Johannes Brahms
Ein deutsches Requiem
Naxos 8.574273
1 CD • 76min • 2019
24.10.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Immer hat der am besten zu trösten vermocht, der selbst des Trostes bedarf“, sagt Peter Gülke (in „Brahms/Bruckner. Zwei Studien“) über das Deutsche Requiem von Johannes Brahms. Trostlosigkeit, Trostbedürfnis und Trostgewährung verschränken sich in diesem Trauergesang. Der musikalische Trost in dieser Aufnahme des Bachchores Mainz unter Ralf Otto liegt vor allem im Spiel der Deutschen Radio Philharmonie. Die wird auch durch die Aufnahmetechnik in den Vordergrund gerückt, der Chor steht nicht nur real, sondern auch akustisch hinter dem Orchester.
Fast ein Orchester-Requiem
Die Geigen schmelzen wehmütig-zärtlich, die Oboe klagt vorschriftsmäßig, die Harfe kündigt deutlich hörbar in Teil I die Tränen und in Teil II die „Zukunft des Herrn“ an, die Hörner tönen freudebringend in Teil I („kommen mit Freuden“) und mit den Posaunen Hoffnung verheißend in Teil III („Ich hoffe auf dich“), die „köstliche Frucht“ blüht schillernd zwischen Ges-Dur und D-Dur und wuchtig-höllendrohend wächst das Orchester-Crescendo in Teil II vor dem Chor-Fortissimo: Fast möchte man von einem Orchester-Requiem sprechen. Denn auch das musikalisch ausgemalte „Dies irae“ in Teil VI ereignet sich mehr im Orchester als im Chor.
Etwas wenig metaphysischer Schauer
Dafür sind der Chor und das Orchester artikulationsmäßig sehr gut abgestimmt und verzahnt, beide sind immer gleichzeitig auf dem Schlag, alles lebt und webt zusammen. Das ist zweifelsohne die Leistung des Dirigenten Ralf Otto. Der Chor deklamiert vorbildlich gestisch im Schmerz und im Seufzen und beginnt auch wirklich den Teil I im ganz leisen Piano, um am Ende dieses Teils (bei Takt 150) in ein plötzliches Forte auszubrechen, als blitzte ein hoffnungsvoller Trost-Sonnenstrahl auf. Der Chor-Alt hört sich wirklich dunkel getönt an, die Tenöre singen mit leichter Stimmgebung, der Sopran bleibt auch in höchsten Höhen rund – ihm fehlt aber ein bisschen das Lichtvolle. Im schwer lastenden Trauerkondukt des Teiles II lässt Ralf Otto den Chor ein strenges Legato singen („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“): ein gewichtigeres Portato oder auch Marcato würde den Trauermarsch-Gestus stärker betonen. Auch in der berühmten langen Orgelpunkt-Phase in Teil III könnte der Chor deutlicher skandieren, da verschwimmt er zu sehr mit dem Orchesterklang. Dafür lässt der Dirigent in Teil IV den Chor unbegründet fast aufstampfend lobpreisen. Insgesamt vermisst man beim Chor an den dafür maßgebenden Stellen das Angstvolle, das Aufheulend-Hysterische, zum Beispiel bei dem angstbebenden Triolenmotiv in den Takten 130 und 136, das das ähnliche Orchestermotiv aus Teil III aufgreift. Alles ist hervorragend einstudiert und exakt wiedergegeben – aber ein bisschen metaphysischen Schauer vermisst der Rezensent.
Trostreiche Schluss-Ruhe
Matthias Winckhler singt angenehm klar, natürlich timbriert und völlig ohne donnerndes Propheten-Pathos seine Worte wirklich als Piano-Bitte – aber dann auch ohne todesängstlichen Schrecken. Der Sopran von Christina Gansch ist technisch makellos – aber nicht unbedingt innig-mutterselig.
Gelassene, glaubenssichere und trostreiche Ruhe herrscht schließlich im letzten Teil, in dem alles stimmt: Warme, schier umarmend warme Orchesterfarben mit gleichsam vom Himmel schwebenden Geigen, ein hochdiszipliniert-geschlossener und hochtransparenter Chorklang und dann ein unmerkliches Drängen hin zum „selig“-Schluss mit den zum Himmel aufsteigenden Harfentönen.
Rainer W. Janka [24.10.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
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CD/SACD 1 | ||
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Johannes Brahms | ||
1 | Ein deutsches Requiem op. 45 für Sopran, Bariton, Chor und Orchester (nach Worten der Heiligen Schrift) | 01:15:37 |
Interpreten der Einspielung
- Christina Gansch (Sopran)
- Matthias Winckhler (Bass)
- Bachchor Mainz (Chor)
- Deutsche Radio Philharmonie (Orchester)
- Ralf Otto (Dirigent)