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Besprechung CD

Chopin meets Wagner

Johanna Michna

Elisio ECD-1830

1 CD • 64min • 2014, 2012

11.12.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

„Chopin meets Wagner“ – ein auf den ersten Blick hin überraschender, vielleicht sogar provokant anmutender Titel für ein CD-Programm! Aber die polnische, in München lebende Pianistin Joanna Michna gibt in ihrem Begleittext einige Anhaltspunkte, wie sich Leben, Werk und Ästhetik der beiden an sich doch so verschiedenen Musikerpersönlichkeiten unter einem weit gespannten biographisch-ästhetischen Bogen betrachten lassen. Allein die mit dem Schaffen Liszts – und da vor allem mit dessen Transkriptionen und Paraphrasen – gegebenen Verknüpfungen rechtfertigen es, sich über mögliche Berührungspunkte Gedanken zu machen. So etwa argumentiert Joanna Michna, Chopin wie Wagner seien „große Patrioten“ und „sehr erfinderisch auf dem Gebiet der Harmonie“ gewesen. Und schließlich gipfelt ihre Beweisführung in der etwas lapidaren Einsicht, „Chopin und Wagner waren große Romantiker“. Unter diesem Blickwinkel ließen sich freilich eine ganze Reihe von CD-Treffpunkten arrangieren: Indes: viel wichtiger scheint mir Joanna Michnas Idee zu sein, aus einer Reihe von Wagner-Bearbeitungen ein Programm zu gestalten, in dessen Verlauf der Hörer einige wichtige Themen aus den Opern Wagners nicht nur zitiert, sondern auf pianistisch hohem, ja höchstem Niveau von bestens beleumundeten Autoren ausgearbeitet vorfindet. Bei den Autoren handelt es sich neben dem pianistischen Chefregisseur Franz Liszt um Ferruccio Busoni, Carl Tausig und um Carl Czerny, dessen Rienzi-Verbeugung mir einzig und allein aus einer älteren Einspielung Michnas bekannt ist (Elisio ECD-1813).

Die hier aus sieben Wagner-Opern entlehnten Ausschnitte sind auf vier Abschnitte verteilt, wobei das dritte Kapitel mit den beiden Todessequenzen von Isolde (Liszt) und Siegfried (Busoni) hinsichtlich Stimmung und klavieristischer Ausformung besonders eindrucksvoll gelungen ist. Joanna Michnas Eingriffe betreffen – soweit ich das nachvollziehen konnte – vor allem vorsichtige und dadurch kaum merkliche Kürzungen. Das heißt: kein Klavierfreund, der die einzelnen Transkriptionen kennt, wird sich beklagen können, in der operndramatischen Taschenausgabe Michnas etwas Wesentliche der jeweils gewählten Szene verpasst zu haben.

Die in Polen von Andrzej Jasinski und Jan Ekier, in Moskau auch von Viktor Merzhanov ausgebildete Pianistin verfügt über ausreichend Mittel, die schnurrige „Spinnerlied“-Akrobatik aus dem Holländer ebenso wie die dunklen, gewichtigen Tristan- und Götterdämmerung-Ereignisse in Vorwärtsbewegung, aber auch in ihren Stauwirkungen auf angemessener Temperatur zu halten. Die dynamische Bandbreite der Einspielung entspricht jedoch nicht ganz den Möglichkeiten einer zeitgemäßen Technik. Auch kommt mir das Instrument ein wenig stumpf vor in den höheren Lagen. Zumindest öffnet sich der Klang nicht, so dass man davon ausgehen darf, in den majestätischen Passagen dieser Opernrundschau nicht jene 100% an Glanz und Fortissimo-Pracht zu erleben, die Joanna Michna unter günstigeren Bedingungen zu Gebote stehen.

Das Programm wird mit Chopins so genannter Revolutionsetüde (op. 10,12) eröffnet – nebenbei: auch hier eine Parallele im Wirken, Wollen und Fordern der beiden Komponisten-Persönlichkeiten was ihr politisches Selbstverständnis anbelangt. Auffallend deutlich, also durchaus im Sinne von Deklamation entfaltet die Pianistin das wütende Abwärts der linken Hand zu Beginn der Etüde. Und auch im Folgenden lässt sie nicht locker, dem Stückverlauf einer „Handlung“ gleich Richtung zu verleihen, dabei jeglichen Anflug von leerer Motorik unterbindend. Glosend und glühend dann die melodischen Botschaften in den sinnlichen und „erzählerischen“ Wallungen der g-Moll-Ballade, nachdem der aufsteigende Unisono-Beginn in der Handschrift Michnas auffallend fahle Züge zeigte.

In ihrem Einführungstext erwähnt Joanna Michna die Bedeutung und Verwendung des Metronoms in Chopins Partituren bis 1835 und generell in seinem Unterricht. Mit der Polonaise op. 22 und auch in den Dreivierteltakt-Zaubereien des Es-Dur-Walzers (op. 18) bewegt sie sich jedoch ohne jedes Metronom-Korsett durch die rhythmisch-melodischen Impulsserien. Ihr Spiel wirkt frisch, nervös im Sinne von augenblicklicher Angeregtheit, in den finalen Läufen der Polonaise für mein Empfinden etwas flüchtig und dadurch mit Verlusten in Bezug auf Einzeltongegenwärtigkeit. Das Polonaisen-Hauptthema mit seinen zweimal repetierten Sechzehnteltriolen kommt auch unter den Händen Michnas etwas hastig, eine Spur zu wenig „motivisch“ ausgefeilt. Aber diesen leisen Einwand kann man bei so gut wie allen Einspielungen und Konzertdarbietungen machen – zu sehr sind die Interpreten offenbar in diesem Moment auf das Wörtchen „brillante“ im Titel des Werkes fixiert.

Ihren Booklet-Text beginnt Joanna Michna mit dem Hinweis, dass Mitte August dieses Jahres – als sie gerade diese Aufnahmen beendet hatte – ihr Lehrer Jan Ekier im Alter von fast 101 Jahren verstorben war. Ekiers Verdienste um das polnische Musikleben sind vor allem mit der polnischen „Chopin National Edition“ belegt. Als Achter des Warschauer Chopin-Wettbewerbs 1937 platzierte er sich in vorderer Pianistenreihe, aber er ist mir auch als Komponist aufgefallen – nämlich mit einem „Präludium II“ in einer LP-Einspielung mit dem Pianisten Alex Blin (RBM 3022). So wäre es durchaus denkbar, von Joanna Michna via Elisio noch etwas mehr über den Autoren Ekier zu erfahren…

Peter Cossé † [11.12.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Frédéric Chopin
1Etüde c-Moll op. 10 Nr. 12 00:02:29
2Ballade Nr. 1 g-Moll op. 23 – Largo - Moderato 00:09:33
3Andante spianato et Grande Polonaise brillante Es-Dur op. 22 00:13:40
5Grande Valse brillante Es-Dur op. 18 00:05:37
Richard Wagner
6Rienzi 00:12:34
7O du mein holder Abendstern (from: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg) 00:06:01
8Isoldes Liebestod (from: Tristan und Isolde) 00:08:27
9Ride of the Valkyries – Prelude to Act 3 (from: Die Walküre) 00:05:21

Interpreten der Einspielung

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