Ondine ODE 1239-2
1 CD • 68min • 2013
29.09.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Rund zwanzig Jahre liegen zwischen den beiden Violinkonzerten Dmitri Schostakowitschs. Beiden ist zu eigen, dass sie in Phasen der Krise komponiert wurden. Politisch bedingt war diese im Falle des ersten Violinkonzertes: entstanden 1947/48 praktisch zeitgleich mit Stalins Massregelung von Kunst, die als „volksfremd und formalistisch“ verurteilt wurde; zudem mit deutlichen Zitaten jüdischer Volksmusik, was als kaum minder heikel galt. Und so wurde das Werk erst nach Stalins Tod in der Mitte der fünfziger Jahre uraufgeführt – von David Oistrach, dem in der Folge auch das zweite Violinkonzert gewidmet wurde. Schostakowitsch schrieb es 1967 nach schwerer Erkrankung, mit der Reduktion des Satzes und der konsequenten Konzentration ein typisches Zeugnis seines späten Schaffens.
Heute gehören die beiden Konzerte weitgehend ins geigerische Standardrepertoire. Die aktuelle Aufnahme päsentiert Christian Tetzlaff, übrigens gegenwärtig „artist in residence“ bei den Berliner Philharmonikern. Ein mehr bewusster als intuitiver Interpret, was im Falle solch vielschichtiger Musik seine gewichtigen Vorteile hat. Interessant ist nicht zuletzt der Vergleich mit David Oistrach, der die zwei Konzerte jeweilen kurz nach ihrer Uraufführung eingespielt hat. Der Russe setzt mehr Espressivo und auch ein Plus an Vibrato ein; dagegen wirkt Tetzlaff, bei kaum minderer Beherrschung der technischen Ansprüche, diskreter und beherrschter. In den Tempi bleibt er beim ersten Konzert nahe bei Oistrach, im zweiten dagegen bremst er deutlich ab – als wolle er die innere Dramatik, ja das Rätselhafte unterstreichen.
Die extremen emotionalen Kontraste, an denen auch diese Schostakowitsch-Werke nicht arm sind, ebnet Tetzlaff dabei keineswegs ein. Deutlicher als Oistrach (das mag vielleicht weniger mit der Klangästhetik als mit der damaligen Aufnahmetechnik zusammenhängen) zeigt sich Tetzlaff eher am Dialogisieren mit dem Orchester als auf den bravourösen Sololauf erpicht; der Finne John Storgards an der Spitze der klangbewussten Helsinki-Philharmoniker macht entschlossen mit – er kann davon profitieren, dass er selber einst als Geiger angefangen hat. Selbst in den Kadenzen, auf welche alle drei Sätze des zweiten Konzertes lossteuern, dreht Tetzlaff nicht effekthascherisch auf – sie bleiben eingespannt in die tönende Skala zwischen Melancholie und grimmigem Humor, zwischen Verzweiflung und zwielichtiger Heiterkeit. Das sind auch die Grundelemente in Tetzlaffs Interpretation des ersten Konzertes: hier unendliche Trauer, dort trotziges Aufbegehren, welch letzteres zumal in Scherzo und Burlesque geradezu irritierende Züge annimmt.
Mario Gerteis † [29.09.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 77 | 00:36:08 |
5 | Violinkonzert Nr. 2 cis-Moll op. 129 | 00:32:01 |
Interpreten der Einspielung
- Christian Tetzlaff (Violine)
- Helsinki Philharmonic Orchestra (Orchester)
- John Størgårds (Dirigent)