Ferruccio Busoni Hommages à Mozart, Bach & Chopin
cpo 777 427-2
1 CD • 78min • 2008
30.12.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Den schwedischen Pianisten Roland Pöntinen habe ich bei zahlreichen Gelegenheiten stets als literarisch vielfältig interessierten, technisch zuverlässig handelnden Interpreten erlebt, freilich aber auch als einen in seinen modulatorischen Gesamtkonzeptionen zuweilen etwas blass mit dem Hörer kommunizierenden Gestalter. Umso mehr überrascht mich seine hier zur Diskussion stehende Busoni-Auswahl, die in guter Mischung bekannte, sozusagen oft ausprobierte Stücke, aber auch weniger vertraute Raritäten im Miniaturformat enthält. So zum Beispiel aus Busonis Sammlung An die Jugend (BV 254) eine Mozart-Hommage unter der durchaus sonderbaren Werk-Devise Giga, Bolero e Variazioni von vier Minuten Spieldauer.
Von unterschiedlicher Art der schöpferischen Hin- und Rückwendung ist das gesamte Programm dieser CD geprägt, der Untertitel auf dem malerischen Cover bestätigt es mit der Formulierung „Hommage à Mozart - Bach - Chopin". Was die erwähnte Mozart-Huldigung anbelangt, erlaube ich mir den in großzügiger Weitschweifigkeit amtierenden Beiheft-Autoren Eckhardt von den Hoogen zu zitieren. Er spricht vom „ ,nachgedichteten‘ Mozart, der die chromatisch gefärbte Gigue KV 574 mit dem Fandango (Bolero) aus dem dritten Figaro-Finale verbindet, um schließlich die Gigue in die Sechzehntelbewegung eines Zweivierteltaktes umzugießen". Und weiter berichtet van den Hoogen, nun in Klammern absetzend: „(Als Busoni diese prickelnde Beschäftigung mit der ‚vollkommensten Erscheinung musikalischer Begabung' 1920 in den Band La Staccato seiner Klavierübung übernahm, strich er den Bolero, so dass hier die Gigue und ihre Variation direkt ineinander übergehen)".
Zuweilen sind Entstehungsgeschichte und gleichsam das Lebensprotokoll eines Werkes – in diesem Fall eines Werkleins – fesselnder als das bezeichnete Objekt selber. An solchen Nichtigkeiten aus dem ästhetischen Nebenerwerb ist das Schaffen Busonis nicht arm, aber im Zusammenhang mit seinen großformatigen Konzeptionen der Klaviermusik, der Kammermusik und der Bühnenwerke lohnt es allemal, sich auch mit seinen „Albumblättern" und skizzenhaft entworfenen, genauer gesagt: raffiniert bis schräg tönend hingeworfenen Bonsai-Formaten zu befassen. Zu ihnen gehört die von Pöntinen am Ende seines Programmes eingespielte Nuit de Noël-Andächtigkeit, zwischen deren sanft sich reibenden Linien und engelhaften Diskant-Glöckchen wie aus der Ferne das vertraute O du fröhliche hindurchschimmert. Das erinnert in seiner naiven, enthaltsamen Stimmungspoesie an Max Regers Mariä Wiegenlied op. 76,52 – zu erleben etwa in Markus Beckers Reger-Gesamtaufnahme (Thorofon CTH 2321).
Im umfangreichsten Teil dieser Edition widmet sich Pöntinen den Bach-Übertragungen Busonis, die im Bereich der Chaconne und einigen der insgesamt neun „Orgelchoralvorspiele von J. S. Bach auf das Pianoforte im Kammerstyl übertragen B 27" längst zur Grundausrüstung reisender Virtuosen gehören. Mit der „zum Concertvortrag" bearbeiteten Chaconne (BV 24) begibt sich Pöntinen auf ein intensiv beackertes Repertoirefeld. Und er beweist pianistisches Rückgrat, das heißt: er ordnet auf plastische Weise Start und Verlauf dieses erregenden Slaloms durch die musikalische Welt des Möglichen bis hart an der Grenze des Überwirklichen und in der unwiderstehlichen Logik unvergleichlich verketteter Inspiration. Pöntinens „Handhabe" auf dieser knapp viertelstündigen Reise durch eine ebenso barocke wie romantische und zeitlose Welt der sinnlichen-technischen Transformation eines straffen Initialthemas hat – auch körperlich auf den Pianisten bezogen – überzeugend Hand und Fuß. Es gelingt ihm zwar nicht, das letzte an Energie, an Leuchtkraft aus den Wechselfällen dieses instrumentalen Solo-Wunders herauszuholen, wobei ich vor allem an Konzert- und Tonträgerdarbietungen von Benedetti Michelangel und Alexis Weissenberg denke.
