A Simple Song
Anne Sofie von Otter
BIS 2327
1 CD • 69min • 2016
18.01.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Sie hat Zeichen gesetzt. Und fährt darin fort. Weder die Jahre - sie ist über Sechzig - noch das Schicksal - sie verlor unlängst auf tragische Weise ihren Ehemann - haben sie passiv gemacht, vielmehr ihre Konsequenz, Zeichen sein zu wollen, gestärkt: Anne Sofie von Otter, eine der distinguiertesten Erscheinungen am Sängerhimmel durch Persönlichkeit in Denken und Stimme. Bis heute ist ihre stimmliche Kraft ungebrochen, Reinheit und Zauber dieses edlen Mezzo nach wie vor eine Klasse für sich, nachvollziehbar in ihrer Diskographie, in der konkurrenzlose Dokumente entstanden sind. Eine Künstlerin, die den Mut hat, Bekanntestes und Rares zu verbinden, weil sie nur auf die Qualität der Werke und deren Botschaft achtet. Um die Welt ging ihr erschütterndes Projekt ‚Theresienstadt‘, das sie in Tonaufnahme wie Film zum Signal machte und damit die Fracht der Geschichte, die sie familiär durch den Vater mitgelebt hat, zur Gedächtnisarbeit machte. Doch das ist noch nicht alles bei dieser an sich ‚klassischen‘ Künstlerin: sie greift sogar auf andere Genres zu, nobilitiert sie durch intelligente Kombination und offenbart die Natürlichkeit ihres Musikverständnisses.
Da erscheint nun eine neue CD von ihr beim Label BIS, bestens ausgestattet, mit brillant-einfühlsamem und kenntnistiefen Booklet-Text von Guy Dammann, und sie heisst ausgerechnet ‚A Simple Song‘ - gleichsam ein Spiegel von Anne Sofies Lebensgefühls mit Stimme und Orgel, das man als religiös qualifizieren könnte, religiös durchaus - aber eben ohne fixierten Gott. Da lässt sie ‚Lieder‘ verschiedenster Art und Proveninenz erklingen und zeigt uns deren Transzendieren. Hört man sie auch nur einmal, weiss man eines mit Gewissheit: sie jedenfalls weiss, wovon sie singt. Nennen wir es ‚Liebe‘. Und gerade das offenbart diese Aufnahme durch vielerlei stilistische Landschaften aufs schönste. Alles ist innerlichst verbunden in diesem Kaleidoskop musikalischer Soliloquien, mit denen Anne Sofie von Otter die scharfe traditionelle Trennung von ‚geistlich‘ und ‚weltlich‘ übersteigt, das eine umschlagen lässt ins andere zu Orgelklang, den ihr Begleiter Bengt Forsberg, Partner am Klavier durch Jahrzehnte, nebst einigen Instrumentalisten (Geige, Bratsche, Cello, Flöte, Harfe, E-Gitarre) für entsprechende Stücke, höchst sublim auf der gewaltigen Marcussen-Orgel der Kirche St. Jacob zu Stockholm feinnervig evoziert.
‚Title-song‘ ist Bernsteins Simple Song aus seiner Messe - wie uns Anne Sofie von Otter das ‚Lauda, lauda‘ betörend ins Herz singt, ist berückend: mit einem Pianissimo, das einen nicht so schnell wieder verlässt – überhaupt, es sind in dieser Aufnahme die leisen und leisesten Töne, mit denen diese Sängerin ihre Musik groß macht, und ihre Stimme leistet das mit vielfarbiger Schönheit in den zarten mehr noch als in den kräftigen Tönen. Nach Bernstein lässt sie Lieder von Copland und Ives erklingen, die wir vielfach kaum wahrgenommen haben - aus jedem bleibt uns wenigstens eine Zeile in Anne Sofies magischer Vermittlung in Gedächtnis. Man entkommt ihrem Zauber nicht, und zwar dem ihrer Natürlichkeit. Nichts ist aufgesetzt, alles bleibt ‚simple song‘, und ist doch große Kunst … ob bei den folgenden Kostbarkeiten von Duruflé oder Frank Martin: liturgische Stücke, lateinisch - Otter belässt sie bei aller Sakralität schlicht. Und das gelingt ihr sogar mit Liszts für einmal ins Gewaltige wachsenden Ave Maria-Hymnus nach dem Sposalizio-Klavierstück und seiner ausladenden instrumentalen Introduktion, deren reflektiver Gestus sich unter Bengt Forsbergs Händen auf der Orgel wunderbar offenbart. Perlen sind auch die französischen Stücke: Poulencs Priez pour paix ebenso wie Trois mélodies vom ganz frühen Messiaen - in Guy Dammanns Einführung schönstens als unter dem Einfluss des Lehrers Paul Dukas erklärt in ihrer sakralen Sinnlichkeit, gewiss Schlüssel zur musikalischen Sprache des Komponisten. Und für manchen Hörer werden zwei Lieder von Arvo Pärt enorme Entdeckungen sein: auf das berühmte Burns-Gedicht My heart's in the Hihglands hat Pärt eine von Anne Sofie mit zartestem Timbre transportierte Klangstudie entfaltet, die trotz ihrer ungewohnten Klangvision ans Herz geht. Und ein zweites, das alles andere als ‚simple‘ erscheint, schon weil es deutsch ist: ein zutiefst romantisch-doppelsinniges Brentano-Gedicht: Es sang vor langen Jahren. Hier schweigt die Orgel, aber zwei Streicher mischen mit in Pärts geisterhafter Figurierung.
