Bei dir allein! Schubert Songs
BIS 1844
1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2010
12.04.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Schade, dass das Eingangs- und zugleich namensgebende Lied am wenigsten geglückt ist: Bei dir allein – da gellt die Höhe, da werden Silben, halbe Wörter verschluckt, die tiefen Töne verschwinden, der Text sprudelt undeutlich hervor. Schade deshalb, weil der erste Eindruck oft als der bestimmende übrigbleibt. Beim weiteren Zuhören wendet sich nämlich der Zeiger bald zum Guten, die Vortragskunst der Sängerin wird einem immer vertrauter und sympathischer. Die gebürtige Schwedin Camilla Tilling, als Opern- und Konzertsängerin längst im besten Sinne anerkannt, nähert sich nach ihrem glänzend gelungenen Richard-Strauss-Recital (Rote Rosen, BIS-SACD-1709) dem schwierigsten Kapitel im Liedreich: Franz Schubert. Mit ihrer reinen, jugendfrischen Sopranstimme findet sie bei lyrischen Gesängen wie Frühlingslaube oder An Sylvia sozusagen offene Pforten. Aber erstaunlich, zu welchen kühnen Flügen sich ihr Vortrag, ihr Gesang erheben kann. Die unheimliche und zugleich hochdramatische Ballade Der Zwerg – braucht es dazu nicht ein Kaliber vom Schlag einer Jessye Norman, wenn eine Sängerin sich daran heranwagt? Doch überraschend: die packende, aufregende Darstellung gestaltet sich zu einem Höhepunkt des Konzerts. Totengräbers Heimweh – auch hier eine Grenzüberschreitung, kaum jemals von Frauenstimmen gesungen und wiederum der Sieg einer außerordentlichen Gestaltungsgabe. Das Lied der Delphine – ein überflutender Liebestaumel in Schuberttönen, unendlich schwer zu singen: nicht in allen Einzelheiten vollkommen gelungen, aber durch die ungestüme, bestürzende Darstellungskraft von überwältigender Wirkung. Anstelle kalter Perfektion erlebt man hier Liedgesang aus Fleisch und Blut, voll Überschwang und Enthusiasmus. Zu nennen sind auch noch die Schubert-Raritäten Lied des Florio und Der Sänger am Felsen als wertvolle und bereichernde Beigaben. Camilla Tillings feurige, von erregtem Schwingen erfüllte Stimme, ihre starke Beteiligung, ihr Einswerden mit Wort und Ton – all das fegt Einwände hinweg, auch wenn sie zu Recht bestehen mögen (dazu zählen auch die häufig wiederkehrenden steifen Töne oder die dunkle Färbung des Vokals E bei Wörtern wie Herz, Schmerz, fern, erst u. a.)
Einschränkungen betreffen den Pianisten Paul Rivinius. Gewiß ein korrekter und hochgebildeter Musiker. Doch allzuoft dominiert in seinem Spiel die Härte, manches klingt wie mit Stahlfingern gespielt. Als Kontrast zum Vortrags-Überschwang der Sängerin mag diese distanzierte Haltung ihre Berechtigung haben, aber wenn man sich – als Exempel – seine nüchterne Klavierbegleitung zu Schuberts kostbarem Lied Im Frühling anhört, dann wird man das Eigentliche und Wichtigste vermissen: den Sehnsuchtston, der uns mitteilt, dass es darin um „ die Lieb’ und ach das Leid“ geht.
Clemens Höslinger [12.04.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Bei dir allein op. 95 No. 2 D 866 Nr. 2 | 00:02:10 |
2 | Lied der Delphine op. 124 No. 1 D 857 a (1825) | 00:04:17 |
3 | Lied des Florio D 857/2 (Nun, da die Schatten niedergleiten, 1825 - from: Lacrimas op. 124 D 857) | 00:03:29 |
4 | Suleika I D 720 (Was bedeutet die Bewegung?) | 00:05:42 |
5 | Suleika II D 717 (Ach, um deine feuchten Schwingen) | 00:04:17 |
6 | An Silvia op. 106 No. 4 D 891 (Gesang) | 00:02:47 |
7 | Der Zwerg op. 22 No. 1 D 771 | 00:05:28 |
8 | Geheimes D 719 | 00:01:56 |
9 | Heimliches Lieben D 922 | 00:04:18 |
10 | Gretchen am Spinnrade op. 2 D 118 | 00:03:45 |
11 | Frühlingsglaube op. 20 No. 2 D 686 | 00:03:13 |
12 | Im Frühling op. 101 No. 1 D 882 | 00:04:10 |
13 | Der Sänger am Felsen D 482 | 00:03:20 |
14 | Totengräbers Heimwehe D 842 | 00:06:27 |
15 | Am Tage Aller Seelen D 343 (Litaney auf das Fest aller Seelen) | 00:04:10 |
Interpreten der Einspielung
- Camilla Tilling (Sopran)
- Paul Rivinius (Klavier)