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Besprechung CD

Christian Tetzlaff

J.S. Bach Sonatas & Partitas

Ondine ODE 1299-2D

2 CD • 2h 11min • 2016

20.11.2017

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Christian Tetzlaff ist jetzt 51 Jahre alt und legt schon seine dritte Einspielung von Bachs Sonaten und Partiten BWV 1001-1006 für Violine solo vor. Die erste datiert von 1993, die zweite von 2005, diese neue ist 2016 aufgenommen worden.

1720 legte Bach die Handschrift an, in der die vermutlich nicht in einem Wurf entstandenen sechs Sonaten und Partiten zusammengefasst sind. Die Stücke sind auf besondere Weise angeordnet: Von der tiefsten Violinsaite (G) in g-Moll über h-Moll, a-Moll, d-Moll, C-Dur bis zur höchsten Saite (E) und einem strahlenden E-Dur durchschreiten sie einen Weg ins Dunkel und von dort heraus zum Licht. Der Zyklus ließe sich so auch als Weg der Bewältigung von Trauer und Schmerz interpretieren – im selben Jahr war ja seine erste Frau Maria Barbara gestorben, die Mutter zweier seiner später als Komponisten erfolgreichen Söhne. Ob die Sonaten und Partiten für Violine solo ein musikalisches Trauermonument für die plötzlich verstorbene geliebte Frau sind, wird allerdings kontrovers diskutiert, zumal die Arbeit an dem Zyklus schon in Weimar aufgenommen wurde (Martin Geck tut die These in seiner Bach-Monographie aus dem Jahr 2000 als „bestenfalls Spekulation“ ab).

Ein konzeptionelles Vorbild für den Zyklus hatte Bach in den Partiten für Violine solo des Geigers Paul von Westhoff gefunden, der bis zu seinem Tod 1705 in der Weimarer Hofkapelle spielte – dort wird Bach ihn 1703 während seiner ersten Zeit als Geiger und Lakai am Herzogshof in Weimar kennengelernt haben. Dass Maria Barbaras plötzlicher Tod sich noch auf die Fertigstellung der Kompositionen ausgewirkt hat, ist durchaus vorstellbar – das musikalische „Programm“ dieser Sonaten und Partiten ist allerdings unverkennbar barock und auch ohne jeden biographischen Anlass zur Entstehung der Werke als rein künstlerisches Konzept zu verstehen.

Die Handschrift stellt zudem ein kalligraphisches Meisterwerk dar – in ihrem schwungvollen Duktus scheinen die Noten den Bogenstrich des Geigers über die Saiten abzubilden. Nicht nur die schöne Reinschrift der Noten zeigt, dass Bach die Sei solo a Violino senza Basso accompagnato – so betitelte er selbst Manuskript – sehr am Herzen lagen: Sein Schüler Johann Friedrich Agricola berichtet, Bach habe sie „oft für sich selbst am Cembalo gespielt, als Klavierfassung mit vollen Harmonien“.

Vor zehn Jahren hat Hartmut Lück auf Klassik heute Christian Tetzlaffs damalige Einspielung der Sonaten und Partiten BWV 1001-1006 für Violine solo besprochen und kam zu dem Urteil: „Und hier passiert nun das wirkliche, beglückende Wunder, dass Christian Tetzlaff bei höchster technischer und intellektueller Klarheit eine Darstellung liefert, die sich eben nicht aufs sichere Terrain des Analytischen beschränkend zurückzieht, sondern die Werke mit großer Leuchtkraft, sattem Ton und, etwa in der berühmten Chaconne der Partita d-Moll, mit innigster Empfindung vorträgt, die alles nur ,kühl’ Kalkulierte weit hinter sich lässt. Eine Interpretation mit Referenzcharakter.“

Heute muss der Autor dieser Besprechung dem Kollegen für sein klares und wohlformuliertes Urteil danken, weil es mutatis mutandis auch für diese Neueinspielung gilt. Tetzlaffs Zugang zu diesem summum opus der Musik ist mit seiner Biographie selbst gewachsen: Wir haben es hier mit dem äußerst raren Zeugnis zu tun, dass ein Künstler sich ein Werk, vor dem viele andere die Waffen strecken müssen, zu einem Lebensbegleiter erwählt hat. So ist jede Neueinspielung der Sonaten und Partiten BWV 1001-1006 für Violine solo durch Christian Tetzlaff ein Zeugnis seines eigenen Weges als Künstler: Hier wird sein eigener künstlerischer Lebensweg exemplarisch deutlich, und so lässt er seine Zuhörer in einer kaum zu überbietenden Ehrlichkeit an seinem Leben als Musiker teilhaben. Diese menschliche und künstlerische Größe verbietet jeden Vergleich mit den vielen, ebenfalls meisterlichen Aufnahmen dieses Zyklus; sie mögen alle in den Sammlungen der Musikliebhaber stehen bleiben und verdienen ihren Platz darin. Die Aufnahmen der Sonaten und Partiten BWV 1001-1006 von Christian Tetzlaff gehören freilich samt und sonders in die Sammlungen der Musikfreunde, und somit auch diese Neueinspielung. Hoffen wir, dass er uns im nächsten Jahrzehnt mit einer neuen Deutung dieser Werke beschenkt und genießen wir einstweilen seine neueste Facette ihrer Darstellung.

Vergleichseinspielungen: Christian Tetzlaff, Virgin 5220342 (AD: 1993), Hänssler Classic 98.250 (AD: 2005)

Detmar Huchting [20.11.2017]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Johann Sebastian Bach
1Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001 für Violine solo 00:15:10
5Partita Nr. 1 h-Moll BWV 1002 für Violine solo 00:25:34
13Sonate Nr. 2 a-Moll BWV 1003 für Violine solo 00:21:29
CD/SACD 2
1Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo 00:28:35
6Sonate Nr. 3 C-Dur BWV 1005 für Violine solo 00:21:53
10Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006 für Violine solo 00:17:32

Interpreten der Einspielung

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