Ondine ODE 1225-2
1 CD • 66min • 2013
24.10.2013
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Während uns der englisch-finnische Werkkommentar nicht gerade mit spektakulären Entdeckungen unterhält, sondern lediglich die weithin bekannten Geschichten vom unterdrückten Genie und seinem Überlebenskampf im Reiche des Bösen wiederholt, ist der musikalische Gehalt der Produktion von einem solchen Kaliber, dass eine dreifache Zehn einfach unausweichlich war. Und das nicht etwa, weil die sieben niedlichen Sätzchen der Ende 1939 entstandenen Suite über finnische Themen mit ihren hübschen Arrangements und Liedchen ein neues Licht auf Dmitrij Schostakowitsch fallen ließen (sein Tahiti-Trott über Tea for Two sagt über seine hohen Bearbeiterfertigkeiten genug). Auch nicht, weil mit den fünf Titeln aus dem patriotischen Streifen Zoya (1944) unbekanntes Terrain betreten würde. Sondern weil gerade die Hinrichtung des Stepan Razin op. 119, das wuchtige, gedrängte Nachfolgemodell der introvertierten dreizehnten Sinfonie, von der ersten bis zur letzten Sekunde ihrer gut fünfundzwanzig Minuten derart gefangen nimmt, dass es mir vorkam, als hätte ich das knallige, gern als grelles Protestplakat herausgeschmetterte Poem zum ersten Male „richtig" gehört – als eine über sich selbst und gewiss über die Leidensfähigkeit ihrer beiden Autoren hinausweisende, sozusagen ins Große transzendierte Szene, in der die vordergründigen Aussagen (und symbolträchtigsten Andeutungen) sich verlieren, um einer grandiosen Musik Platz zu machen. Äußer(lich)es spielt zweifellos eine Rolle: die schön gestaffelte Räumlichkeit der Inszenierung, die den Chor der hysterischen Volksmassen immer wieder aufkochend über dem quasi isolierten Solisten zusammenschlagen läßt, sowie die präzise ausgerichteten Orchesterfarben mit ihren archaischen Spaltklängen tragen unbedingt zu dem fesselnden Gesamtbild bei, dessen pathetisch eingefrorene Züge unter Vladimir Ashkenazys Leitung in eine unwiderstehliche tänzerische Bewegung geraten und von dem fabelhaften Bassbariton Shenyang mit ebenso vielem Einfühlungs- wie Stehvermögen ins Leben geholt werden. Zwar kann ich mich begreiflicherweise über seine Aussprache der russischen Lyrik nicht äußern; doch dass er diesen speziellen „Gang zum Richtplatz" über alle sprachlichen Barrieren hin zu vermitteln versteht, das ist in jeder Phrase zu und selbst in jenem kostbaren Prickeln zu spüren, das wir Gänsehaut nennen.
Auch den beiden nachfolgenden Einspielungen fehlt es nicht an hörenswerten Qualitäten. Aufschlußreich ist dabei sicherlich, dass Schostakowitsch die Suite über finnische Lieder als Auftragsarbeit erledigte, als im November 1939 soeben der sowjetisch-finnische Winterkrieg angefangen hatte. Noch eigentümlicher indes muten die Noten- und Motiv- und Gedankenähnlichkeiten an, die die fünf Jahre jüngere Filmmusik mit ihrer unmittelbaren kreativen Umgebung verbindet: Pralle Jubelchöre und schmelzende Schnulzen, wie sie bald im Lied von den Wäldern aufgetischt werden; feine Streichergespinste, die uns bis ins Straussische Capriccio zurückversetzen; eine klirrende Kampfszene nach der Art der achten Sinfonie, und ein Wutausbruch, in dem das „Stalinportrait" aus der Zehnten skizziert wird – sind das alles nur Zufälligkeiten und Idiosynkrasien?
Rasmus van Rijn [24.10.2013]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Dimitri Schostakowitsch | ||
1 | Die Hinrichtung des Stenka Rasin op. 119 für Bass, gemischten Chor und Orchester | 00:25:34 |
2 | Zoya Suite op. 64a | 00:28:46 |
7 | Suite über finnische Themen | 00:11:15 |
Interpreten der Einspielung
- Mari Palo (Sopran)
- Shenyang (Bariton)
- Tuomas Katajala (Tenor)
- State Choir Latvija (Chor)
- Helsinki Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Vladimir Ashkenazy (Dirigent)