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Besprechung CD

Schumann The symphonies

DG 479 2437

2 CD • 2h 04min • 2012

03.04.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 7
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 7

Yannick Nézet-Séguin sei das „most exciting talent“ seiner Generation, zitiert man auf der Inlay-Card den Independent, und wieder frage ich mich, wie die Menge derer, die es heute von dieser Sorte gibt, überhaupt noch Luft zum Atmen und Platz für die Füße findet: Dieser Parnassus muß inzwischen so vollgestopft sein mit „mostesten“ Talenten, dass ein herkömmlicher Klavierspieler, eine normale Sängerin oder ein solider, guter Dirigent sich glücklich preisen sollten, wenn sie nie – und ich meine: nie – in diese Gefilde hinunter müssen.

Indessen hat der „große Hoffnungsträger des Philadelphia Orchestra“, wie ihn jüngst ein bekanntes deutsches Fachblatt apostrophierte, hier eine Gesamtaufnahme der vier Schumann-Sinfonien abgeliefert, die es uns gestattet, das kaum mehr als Schmuck empfundene Beiwort „aufregend“ in zwiefacher Weise zu deuten. Aufregend in der Tat ist die Leistung des Chamber Orchestra of Europe, das mit enormer Virtuosität die heikelsten und rasantesten Aufgaben bewältigt, in den Soli – man höre zum Beispiel die zauberhafte Flöte in der ersten Sinfonie – vorzüglich besetzt ist, die Stimmführungen und Kräfteverhältnisse zwischen den einzelnen Gruppen und Partien erstklassig durchleuchtet und kurzum alles mitmacht, was verlangt wird. Eine völlig andere Aufregung resultierte daraus, dass am Pult anscheinend ein junger Mann steht, der Robert Schumanns Musik bislang nur vom Hörensagen kennt. Dazu genügt ein Blick in den Begleittext, der Nézet-Séguin so ausgiebig zitiert, dass auch die indirekte Rede über die Werke und ihren Komponisten aus derselben Quelle gespeist sein dürfte. So verzichtet man vorsorglich auf den originalen Wortlaut der Gedichtzeile „Im Tale zieht der Frühling auf“, weil diese ja nicht nur die Inspiration, sondern ganz konkret den wesentlichen Rhythmus des Kopfsatzes erzeugt, während man hier zu Beginn, wo die schönen Trompeten und Hörner blasen, wieder einmal in den breiten Wategang verfällt, den man seit Olims Zeiten an der Stelle eines „poco maestoso“ zu hören bekommt: So zieht der Frühling nicht auf, so schleift er sich in einem anstrengenden Fußmarsch hügelwärts dem nächsten Berggasthof entgegen ...

Eine gute, wenngleich keinesfalls neue Idee ist es, die Sinfonien in einer kleinen Streicherbesetzung (9-9-6-5-4) ausführen zu lassen, die tatsächlich ein besseres Gleichgewicht mit den Holzbläsern erreicht und der Transparenz des Orchestersatzes klarerweise sehr zuträglich ist. Schumann hätte also doch zu instrumentieren gewußt – wird dann aber, im Kontext des dritten Satzes aus der Rheinischen Sinfonie gleich wieder als „Komponist fürs Klavier” herabgestuft, da eben dieser Satz dem Dirigenten „wie einer der kleinen Sätze in seinen Klavierzyklen“ erscheint: „Die Musiker und ich haben sehr an diesem Satz gefeilt, es war uns sehr wichtig, seinen improvisatorischen Charakter nicht nur zu verstehen, sondern uns ihm auch zu überlassen,“ führt Nézet-Séguin aus, und es sei ihm dringend angeraten, sich mit den feinen, ausgeklügelten Strukturen gerade der Miniaturen einmal eingehender zu befassen. Oder auch mit gewissen motivischen Details, die hier so beiläufig formuliert werden, dass sie ihre zum Teil werkübergreifende, zum Teil geographisch begründete Signifikanz verlieren: die Hemiole mit der markanten Punktierung, die sich bedeutungsvoll von den frühen Zyklen bis in die späten Schöpfungen verfolgen läßt; die schmetternden Fanfaren und die vernehmlichen Tusch-Manöver des rheinischen Karnevals, das herzliche Jauchzen der Hörner, die im Finale der Es-Dur-Sinfonie fröhliche Urständ feiern – das sind keine Nebensächlichkeiten. Es sind Zielpunkte, in denen es den romantischen Berg-und-Tal-Fahrer Schumann so recht aus dem dumpfen Brüten herausreißt und der strahlende Glanz eines prächtigen Tages die finstern Geister wenigstens für einige Zeit verscheucht.

So könnte ich wohl noch fortfahren und beispielsweise anmerken, wie steifbeinig man nach dem wirklich bezaubernden Geigensolo in der Romanze der d-Moll-Sinfonie weiterschreitet; wie im Finale der Zweiten eine zackig fürbaß marschierende Landsknechtstruppe jählings in einen Bienenschwarm gerät; daß die Auseinandersetzungen mit Beethoven oder mit Schuberts großer C-Dur-Sinfonie höchstens als Marginalien aufscheinen. Der Eindruck des Unfertigen entsteht indessen nicht aus der Summe kritischer Erbsenzählereien, sondern aus der praktisch immer gleichen Sequenz: Schöne, verheißungsvolle, intensive Anfänge verlieren sich in routinemäßigen oder besser: schematischen Fortspinnungen und Phrasierungen, aus denen sich fallweise wiederum schöne Augenblicke erheben, die aber nicht verweilen wollen, weil man sich letztlich von außen genähert und die Musik nicht mit Gewußtem, sondern über weite Strecken mit Gelerntem erfüllt hat.

Rasmus van Rijn [03.04.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Robert Schumann
1Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 (Frühlingssinfonie) 00:29:25
5Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 00:28:29
CD/SACD 2
1Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 00:34:53
5Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 (Rheinische) 00:31:19

Interpreten der Einspielung

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