Korrekt und zuverlässig in ihren unterschiedlichen religiösen Stimmungen erfasst Pöntinen die fünf hier ausgesuchten Choralvorspiele, nicht ganz so raffiniert gesichtet und gewichtet wie in den Einspielungen etwa von Horowitz oder Weissenberg. Mit den Chopin-Variationen (über das Prélude op. 28 Nr. 20) hat auch Pöntinen seine Mühe, eine gewisse Unverzichtbarkeit des Projekts zu unterstreichen. Diese Hommage à Chopin bleibt in ihrer intellektuellen Verkorkstheit eine Randerscheinung der auskomponierten Verehrung, nicht unähnlich in der begrenzten Attraktivität der Themen-Metamorphosen den noch umfangreicheren Chopin-Variationen von Rachmaninoff über dasselbe Thema.
Vergleichsaufnahmen: Chopin-Variationen: Harden (Naxos 8.570891), Plowright (Hyperion CDA 67803); Buechner (Conoisseur Society 4174; Chaconne: Weissenberg (EMI), Kabanova (Oehms OC 520), Schütz (Ars Musici AM 1396-2), Benedetti Michelangeli (Warschau 1955 /Altara Archive 1007, IDIS 6503/04, 27.10.1948 Naxos 8.111351, Music & Arts CD 817), Baglini (Tudor 7139), J. Margulis (Oehms OC 545), Mazmanishvili (Oehms OC 5759), Kerer Rudolf (Moskau 28.9.1998 /Telos Music TLS 074), Lauriala (Naxos 8.553761 F), Leschenko (avanti classic SACD 5414706 10272), Glemser (Oehms OC 706), Grimaud (DG 477 7978), Jess-Kropfitsch (Gramola 98771), Kempf Freddy (BIS-SACD-1810), V Rodriguez (BIS Music CD-199), Kissin (RCA 09026 68911 2), Pletnev (New York 1.11.2000 /(DG 471 157-2), Say (Warner Music 3984 26124 2), Mamikonian (Orfeo C 416 001 A), Szpilman (Sony 509764000), Serdar (EMI 572821 2), Barnard (Divineart 2-5005), Zolotarev (Ars FCD 368388), Groschopp (Capriccio 10896), Bolet (Philips 456 724-2), Demidenko (Hyperion CDA 67324), Busoni (Duo Art Nimbus 8810), Oppitz (Hänssler 98.479), Kirova (Art Voice 4895), L. Monti (LMI-00), E. Schmidt (Bella Musica BM-CD 14.9007).
Peter Cossé † [30.12.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Chaconne für Violine allein von J.S. Bach zum Choralvortrage für Pianoforte BV B 27 | 00:14:26 |
2 | Orgelchoralvorspiele von J.S. Bach auf das Pianoforte im Kammerstyl übertragen BV B 27 | 00:19:35 |
Ferruccio Busoni | ||
7 | Giga, Bolero e Variazioni BV 254 (nach Mozart aus: An die Jugend) | 00:04:01 |
8 | Albumblatt Nr. 1 BV 259 – Andante sostenuto | 00:02:53 |
9 | Albumblatt Nr. 2 BV 289 – Andante | 00:01:57 |
10 | Albumblatt Nr. 3 BV 259 – Sostenuto religioso | 00:04:52 |
11 | Zehn Variationen über ein Präludium von Chopin BV 213a | 00:13:17 |
12 | Fantasia nach J.S. Bach (alla memoria di mio padre Ferdinando Busoni) | 00:12:21 |
13 | Nuit de Noël BV 251 (Esquisse pour le Piano) | 00:04:33 |
Interpreten der Einspielung
- Roland Pöntinen (Klavier)