sei, um auf Anhieb den richtigen Ton zu finden, während er im Schaffensrausch einem Pleyel den Vorzug gebe.
Trockenheit und Ekstase
Der CD-Titel „Zeitenwende“ zielt auf den sich in der Tristan-Komposition manifestierenden Übergang von vollendeter Romantik zu sich ankündigender Moderne. Chopin wird in dieser Konstellation als Vorläufer Wagners gesehen, Liszt als eine Art Jünger, dessen Arbeiten auf den französischen Impressionismus vorausweisen. Wie mag der mythische Tristan-Akkord auf dem Originalflügel des Meisters geklungen haben? Die hier gegebene Antwort ist ernüchternd: ziemlich trocken und prosaisch. Jedenfalls im schülerhaften Klavierarrangement Hans von Bülows. Das liegt nicht am Pianisten, der in Liszts kongenialer Adaption des Liebestods den rauschhaften Charakter der Musik erlebbar macht.
Chopins Modernität
Über die Bedeutung Chopins als Wegbereiter der Moderne war ich mir bisher nicht im Klaren. Weber erkennt sie vor allem in seinem Spätwerk, explizit in der durchkomponierten Polonaise-Fantasie op. 61, in der die herkömmliche Tonalität aufgehoben wird, und in der Barcarolle op. 60, in der ihm die „Emanzipation des Klanges“ auffällt (etwa durch einen auf Terzen aufgebauten Siebenton-Akkord, den es vorher in der Musikgeschichte nicht gegeben habe). Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, das mit sieben von zehn Titeln ingesamt etwas Chopinlastige Programm durch ein oder zwei Stücke von Debussy und Ravel zu ergänzen. Durch sein eher auf Demonstration und Analyse als auf Stimmungen oder virtuose Selbstdarstellung setzendes Spiel wäre Weber der geeignete Interpret, solche Zusammenhänge hörbar zu machen.
Ekkehard Pluta [13.11.2020]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Frédéric Chopin | ||
1 | Mazurka Nr. 36 a-Moll op. 59 Nr. 1 | 00:03:59 |
2 | Mazurka Nr. 37 As-Dur op. 59 Nr. 2 | 00:02:35 |
3 | Mazurka Nr. 38 fis-Moll op. 59 Nr. 3 | 00:03:29 |
4 | Barcarolle Fis-Dur op. 60 | 00:08:57 |
5 | Nocturne H-Dur op. 62 Nr. 1 | 00:07:10 |
6 | Nocturne E-Dur op. 62 Nr. 2 | 00:06:14 |
7 | Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61 | 00:14:43 |
Richard Wagner | ||
8 | Tristan-Vorspiel (bearb.: Hans von Bülow) | 00:10:35 |
9 | Isoldes Liebestod (Bearb. für Klavier) | 00:07:33 |
Franz Liszt | ||
10 | Les jeux d'eau à la Villa d'Este S 163:4 (aus: Années de pèlerinage: Troisième année) | 00:08:40 |
Interpreten der Einspielung
- Mathias Weber (Klavier)