Franz Liszt
Vesselin Stanev
RCA 88843071642
1 CD/SACD stereo/surround • 66min • 2014
29.12.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der kürzlich fünfzig Jahre alt gewordene Pianist Vesselin Stanev – gebürtiger Bulgare, in Moskau ausgebildet, heute im Westen lebend – gehört in die Kategorie jener, die sich von nichts schrecken lassen. Er demonstriert seine virtuose Handschrift ungeniert, aber er versucht sie mit höheren Ambitionen zu verbinden. Das zeigen bereits seine beiden früheren Einspielungen für RCA/Sony, für die er zwar Stücke im obersten Schwierigkeitsgrad, doch auch mit profiliertem Aussagewert wählte: Sonaten von Alexander Skrjabin sowie die Etudes d’exécution transcendante von Franz Liszt. Überhaupt scheint Liszt der Lieblingskomponist von Stanev zu sein, ihm ist exklusiv die aktuelle CD gewidmet.
Und sie wartet zudem mit einer originellen Grundidee auf: tönende Porträts von vier überlebensgroßen Figuren, die Liszt in schillernde Klaviergewänder hüllt. Da sind zum einen zwei (eher selten anzutreffende) „Réminiscences“ an Opern, an Bellinis Norma und Mozarts Don Giovanni – mehr als bloß Paraphrasen oder Transkriptionen, nämlich wie die Titel andeuten klangmächtig beschworene Erinnerungen. Zum andern die Zeichnung von Gestalten an der Schwelle von Wirklichkeit und Irrealität: Mephisto für einmal halbwegs freundlich im „Tanz in der Dorfschenke“ (auch Mephisto-Walzer Nr. 1 genannt) und der Dichter Dante, der in der ihm gewidmeten Fantasia quasi Sonata höchstpersönlich ins Inferno seiner „Göttlichen Komödie“ hinabsteigt (ein Stück, das der Komponist später in den Italien-Band seiner Années de Pèlerinage aufgenommen hat).
All das bietet Vesselin Stanev die Gelegenheit, vielfältige Facetten seines Interpretierens vorzuführen – immer, versteht sich, abgefedert durch die souveräne Beherrschung aller technischen Kniffligkeiten, an denen es bekanntlich bei Liszt nicht mangelt. Also etwa im Mephisto-Walzer nebst dem dämonischen Unterton auch das Verführerische dieses zwischendurch recht charmanten Teufels zu präsentieren. Oder in der Norma-Fantasie die Pforten zur (Belcanto-)Poesie zu öffnen – stets deutlich formuliert und kaum je in verschwimmendes Pseudo-Legato versinkend. Kurzum, der Pianist schätzt eine gewisse Klarheit, die vielleicht hie und da ein paar Grade zu nüchtern und im Espressivo zu unterkühlt daherkommt. Indes finden sich, zugegeben, immer wieder höchst packende, mitreißende Passagen – am imposantesten wohl der Schluss der Don Juan-Reminiszenz: die sogenannte Champagnerarie steigert sich zum veritablen Höllenritt.
Mario Gerteis
Mario Gerteis † [29.12.2014]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Franz Liszt | ||
1 | Réminiscences de Norma R 378 S 655 | 00:18:36 |
2 | Après une lecture de Dante S 161:7 (Fantasia quasi Sonata) | 00:17:12 |
3 | Dance in the Village Inn No. 1 A major S 514 R 181 – Allegro vivace | 00:11:53 |
4 | Réminiscences de Don Juan S 418 | 00:18:33 |
Interpreten der Einspielung
- Vesselin Stanev (Klavier)