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Besprechung CD

Yu Jung Yoon

plays Alexander Scriabin

Dreyer Gaido 21080

1 CD • 60min • 2012

20.01.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 8

Eine junge Dame und ein für mich neuer Name auf dem Konzert- und CD-Podium! Zugleich eine neue, aller Aufmerksamkeit seitens des Publikums würdige Künstlerpersönlichkeit: die schon im zartesten Alter von 14 Jahren am St. Petersburger Konservatorium akzeptierte und ausgebildete Pianistin Yu Jung Yoon. Als eine Persönlichkeit wage ich sie mit gutem Gewissen zu bezeichnen, weil sie hier auf ihrer ersten (?) CD-Einspielung mit drei zentralen Skriabin-Werken nicht nur eine geschmeidige, für die Anforderungen plastischen und farbenreichen Klavierspiels ausgefeilte Technik besitzt. Vielmehr liegt es in ihrem gestalterischen Einflussbereich, den meisten der ihr anvertrauten Miniaturen ebenso wie den größer formatierten Abläufen Richtung, Prägnanz und wichtiger noch: eine unverwechselbare Definition in der Abmischung aller denkbaren Parameter zu verleihen. Yu Jung Yoons darstellerische Basis für den pianistisch-musikalischen Slalom durch den eng gesteckten Kurs der 24 Préludes op. 11 ist ein warmes, sozusagen Kalorien reiches Piano, dessen sachdienliche Nervosität und Liebreiz sich im Forte und Fortissimo zu gesunder Fülle ausweitet. Dadurch verbreiten etwa die exsaltierten Episoden der „Vorspiele“ op. 11 eine Atmosphäre humaner Mächtigkeit. Und damit eben nicht wie so oft in der heutigen Hochgeschwindigkeits- und Schlagwütigkeitsszene jenes Klima ehrgeiziger Gewalttätigkeit, das sich einzig aus mechanischer und physischer Zuverlässigkeit, kaum aber aus gedanklichem und emotionalen Verantwortungsbewusstsein herleiten lässt.

So weich geduckt, wie Yu Jung Yoon die Préludes eröffnet, könnte man sich von ihrer Hand auch das erste Chopin-Prélude angeschoben und gestreichelt vorstellen. Das Erscheinungsbild des dritten Stücks empfinde ich um eine Spur zu flüchtig, zu glitschig in der Auslegung der Skalen und der mit ihnen verbundenen Geläufigkeit. Aber schon mit der Nummer Vier befindet sich die junge Dame sicher auf Kurs, entdeckt und bezeichnet souverän alles Mysteriöse (Nr. 16), alles Muskolöse (Nr. 18) – und sie lässt es auch an einer kleinen Dosis an Humor nicht fehlen, wenn sie im Verlauf von Nr. 17 dem adretten Zick-Zack-Hüpfen den Anscheins eines Fingerzwinkerns verleiht.

Markant, in den Akkordfolgen jedoch durchaus biegsam und andächtig „erlebt“ die Pianistin das nächtlich orientierte Klavierlibretto der gis-Moll-Sonate. Zu tönendem, stürmischen Leben erweckt, gewinnt der zweite Satz mit seinen beängstigenden Wellenbewegungen die Dramatik „ozeanischer Unendlichkeit“ (Skriabin). Der Interpretin fehlt es dabei nicht an einem guten Maß an Beherrschtheit in der Tempojustierung. Yu Jung Yoons russischer Kollege Daniil Trifonov, dessen Carnegie Hall-Einspielung kürzlich bei der Deutschen Grammophon erschienen ist, zeigt in dieser Phase schier grenzenlose Gewandtheit, aber auch eine gefährliche Tendenz, fliegend und hastend das wirkliche Auf- und Ab des Satzes aus den Augen zu verlieren, pianistisch gesprochen: aus den Händen zu geben.

Der Beginn der Fis-Dur-Sonate mit seinen giftig gen Himmel spritzenden Klangkaskaden kann man sich gleißender, betörender, ja verwegener herausgeschleudert vorstellen als es Yu Jung Yoon gegeben ist (oder sinnvoll erscheint). Ich denke da an die italienische Life-Aufnahme von Sviatoslav Richter aus den 60er-Jahren. Aber die junge Yoon versteht es, die Sonate trotz ihrer zerfurchten, immer wieder ermattenden und dann heftig aufbegehrenden Anlage „zusammen zu halten“ und am Ende packend ausrauschen zu lassen..

Was die Edition dieser insgesamt beeindruckenden musikalischen Vorführungen und Bekenntnisse anbelangt, so sind einerseits der räumlich-dynamisch natürlich wirkende Klavierklang und ein profunder Einführungstext von "Klassik-Heute"-Autor Hartmut Lück hervorzuheben, andererseits ein Manko, das für viele der neueren Publikationen typisch ist. Biographisches Material – Herkunft, Nationalität, Alter etc. – bleibt im Begleitheft bis auf wenige Daten hinsichtlich der verantwortlichen Pädagogen ausgespart. Eine Diskretion, die man bei Horowitz-, Arrau- oder auch bei Sokolov-Aufnahmen auf Grund von deren Berühmtheitsgrad tolerieren wird, aber bei einem künstlerischen und medialen "Newcomer" vermisst. Nebenbei bemerkt: auch Yu Jung Yoons Webseite ist nicht informativer – und graphisch derart gestaltet, dass man beim Schwarz/Weiß-Ausdruck den Text kaum lesen kann…

Vergleichsaufnahmen: Préludes op. 11: Kerer (LP Melodia/Eurodisc 25160 KK), Fergus-Thompson (ASV DCA 919), Ponti (LP Vox Box SVBX 5462), Pizarro (Collins 14962), Kuschnerova (Ars musici 1259-2), Gourari (Koch 3-1431-2), Lane(Hyperion CDA 67057/8), Zarafiants (Naxos 8.553997), Gieseking (Music & Arts 1098/4), von Eckardstein (MDG 604 1318-2); Sonaten op. 19 und op. 53: Shukow (telos Music TLS 035); op. 19: Pogorelich (DG 429 391-2), Demidenko (Conifer classics 75605 51204 2), Novitskaya (LP Melodya CM 03533-4), Trifonov (Carnegie Hall 5.2.2013 DG 479 1728); op. 53: Gould (NY 1970 LP CBS M3 42150), Horowitz (LP RCA ARL 1-1766, GD 86215), Gieseking (live 30.10.1947 Pearl GEMM CD 9011), Postnikova (LP Melodya 33CM 03983-84/a), Richter (LP DG 2726020, DG 423 573-2), Steuerman (Philips 422 068-2), Deyanova (Nimbus NI 5176), Plagge (Deutsche harmonia mundi 2028-2), Boris Berman (Musik & Arts CD-605)

Peter Cossé † [20.01.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Alexander Scriabin
124 Préludes op. 11 00:33:44
25Klaviersonate Nr. 2 gis-Moll op. 19 (Sonate-Fantasie) 00:12:33
27Klaviersonate Nr. 5 Fis-Dur op. 53 00:13:02

Interpreten der Einspielung

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