Eine Merkwürdigkeit zum Schluss – nicht einmal eine Kritik: die weltberühmten Strauss-Lieder Traum durch die Dämmerung und Morgen, die Anne Sofie integriert und meisterhaft mit Forsberg in erotisch-religiöses Flair getaucht hat unter Einbeziehung von Geige und Harfe, beschweren seltsam: als sei ihr Eros ein bisschen zu germanisch-massiv und schwül, auch wenn die Interpretin alles tut, um ihn schlicht zu halten, und damit wahr … anders bei Mahler: das Engel-Lied Es sungen drei Engel aus der Dritten Symphonie offenbart sich in der Orgel-Version als zu massiv, als dass der von Mahler genutzte ‚Wunderhorn‘-Humor sich einstellen könnte; wohingegen das berühmte Urlicht freilich ganz auf Anne Sofies Linie liegt und uns herrlich ins Herz gesungen wird … „Der Mensch liegt in grösster Not“ - gewiss; aber diese Aufnahme gibt mit ihrer Schönheit und Wahrhaftigkeit so etwas wie Hoffnung. Jenseits aller Erwartung wird das mit gewissem Humor bestätigt: Rodgers‘ und Hammersteins herzlicher, weltberühmter Ermutigungs-Hymnus Climb ev’ry mountain wird an den Schluss dieser Edition gestellt, und das nicht ohne Anne Sofies Lächeln in der Stimme …
Georg-Albrecht Eckle [18.01.2019]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Leonard Bernstein | ||
1 | A Simple Song (aus: Mass) | 00:04:30 |
Aaron Copland | ||
2 | I've heard an organ talk sometimes | 00:02:05 |
Charles Ives | ||
3 | Serenity (A unison chant, 1919) | 00:02:27 |
Gustav Mahler | ||
4 | Es sungen drei Engel (1895 - aus: Des Knaben Wunderhorn) | 00:04:08 |
5 | Urlicht (aus: Des Knaben Wunderhorn) | 00:05:03 |
Richard Strauss | ||
6 | Traum durch die Dämmerung op. 29 Nr. 1 | 00:02:45 |
7 | Morgen! op. 27 Nr. 4 | 00:04:04 |
Arvo Pärt | ||
8 | My heart's in the Highlands (2000) | 00:07:00 |
Maurice Duruflé | ||
9 | Requiem op. 9 | 00:03:39 |
Olivier Messiaen | ||
10 | Pourquoi? (Trois Mélodies) | 00:02:01 |
11 | Le sourire (Trois Mélodies) | 00:01:42 |
12 | La fiancée perdue (Trois Mélodies) | 00:02:41 |
Francis Poulenc | ||
13 | Priez pour paix | 00:02:02 |
Frank Martin | ||
14 | Requiem | 00:05:50 |
Arvo Pärt | ||
15 | Es sang vor langen Jahren | 00:04:48 |
Franz Liszt | ||
16 | Ave Maria III S 60 (Sposalizio) | 00:07:26 |
Richard Rodgers | ||
17 | Climb ev'ry mountain (The Sound of Music) | 00:04:33 |
Interpreten der Einspielung
- Anne Sofie von Otter (Mezzosopran)
- Bengt Forsberg (Orgel)