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Besprechung CD

Forgetmenot

gutingi 246

1 CD • 59min • [P] 2012

04.10.2012

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 6

Allen Interpreten, die sich mit Feuereifer und Leidenschaft für die Musik unserer Zeit stark machen, gilt meine aufrichtige Bewunderung und Anerkennung. Was kann es für einen Spieler Spannenderes geben, als sich im schöpferischen Dialog mit einem noch lebenden (sic!) Komponisten oder einer Komponistin gegenseitig kreativ zu beflügeln. Wenn nun der rumänische Flötist Ion Bogdan Stefanescu mit Forgetmenot seiner Landsfrau Violeta Dinescu ein komplettes Soloprogramm widmet, so handelt es sich ganz offensichtlich um eine solche kreative Verbindung.

Stefanescu ist wie nur wenige andere mit dem Flötenschaffen der seit langem in Deutschland lebenden Bukaresterin vertraut. In ihrem Œuvre nimmt die Flöte eine Sonderstellung ein. Man kann hören, dass sie sich intensiv mit den klanglichen und spieltechnischen Eigenheiten des Instruments auseinandergesetzt hat. Kaum ein Effekt, kaum eine klangliche Verfremdung, die nicht in dem rund einstündigen Solorecital zu finden wäre. Ob Stefanescu sich selbst und der Komponistin mit diesem „Konzentrat“ wirklich einen Gefallen getan hat? Ersteres fällt in den Bereich des Möglichen, letzteres eher nicht, es sei denn, man betrachtet die Einspielung unter rein „enzyklopädischen“ Gesichtspunkten, schlicht als Sammlung von Musik für Soloflöte.

So sehr ich Dinescus offensichtliche Affinität zur Flöte, ihre schier unerschöpfliche Klangfantasie und Stefanescus – nennen wir es ruhig kongeniale – Umsetzung der musikalischen Absichten der Komponistin hochachte, so problematisch finde ich die CD für den selbst Zeitgenössischem aufgeschlossenen Hörer. Die Gefahr, mit Soloprogrammen (besonders bei Melodieinstrumenten) schnell auf Glatteis zu geraten, ist evident: allzu rasch ermüdet die mehr oder weniger immer gleiche Klangfarbe den Hörer, und nur ein ausgefeiltes dramaturgisches Konzept kann dieser Gefahr entgegenwirken. Stefanescu war sich dessen als erfahrener Interpret wohl bewusst, versucht er doch mit dem Einsatz verschiedener Flötentypen (Große Flöte, Altflöte, Bassflöte, Piccolo u. chinesische Dizi) Abwechslung zu schaffen. Dafür spricht auch der Versuch, der Stückfolge mit dem mehrsätzigen Werk Circuit (I-VI) eine Art „Rahmenhandlung“ zu verleihen. Was meines Erachtens das Projekt scheitern lässt, ist die Musik Dinescus selbst: Hört man ein Stück für sich allein, mögen vielleicht die zahlreichen Effekte noch Staunen machen (ihr Spektrum umfasst praktisch das ganze Repertoire neuer Spieltechniken). Nach spätestens drei Nummern aber wich meine anfängliche Wachheit und Neugier einer gewissen Gleichmut. Dinescus Musik ermüdet, zumindest in dieser Ballung. Vielleicht empfiehlt der umsichtige Flötist genau aus jenem Grund seinen Hörern explizit (Zitat): „…die ganze CD einmal komplett zu hören. Danach sollte man 11 Tage des Jahres aussuchen und jeweils nur ein Werk hören – eines nach dem anderen. Ihr Gefühl (das spirituelle Gefühl und das Körpergefühl) werden sich total verändern.“ Letzteres konnte ich aus Zeitgründen nicht verifizieren. Zusammen mit dem ebenso gewöhnungsbedürftigen Begleittext, der wortreich eine musikalischen Exegese wagt, beschleicht mich das Gefühl, dass hier der Versuch unternommen wird, der Musik künstlich die Dimension des Mystischen, Geheimnisvollen und Spirituellen zu verleihen. Im Grunde klingen die Stücke alle recht ähnlich und bedienen sich geläufiger Gemeinplätze zeitgenössisch-avantgardistischer Flötenmusik, wie sie aus Werken insbesondere fernöstlicher Provenienz hinlänglich bekannt sind. Dass die Komponistin dabei hin und wieder (ziemlich banal wirkende) Anklänge an Jazz- und Popularmusik mit Kazoo und Fingerschnipsen eingewoben hat (Circuit III), mag (absichtsvoll?) befremden. So bewundernswert Dinescus klangliche Fantasie auch ist, so problematisch empfinde ich gleichzeitig ihre Organisation von Melos und Rhythmik. Sie wirkt oft beliebig, fast wie improvisiert – es könnte so sein oder auch anders.

Die interessantesten, weil in sich geschlosseneren und auch in ihrer Motivik nachvollziehbareren Stücke der CD sind noch das namengebende Forgetmenot und das beschließende Circuit VI, in dem charakteristische Teile der vorangegangenen Circuits wiederkehren und teilweise gleichzeitig erklingen, sich dabei gleichsam selbst kommentieren, konterkarieren und perspektivisch neu ordnen.

Vielleicht wäre eine Zusammenstellung von Dinescus Flötenkammermusik mit anderen Instrumenten ein erfolgversprechenderer Weg gewesen, dem Schaffen der Komponistin neue Freunde zu gewinnen.

Heinz Braun † [04.10.2012]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Violeta Dinescu
1Circuit I 00:03:58
2Immagini 00:05:14
3Circuit II 00:05:21
4Doru für Querflöte 00:05:47
5Circuit III 00:02:32
6Le double silence 00:06:38
7Circuit IV 00:06:07
8Immaginabile 00:02:41
9Circuit V 00:07:24
10Forgetmenot 00:09:49
11Circuit VI 00:03:10

Interpreten der Einspielung

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