Johann Sebastian Bach
St Matthew Passion BWV 244
Naxos 8.574036-38
3 CD • 2h 51min • 2018
02.04.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Nach der himmelstürmend-fulminanten Johannespassion und dem turbulent-freudigen Weihnachtsoratorium legt Ralf Otto mit dem Bachchor und Bachorchester Mainz nun Bachs Matthäuspassion vor – und wieder ist es eine tief beeindruckende Aufnahme von diesem „in fast ununterbrochenem Moll gewiss wunderbar wogenden Wolkenmeer von Seufzern, Klagen und Anklagen, von Ausrufen des Entsetzens, des Bedauerns, des Mitleidens: einer Trauer-Ode, die in einem regelrechten Grabgesang ihren Ausklang findet“, wie der große evangelische Theologe Karl Barth 1955 in seiner Dogmatik schreibt – auch wenn er theologisch meint, „dass das bestimmt nicht die Passion Christi ist.“
Günter Jena postuliert in seiner Matthäuspassion-Monografie aus dem Jahre 1993: „Besonders schwer ist es, der ausufernden Espressivität und der kristallinen Formstrenge seiner Musik gleichermaßen gerecht zu werden.“ Diesmal scheint mir Ralf Otto mehr zur „kristallinen Formstrenge“ zu neigen, weniger zur Espressivität, weniger zur seelischen Überwältigung. Das scheinen die doch oft raschen Tempi zu belegen, die Otto wählt. Der Tonfall des Eingangschores wirkt ausgefeilt, ja etwas ausgeklügelt: Über dem deutlich ausgestellten Dreier-Rhythmus des 12/8-Taktes zieht sich soghaft in strengstem Legato der Bogen der nach oben strebenden Violinen. Erst mit der Ölbergszene ab Nr. 14 wird es schmerzlicher, ergriffener.
Georg Poplutz erfüllt den Part des berichtenden und erzählenden Evangelisten mit Artikulationsgenauigkeit und einer leis zitternden Erschütterung. Matthias Winckhler ist ein würde- und bisweilen weihevoller Christus mit einer jungen, deshalb wohltuend unpathetischen Stimme, die immer klar bleibt und von edlem Wohllaut erfüllt ist. Der Alt von Gerhild Romberger klingt etwas kehlig, der Bass von Christian Wagner manchmal etwas ausladend, aber markig und damit aber passend für den Petrus, balsamisch seine „Abend“-Arie, der Tenor von Daniel Sams hört sich in seinen Arien etwas klein an, zudem phrasiert er in seiner „O-Schmerz“-Arie extrem ab und wirkt bei aller inneren Erregung etwas atemlos. Als Pilatus agiert Florian Küppers dramatisch und anteilnehmend-fassungslos. Einsamer Höhepunkt der Arien aber ist die Liebes-Arie des Soprans (Aus Liebe will mein Heiland sterben): überirdisch schön gesungen von Julia Kleiter, lichtvoll klar, frei schwingend und trotzdem überaus kontrolliert, übergossen von der schwärmerischen Flöte und grundiert von den Herzschlägen der Oboi da caccia – eine wahre Liebes-Arie in seliger Melodik, selten so schön, so unsentimental-keusch gehört.
Noch ein Postulat von Günter Jena, die Choräle betreffend: „Ein Chor sollte, was einer Gemeinde nicht abzuverlangen ist, ausdrucksvoll textbezogen singen.“ Genau das tut der Mainzer Bachchor, textbezogen, textgenau, ja kommagenau und die Enjambements beachtend, konsonantenreich und wortausdeutend.
Die Turba-Chöre kommen exakt, anfangs mit erregtem Schwung, der aber auch schnell in ein nachdenklich-fragendes Ritardando fallen kann (Herr, bin ich’s?), die Konsonanten im Blitze-und-Donner-Chor knattern wie Maschinengewehre (so formuliert es John Eliot Gardiner in seinem Bach-Buch).
Vor allem aber zeigt diese Aufnahme wieder, wieviel Schönheiten, Textdeutungen und -illustrierungen in den Orchesterstimmen stecken: Schön tropfen die Blutstropfen in der „Buß-und-Reu“-Arie, schwimmt das Herz in Oboen-Tränen, die aber auch heitere Girlanden bilden in der Sopran-Arie Ich will dir mein Herze schenken. Wenn Christus Judas antwortet: „Du sagest’s.“, wird das Geigennachspiel ganz resignativ-traurig, als weine Christus über Judas‘ Schicksal. Und ausdrucksstark punktiert die klangschöne Gambe den Rhythmus der falsch stechenden Zunge: Selten hört man ein historisch informiertes Orchester so rhetorisch gewandt die „Klangrede“ artikulieren.
Und nicht zuletzt: Sehr schön gelingt es dem Tonmeister, den natürlichen Kirchenhall der Mainzer Christuskirche einzufangen.
Rainer W. Janka [02.04.2019]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Matthäus-Passion BWV 244 |
Interpreten der Einspielung
- Georg Poplutz (Tenor)
- Matthias Winckhler (Bass)
- Julia Kleiter (Sopran)
- Jasmin Maria Hörner (Sopran)
- Gerhild Romberger (Alt)
- Nohad Becker (Alt)
- Daniel Sans (Tenor)
- Christian Rathgeber (Tenor)
- Christian Wagner (Bass)
- Daniel Ochoa (Bass)
- Bachchor Mainz (Chor)
- Bachorchester Mainz (Orchester)
- Ralf Otto (Dirigent)