Apocryphal Bach
Masses II
cpo 777 561-2
1 CD • 58min • 2009
11.05.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Diese CD spannt einen weiten Bogen über Bachs Berufsleben von der frühesten Schaffenszeit in Mühlhausen bis in die 1740er Jahre und vereint eigene Kompositionen mit Werken aus der Feder von Zeitgenossen, die Bach für Aufführungen in Leipzig abgeschrieben hat.
„Hauptwerk" der CD ist nach Wolfgang Helbichs Aussage die Messe G-Dur BWV Anh. 167. Das Werk ist erwiesenermaßen keine Komposition Bachs, existiert allerdings in einer von Bach zwischen 1732 und 1735 in Auftrag gegebenen Abschrift vom Kyrie bis zum Beginn des Glorias, das Bach 1738/39 eigenhändig vervollständigt hat. Nach zwischenzeitlicher Zuweisung an Antonio Lotti (1667-1740) gilt dies inzwischen wieder als nicht erwiesen. Wichtig ist die G-Dur-Messe in der Geschichte der Bach-Rezeption: 1805 erklang das Werk als Komposition J. S. Bachs im Leipziger Gewandhaus vor einem ehrfurchtsvoll begeisterten Publikum und wurde von der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung als „aus den Ruinen der grauen Vorzeit herausgegrabener Obelisk" bezeichnet. Bemerkenswert ist auch das in Abschrift von 1742 vorliegende repräsentative Magnificat C-Dur BWV Anh. 30, dessen Komponist bis heute nicht ermittelt werden konnte.
Das am Schluss erklingende BWV 150 „Nach dir, Herr, verlanget mich" (für mich dank seiner Eindringlichkeit das Hauptwerk dieser CD) bildet einen eindrucksvollen Kontrast zu der lateinischen Kirchenmusik der Einspielung. Die Kantate scheint ein Huldigungswerk an den Mühlhäuser Bürgermeister Dr. Conrad Meckbach zu sein, der sich 1707 für die Berufung Bachs zum Organisten an der Kirche Divi Blasii nachdrücklich eingesetzt hat und dessen Name als Akrostichon über das Stück verteilt in mehreren Arienversen erscheint. Lang anhaltende Zweifel der Bachforschung an Bachs Urheberschaft wegen des retrospektiven Stils dieser Kantate sind ausgeräumt: Heute kann „Nach dir, Herr, verlanget mich" als eine erstrangige Komposition des 23-jährigen Bach gelten, der sich hier souverän mit dem Erbe der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt.
Die hochinteressante Repertoirezusammenstellung dieser CD hätte auch einen vorzüglichen Anlass gegeben, die derzeitigen Grabenkämpfe zwischen den solistischen und groß besetzten Aufführungspraktiken der Musik Bachs zu überwinden, zumal Helbich mit den beiden verfügbaren Solistenquartetten neben den Solisten auch noch Ripienisten hätte besetzen können. Eine leider vertane Chance! Im Vergleich zu den beiden Alternativaufnahmen von BWV 150, die zwar die solistische Besetzung teilen, künstlerisch aber durchaus eigene Wege beschreiten, klingt die chorische Version mit dem Alsfelder Vokalensemble massig und etwas diffus – die raffinierte musikalische Rhetorik des Werkes, die schon für Zeitgenossen des jungen Bach etwas altmodisch geklungen haben dürfte, geht leider unter.
Vergleichsaufnahmen: für BWV 150: Katharina Fuge (Sopran), Carlos Mena (Altus), Jan Kobow (Tenor), Stephan McLeod (Baß), Ricercar Consort, Philippe Pierlot (Leitung) – Mirare MIR 002. Veronika Winter (Sopran), Damien Guillon (Altus), Marcel Beekman (Tenor), Benoît Arnould (Bariton) Akadémia, Ltg.: Françoise Lasserre (Leitung) – Zig Zag Territoires ZZT 090102.
Detmar Huchting [11.05.2012]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Missa in G BWV Anh. 167 | 00:13:31 |
4 | Magnificat in C BWV Anh. 30 | 00:19:01 |
12 | Missa in a BWV Anh. 24 | 00:04:21 |
14 | Sanctus G-Dur BWV 240 | 00:02:21 |
15 | Sanctus in d BWV 239 | 00:01:57 |
16 | Sanctus C-Dur BWV 237 | 00:01:33 |
17 | Nach dir, Herr verlanget mich BWV 150 (Kantate) | 00:14:39 |
Interpreten der Einspielung
- Gesualdo Consort Amsterdam (Ensemble)
- Alsfelder Vokalensemble (Chor)
- Hannoversche Hofkapelle (Ensemble)
- Wolfgang Helbich (Dirigent)