Ben-Haim • Bloch • Korngold
Cello Concertos
cpo 555 273-2
1 CD • 68min • 2018
07.11.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Drei Cellokonzerte jüdischer Komponisten, entstanden 1946, 1954 und 1962, spielt Raphael Wallfisch, begleitet vom BBC National Orchestra of Wales unter Lukasz Borowicz. Was nicht so ganz stimmt: denn Ernest Bloch Symphony for Cello and Orchestra ist nichts weiter als eine notengetreue Wiedergabe der Symphony for Trombone and Orchestra, also seiner Posaunen-Symphonie von 1954. Wallfisch bezieht die Legitimation seiner Darbietung aus der Tatsache, dass im Klavierauszug des Werkes die alternative Möglichkeit, es auf dem Cello zu spielen, angegeben ist. Wenn man das Werk wirklich als Alternativfassung für Cello begreifen will, wäre ein blechbläserischer Ausdruck und weniger Vibrato sehr hilfreich. Auch die beiden ersten Sätze von Blochs zeitlos wunderbarem ‚Yiddish Folk‘-Hit Baal Shem sind eine Transkription auf Grundlage der unveränderten Orchesterfassung von 1939, nunmehr von der Geige zum Cello transferiert, und unverständlicherweise unter Weglassung des ausgelassenen ‚Simchas Torah‘-Finales (die CD-Gesamtzeit hätte dafür noch ausgereicht). Und eine weitere Übertragung findet sich unmittelbar nach Korngolds Konzert: das ‚Tanzlied des Pierrot‘ aus der heute wieder so erfolgreichen Oper Die tote Stadt, die zwar den symbolistischen Roman Bruges la morte von Georges Rodenbach so entstellt, dass sich nicht nur dieser im Grab umdrehen dürfte, jedoch viel sehr gefällige Musik hervorgebracht hat, in diesem Fall sogar eine richtig gemütlich schmalzige Wiener Nummer.
Raphael Wallfisch ist ein echter Virtuose, der auch extrem halsbrecherische Passagen mit stupender Geläufigkeit und abgebrühter Souveränität beherrscht. Sein Ton ist insgesamt sehr sehnig monochrom, und vor allem in den modalen Stücken (also Ben-Haims Konzert und Blochs Baal Shem) vermisse ich eine aus der melodischen Energie sich ergebende Phrasierung, denn zu sehr hängt er daran, vor allem die schweren Zeiten durch Verlängerung hervorzuheben, was den Elan des Melos schwächt und den Ausdruck konventionalisiert – womit er sich freilich in guter Gesellschaft der meisten Kollegen wiederfindet. Das Orchester unter Borowicz begleitet geistesgegenwärtig und mit der von einem britischen Klangkörper zu erwartenden ungetrübten Professionalität, aber man merkt gerade bei Ben-Haim, und auch etwas bei Bloch, deutlich, dass die Musiker die Musik vom Blatt lesen und den Zusammenhang nicht kennen. Das gelingt dann fantasievoller in langsamen Tempi als in schnellen Sätzen.
Paul Ben-Haim (1897-1984), in München als Paul Frankenburger geboren und rechtzeitig nach Palästina emigriert, gehört zu den Säulenheiligen der vom Staat so sträflich vernachlässigten israelischen Musik und versuchte offenkundig, eine idiomatisch jüdische Musik zu schreiben. Sein Konzert von 1962 ist das eindeutig schwächste Werk, wenig inspiriert im Melodischen, harsch in der etwas stereotypen Motivik und Rhythmik des nach Arbeit klingenden Kopfsatzes, sinnlich und recht simpel im atmosphärischen Mittelsatz, jovial und mitreißend musikantisch im volkstümlichen Finale mit seiner leichten Hava-Nagila-Schlagseite. Das ebenso eindeutig stärkste Werk ist Blochs dreisätzig kompakte Posaunen-Symphonie, mit der grundlegenden Konfrontation von Tritonus und reiner Quint/Quart, ein großes Meisterwerk konziser Dramatik, wo jede Wendung, mit kraftvollem Pinselstrich aufgetragen, ohne jegliche Überflüssigkeiten und doch keineswegs strikt geraten. Dunkle Poesie und das Echo der Schrecken des vorangegangenen Jahrzehnts prägen das Werk des Schweizer US-Migranten. Erich Wolfgang Korngolds einsätziges, äußerst wirkungsvolles, extravertiertes und idiomatisch virtuoses Konzert von 1946 ist das im Tonfall vertrauteste, man hört auch immer wieder die Nähe zu Richard Strauss heraus, man genießt die Professionalität von Tonsatz und Orchestration, die aus allen Poren dieser Musik atmet, das Orchester ist plötzlich so ganz zuhause, der Solist darf sich bedenkenlos gehen lassen, und natürlich sollte man hier nicht den Tiefgang suchen, mit dem etwa Bloch uns beschenkt. Wegen Bloch und Korngold lohnt diese CD, auch wenn ich unglücklich finde, dass mit Ben-Haim die am wenigsten wertvolle und interessante Komposition den Einstieg bildet. Klangtechnisch ist das Cello sehr dominant abgebildet, immer wieder erschrickt man etwas über die unnatürliche Nähe und Power der Holzbläser, aber diese Probleme kennen wir von fast allen Aufnahmen für Soloinstrument (außer Klavier) und Orchester. Durch Jessica Duchens Booklettext ist man gut informiert.
Christoph Schlüren [07.11.2019]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Paul Ben-Haim | ||
1 | Konzert für Violoncello und Orchester | 00:22:01 |
Ernest Bloch | ||
4 | Sinfonie für Violoncello und Orchester | 00:17:52 |
Erich Wolfgang Korngold | ||
7 | Konzert in D (in einem Satz) | 00:13:17 |
8 | Tanzlied des Pierrot für Violine und Klavier (aus: Die tote Stadt op. 12, 1920) | 00:04:17 |
Ernest Bloch | ||
9 | Baal Shem for Violin, Clarinet and Strings | 00:03:00 |
10 | Nigun | 00:06:53 |
Interpreten der Einspielung
- Raphael Wallfisch (Violoncello)
- BBC National Orchestra of Wales (Orchester)
- Łukasz Borowicz (Dirigent)