Sebastian Fagerlund
Höstsonaten
BIS 2357
2 CD/SACD stereo/surround • 2h 00min • 2017
29.10.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Der große schwedische Filmregisseur Ingmar Bergman hat zwar mit Erfolg auch einige Opern inszeniert, auf die Idee, einen seiner Spielfilme zu einer Oper umzuformen, ist er jedoch nicht gekommen. Das blieb dem finnischen Komponisten Sebastian Fagerlund (Jg. 1972) vorbehalten, dessen Adaption der Herbstsonate (1978) im vergangenen Jahr in Helsinki ihre Uraufführung erlebte. Es geht im Film wie in der Oper um die gefeierte Konzertpianistin Charlotte Aderhold, die um ihrer Karriere willen ihre Familie vernachlässigt hat und nach Jahren bei einem Besuch im Haus ihrer Tochter Eva, die mit einem Pfarrer verheiratet ist und ihre stumme und gelähmte Schwester Helena in Pflege hat, mit den Sünden und Unterlassungen der Vergangenheit konfrontiert wird.
Fagerlunds Librettistin Gunilla Hemming hat an Bergmans Drehbuch erhebliche Änderungen vorgenommen, um der realistischen Story eine surreale Ebene zu erschließen und das Stück zugleich operngerecht zu machen. Dass sie Charlottes verstorbenen Lebensgefährten Leonardo auf die Bühne bringt, um aus seiner Sicht die Ereignisse zu kommentieren, wirft dabei dramaturgisch nicht viel Gewinn ab. Der Einfall, die stumme Helena ohne Anlaß plötzlich zum Sprechen zu bringen, um die unmittelbaren Ereignisse vor ihrer Erkrankung zu berichten, ist innerhalb des surrealistischen Konzepts schon eher diskutabel. Sicherlich bühnenwirksam ist der Einsatz des Chores, der Charlottes Fangemeinde darstellt, die auch in der Einsamkeit des Pfarrhauses immer um sie herum ist und mit ihr, aber auch mit Eva, in den Dialog tritt.
Mir ist nicht recht plausibel, warum Fagerlund dem Stück den Charakter eines subtilen Kammerspiels mit Gewalt austreibt und schon in der Ouvertüre mit wahrem Götterdämmerungs-Pathos aufwartet. Zweifellos weiß er virtuos auf der Klaviatur der Klangeffekte zu spielen, aber zu welchem Zweck? Der dramatische Höhepunkt des Stücks am Ende des 1. Aktes, die bittere Abrechnung Evas mit der Mutter, wird um seine Wirkung gebracht, wenn schon in den Szenen davor orchestrales Getöse eine Macht des Schicksals beschwört, die in Wahrheit gar nicht so schrecklich gewütet hat. Und der Ausgang des Stücks ist ja ausgesprochen versöhnlich.
In Bergmans Film spielt die Musik eine bedeutsame Rolle. Chopins Prélude Nr. 2a, erst von der Tochter, dann von der Mutter gespielt, ist eine zentrale Szene, aber auch Stücke von Bach und Händel sind zu hören. Fagerlund macht keinen Versuch, diese Kompositionen in seine Musik zu integrieren. Im Libretto ist zwar Evas Spiel des Chopin-Préludes vorgesehen, zu hören ist davon aber nichts.
Der Mitschnitt der Uraufführungsproduktion kann im orchestralen Bereich voll überzeugen. Der Dirigent John Storgårds reizt die Möglichkeiten der Partitur voll aus und schafft einen weiten Spannungsbogen, die Instrumentalisten der Finnischen Nationaloper erweisen sich dabei als erstklassiger Klangkörper. Bei den Sängern gibt es kleine Einschränkungen. Ich habe keinen Zweifel, dass Anne Sofie von Otter auf der Bühne eine ausgezeichnete Besetzung für die (im Film von Ingrid Bergman kreierte) Rolle der Charlotte war, die ihr der Komponist gleichsam „auf die Stimmbänder geschrieben“ hat, auf der Audio-Konserve kann ihre Expressivität stimmliche Verschleißerscheinungen aber nicht immer kaschieren. Problematischer ist die Sopranistin Erika Sunnegårdh als Eva, deren starkes, wohl vokalen Grenzüberschreitungen geschuldetes Vibrato zum Charakter der Figur nur wenig passt. Eine reine Ohrenweide dagegen ihre jüngere Fachkollegin Helena Juntunen in der kleineren Partie der Helena. Der Bariton Tommi Hakala als Vikar und der Bassist Nicholas Söderlund als Leonardo machen einen soliden Job.
Ekkehard Pluta [29.10.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Sebastian Fagerlund | ||
1 | Höstsonaten (Oper in zwei Akten nach einem Fernsehspiel von Ingmar Bergmann) | 02:00:08 |
Interpreten der Einspielung
- Anne Sofie von Otter (Charlotte Andergast - Mezzosopran)
- Erika Sunnegårdh (Eva - Sopran)
- Tommi Hakala (Viktor - Bariton)
- Helena Juntunen (Helena - Sopran)
- Nicholas Söderlund (Leonardo - Baß)
- Finnish National Opera Chorus (Chor)
- Finnish National Opera Orchestra (Orchester)
- John Størgårds (Dirigent)