Jacques-Martin Hotteterre
Complete Chamber Music Vol. 3
cpo 555 038-2
2 CD • 7min • 2013, 2012, 2015
19.09.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Eine überzeugende Interpretation französischer Musik des Hochbarock für Bläser setzt voraus, dass sich die Ausführenden mit deren Ursprüngen und Ästhetik intensiv vertraut gemacht haben. Wesentliche Quellen, die uns Heutigen dieses Vertrautmachen ermöglichen, stammen von Jaques-Martin Hotteterre le Romain, der als einer der „Flûtes du roi“ am Hofe des Sonnenkönigs wirkte und auch ein höchst erfolgreicher Instrumentenbauer war. Seine Travers- und Blockflöten werden von nach historischen Vorlagen arbeitenden Instrumentenbauern vielfach kopiert. Interessanterweise lehnen sich seine in Grenadill verfertigten und mit kunstvoll gedrechselten Elfenbeinapplikationen versehenen, relativ weit mensurierten und somit sonoren, dafür in der dritten Oktave eingeschränkten schwergewichtigen Instrumente der Form des französischen Königszepters an.
Studenten historischer Holzblasinstrumente sollten sich zumindest mit Hotteterres „Principes de la flûte traversiére ….“, seiner „L’art du préluder“ und der seinem op. 2 vorangestellten Verzierungstabelle, die von den Tabellen der Clavecinisten (D’Anglebert, Couperin, J.S. Bach) erheblich abweicht, intensiv auseinandergesetzt haben, bevor sie sich mit diesem Repertoire beschäftigen. Für die Auszierungen von Wiederholungen liefern seine über die „Gallica“-App der Bibliotheque Nationale du France herunterladbaren „Airs et Brunettes… ornez“ interessante Beispiele. Dort sind auch Faksimilia des Hotterreschen Gesamtwerks als PDF erhältlich.
Dreierlei Dinge unterscheiden den „goût français“ von seinem europäischen Umfeld:
1. Ornamente werden explizit notiert und dürfen keinesfalls weggelassen werden. Wiederholungen – gerade auch in den Rondeaux – dürfen als Doubles zusätzliche Ornamente erhalten. Zu diesen Ornamenten gehört auch das „Flattement“, ein Fingervibrato, das ein An- und/oder Abschwellen eines ansonsten „gerade“ gehaltenen langen Tones suggeriert und bei perfekter Ausführung durchaus den Charakter eines erotischen Kraulens annehmen kann.
2. Inégalité: Gleichmäßig durchgehende Achtel oder Sechzehntel werden ungleichmäßig gespielt, was dem Stück eine fast „swingende“ Note verleihen kann.
3. Anregung zu körperlicher Bewegung: Anders als die italianisierenden Sonaten (Blavet etc.) sind Suiten grundsätzlich von den Tanzformen der französischen Ballettoper geprägt. Somit muss jeder Satz außer den repräsentativen Préludes den Hörer zur Bewegung animieren.
Fragen wir uns jetzt, wie die Camerata Köln die genannten Anforderungen erfüllt:
Die Continuogruppe muss zum tänzerischen Charakter ihren Beitrag leisten. Dieses könnte durch bewusste metrische Impulse geschehen, dazu fehlt hier aber der Mut, Luft zwischen den unbetonten und betonten Werten zu lassen, was dem Gesamtklang eine unnötige Behäbigkeit beschert.
Ob Hotteterre bei seinen Duett-Suiten opp. 4,6,8 sowie den Valentino-Bearbeitungen an 2 tiefoktavierende „Basses du Viole“ dachte, halte ich für höchst fragwürdig. Da er „Deux Dessus“ (= nicht mit Dessous zu verwechselnde Sopraninstrumente) fordert, ist implizit von zwei Pardessus de Viole = Diskantgamben in Violinlage auszugehen. Abgesehen davon fehlt es dem Duo und der Solo-Version schlichtweg an artikulatorischer Präzision und Phantasie für Ornamentik.
