Einojuhani Rautavaara
90th Anniversary Edition
Ondine ODE 1236-2D
2 CD • 2h 02min • 1989-2017
18.09.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wer sich mit der Musik Einojuhani Rautavaaras beschäftigen möchte, kommt um das reichhaltige Angebot nicht herum, das Ondine von seinen Werken bereitgestellt hat. Über viele Jahre hielt die Firma dem 2016 gestorbenen Komponisten die Treue und brachte ein Werk nach dem anderen von ihm auf die Scheibe. Ihre nun vorgelegte Jubiläumsausgabe anlässlich der 90. Wiederkehr seines Geburtstags versteht sich offenbar als Gesamtschau des Erreichten, denn im Mittelpunkt steht eindeutig der im Beiheft abgedruckte Katalog, der die bisherigen 48 Rautavaara-Veröffentlichungen Ondines, die zum Teil mehrere CDs umfassen, mit Abbildungen und Werkregister aufzählt. Der musikalische Teil der Edition ist schmal ausgefallen. Er beschränkt sich auf die Neuausgabe einer der gelisteten CDs, die Rautavaaras Achte Symphonie und sein Harfenkonzert enthält, und einen Querschnitt durch das übrige Schaffen des Tonsetzers mittels kürzerer Stücke und einzelner Sätze, zusammengestellt aus weiteren Aufnahmen des Katalogs – alles ohne Fehl und Tadel musiziert. Es wird also nichts Neues geboten, sondern nur auf das Geleistete verwiesen; für einen mit Rautavaara noch nicht vertrauten Hörer kann das durchaus nützlich sein.
So beeindruckend die schiere Anzahl seiner Werke, und so unermüdlich der Einsatz Ondines für ihn sein mag, das anstehende Jubiläum gibt auch Anlass darüber nachzudenken, was es in qualitativer Hinsicht mit der Musik Rautavaaras auf sich hat. Nach seinem Tod hat es in der Presse an Stimmen nicht gefehlt, die behaupteten, mit ihm sei der größte finnische Komponist seit Sibelius von uns gegangen. Doch war er das wirklich? Liefert die Tatsache, dass der junge Rautavaara von Sibelius persönlich mit einem Stipendium bedacht wurde, einen Grund, darin die Übergabe eines Staffelstabes zu sehen? Zwangsläufig hatte Sibelius ein anderes Bild von Rautavaara, als man es sich heute machen kann. Werke wie A Requiem in Our Time und die ersten beiden Streichquartette belegen in der Tat eindrucksvoll, dass der alte Meister damals nicht einfach irgendwen ausgezeichnet hat, sondern einen hochbegabten Komponisten, von dem man in Zukunft noch Großes erhoffen durfte. Obwohl Ondine auch diese Frühwerke aufgenommen hat, in der Jubiläumsedition setzt man die Akzente anders: Sechs von zehn Titeln des Querschnitts stammen aus den Jahren nach 1990, ebenso die beiden vollständig präsentierten größeren Werke.
Offen gestanden: Es macht mich traurig zu hören, bei welcher Art Musik Rautavaara am Ende seiner künstlerischen Entwicklung angekommen ist. Die Achte Symphonie (1999) und das Harfenkonzert (2000) sind in geradezu aufdringlicher Weise auf Sanftheit getrimmte, ausgesprochen monotone Stücke. Auf Schritt und Tritt begegnen einem hier die immergleichen rhythmisch wenig konturierten, um sich selbst kreisenden Melodielinien, die immergleichen milden Dissonanzen und die immergleichen instrumentatorischen Glitzereffekte. Die Modulationen wirken wenig zielgerichtet, belebende Kontraste werden geradezu ängstlich vermieden. Dazu passt, dass sich die Musik kaum einmal über ein bestimmtes, sehr mäßiges Tempo hinaus beschleunigt. Das Harfenkonzert besteht aus drei langsamen Sätzen; die Symphonie hat immerhin ein Scherzo, aber bereits nach einer halben Minute klingt es darin, als würde der Komponist lieber langsam weitermachen – er ist auch nach drei Minuten fertig. Rautavaaras Vorliebe für Orgelpunkte, für die Begleitung einer breiten Melodie mit schwirrenden Figurationen erinnert an Sibeliussche Stilmittel, doch bleibt es bei der oberflächlichen Ähnlichkeit, da es Rautavaara nicht schafft, daraus jene spannungsreiche Überlagerung verschiedener Ebenen zu erzeugen, die Sibelius' Werken ihre Kraft verleiht. Deshalb gibt es bei Rautavaara zwar pathetische Gesten, aber kein Pathos. Die Trägheit und Einförmigkeit seiner Musik verhindert auch eine Wirkung der beabsichtigten zyklischen Effekte. Wenn am Ende des Harfenkonzerts der Anfang seines ersten Satzes erneut erklingt, macht es keineswegs den Eindruck, als käme die Musik nach langer, erlebnisreicher Reise wieder am Ausgangspunkt an. Sie ist nie weit fort gewesen.
Finnland hat auch nach Sibelius große Komponisten hervorgebracht. Rautavaaras Frühwerk schien darauf hinzudeuten, dass auch er dazugehören würde, sein Spätwerk jedoch lässt mir die Frage am Platze scheinen, ob die oben erwähnten Lobpreisungen angesichts etwa eines Einar Englund oder Joonas Kokkonen – um zwei nur wenig ältere Zeitgenossen zu nennen – nicht etwas zu viel der Ehre für Rautavaara gewesen sind.
Norbert Florian Schuck [18.09.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Einojuhani Rautavaara | ||
1 | Konzert für Harfe und Orchester | 00:23:10 |
4 | Sinfonie Nr. 8 (Die Reise ) | 00:29:09 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Isle of Bliss (Insel der Seligen) | 00:11:30 |
2 | Missa A Cappella | 00:02:39 |
3 | Garden of Spaces | 00:13:42 |
4 | Concerto No. 1 op. 41 for Violoncello and Orchestra | 00:05:03 |
5 | Ein finnischer Mythos | 00:06:33 |
6 | Song of My Heart | 00:03:20 |
7 | Notturno e danza | 00:02:03 |
8 | In the Shade of the Willow (Unterm dämmrigen Weidenbaum, 1998) | 00:04:27 |
9 | Sinfonie No. 3 | 00:12:18 |
10 | Adagio celeste für Streichorchester | 00:07:31 |
Interpreten der Einspielung
- Marielle Nordmann (Harfe)
- Helsinki Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Leif Segerstam (Dirigent)
- Latvian Radio Choir (Chor)
- Sigvards Kļava (Dirigent)
- Marko Ylönen (Violoncello)
- Max Pommer (Dirigent)
- Ostrobothnian Chamber Orchestra (Orchester)
- Juha Kangas (Dirigent)
- Tanja Tetzlaff (Violoncello)
- Gunilla Süssmann (Klavier)
- Pekka Kuusisto (Violine)
- Paavali Jumppanen (Klavier)
- Finnish Radio Chamber Choir (Chor)
- Timo Nuoranne (Dirigent)
- Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig (Orchester)
- National Orchestra of Belgium (Orchester)
- Mikko Franck (Dirigent)