Die zweite Suite in c-Moll aus Hotteterres op. 5 ist eines der schwarz-melancholischten Werke des französischen Barock. Diese Tonart wird auf Traversflöten wegen ihres durch die vielen Gabelgriffe (Anmerkung für die Blockflötisten: Dies entspricht grifftechnisch einem es-Moll auf der Alt bzw.Voice Flute) naturgemäß matten Klangs eher vermieden – Bach, aber auch Quantz ärgerten damit den „alten Fritz“. Karl Kaiser flüchtet sich hier in die noble Melancholie gedehnter Tempi. Die immanente Tragik des Werks brachte Barthold Kuijken in seiner Aufnahme für Accent (aktuell nur in einer 11-CD Box oder über Streaming Dienste) wesentlich schärfer artikuliert und stilsicherer zum Ausdruck. Unter dieser mangenden Finesse leiden auch die ornamentierten Airs, deren zugrundeliegende Tanzrhythmen einem kapriziösen Fantasieren zum Opfer fallen. Am Gelungensten erscheint noch op. 5/1, obwohl hier einige Ornamente ausgelassen werden.
Blockflötist Michael Schneider intoniert in den heiklen Tonarten der Préludes perfekt, wenngleich bei Flattements und Triller häufig ein wenig zu hektisch. Wie man es eleganter machen könnte, zeigt Dan Laurin in seinen Aufnahmen des französischen Repertoires. Am besten sind noch die unbegleiteten Bläserduette gelungen, bei denen die jeweiligen Partner die Hauptprotagonisten zu größerer rhythmischer Lebendigkeit und Artikulationsschärfe animierten.
Das Booklet unterbietet den von cpo gewohnten Standard, da es wesentliche Informationen verschweigt. So fehlen die Angaben zu Stimmton (Pariser Barockstimmung: 392 Hz), den verwendeten Instrumenten, der Originaltonart von Op. 5,3 (D-Dur, nur wenn transponiert für Blockflöte F-Dur), den Tonarten der Solo-Préludes aus op. 7 (CD 1:F, d, C ,a, A, H ; CD 2: g, c, f, b, es), was Anlass für einen Punktabzug beim Gesamteindruck gibt.
Somit ist diese Produktion samt ihren beiden Vorgängern vor allem Vollständigkeitsfanatikern zu empfehlen. Die nur an den Hauptwerken Interessierten sollten entweder auf die Kuijkens mit Robert Kohnen bei Accent oder auf die Interpretation französischer Musiker um Philippe Alain-Dupré bei Naxos zurückgreifen.
Vergleichsaufnahmen: B. Kuijken, W. Kuijken, R. Kohnen, in Accent 24312 oder via Streaming – Ph. Alain-Dupré et al., Naxos 8.553.707/8
Dan Laurin „The French King’s Flautists”, BIS-745; Sonates et Suites BIS-2185.
Thomas Baack [19.09.2018]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Jacques-Martin Hotteterre | ||
1 | Suite g-Moll op. 5 Nr. 1 für Traversflöte und B.c. | 00:16:08 |
9 | Suite op. 4 Nr. 1 für 2 Blockflöten | 00:13:30 |
15 | De mes soupirs de ma langueur für Traversflöte (aus Airs Ornez d'Agremens) | 00:03:36 |
16 | Vous qui faite votre modelle für Traversflöte (aus Airs Ornez d'Agremens) | 00:02:00 |
17 | Brunette: Le beau berger Tircis für Traversflöte (aus Airs Ornez d'Agremens) | 00:03:23 |
18 | Prélude op. 7 für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:15 |
19 | Prélude op. 7 Rondement, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:17 |
20 | Prélude op. 7 Modéré, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:26 |
21 | Prélude op. 7 Modéré, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:00:50 |
22 | Prélude op. 7 Gracieusement, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:00:54 |
23 | Prélude op. 7 Gracieusement, Gay et Croches égales für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:01 |
24 | Sonate e-Moll für 2 Viole da gamba | 00:06:41 |
28 | Suite F-Dur op. 5 Nr. 3 für Blockflöte und B.c. (Sonata) | 00:08:33 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Suite c-Moll op. 5 Nr. 2 für Traversflöte und B.c. | 00:18:31 |
2 | Prélude op. 7 Modéré, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:28 |
9 | Prélude op. 7 Tendrement, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:14 |
10 | Prélude op. 7 Modéré, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:00:56 |
11 | Prélude op. 7 Tendrement, Gay für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:01:00 |
12 | Prélude op. 7 Tendrement, Rondement für Blockflöte (aus: L'art de préluder) | 00:00:46 |
13 | Suite op. 6 Nr. 2 für 2 Blockflöten | 00:23:10 |
21 | Suite h-Moll op. 5 Nr. 4 für Viola da gamba und B.c. (Sonata) | 00:10:56 |
27 | Suite op. 8 Nr. 3 für 2 Blockflöten | 00:13:54 |
Interpreten der Einspielung
- Camerata Köln (Ensemble)