cpo 777 617-2
2 CD • 1h 29min • 2010
31.12.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Originell, sensationell oder gar revolutionär: Wie auch immer man den Beginn der neuen Bruckner-Gesamtaufnahme mit den Sinfonien Nr. 4 & Nr. 7 beschreiben möchte – Mario Venzagos neuartige, durch und durch eigenständige, für manche vielleicht auch etwas verstörende Bruckner-Lesart findet in der „nullten" und ersten Sinfonie ihre nicht nur faszinierende, sondern elektrisierende Fortsetzung. Und was Folge 1 für mich so unwiderstehlich machte, gilt auch hier für die Sinfonien Nr. 0 d-Moll (2. Fassung, 1869) und Nr. 1 c-Moll (Linzer-Fassung, 1866): Nichts Schweres oder Zähflüssiges, nichts pathetisch Weihevolles, kein Blechbläser-Donner, keine stur durchgehaltenen Tempi, dafür Frische und Lebendigkeit, immer wieder aufblitzende tänzerische Momente (nicht nur in den marschähnlichen Hauptthemen der jeweiligen Kopfsätze oder in den Scherzi) und eine dem Vokalen abgelauschte Weichheit der Linienführungen. Klangsinnliches, Theatralisches und Dramatisches, Vergeistigtes und Sakrales – alles, selbst das unscheinbarste Detail kommt zu seinem Recht.
Venzagos Bruckner-Sicht ist eine kammermusikalisch durchsichtige, die dem virtuosen Orchesterpart beider Sinfonien zusätzlichen Glanz verleiht und durch die recht klein besetzten sowie mit einem schlanken Ton musizierende Tapiola Sinfonietta dynamische und agogische Freiheiten ermöglicht, welche die Grundlage für diese entschlackende Bruckner-Interpretation sind. Wie Venzago besonders das Motorische betont, daneben Synkopen und Rubati als fesselnde Spannungsmomente gestaltet und sie zum Ausgangspunkt immer neuer Bewegungsimpulse macht, dabei die Instrumentengruppen klanglich wunderbar ineinander greifen lässt und auch noch höchst differenzierte Phrasierungen als Mittel der Spannungserzeugung begreift – das ist ohne Beispiel in dem Meer des Bruckner-Mainstreams. Wann sind einem jemals die Kleingliedrigkeit der musikalischen Bausteine, die Kontrastbildungen, der Themenreichtum, das Beschwingte, kantabel Lyrische und das wunderbare Farbenspiel der „Nullten" derart plastisch vor Augen geführt worden? Wann das herb Entschlossene und Eruptive, die harmonischen Schärfungen und rhythmischen Komplexitäten, die tragischen wie innigen (Unter-) Töne oder die brillante Streichervirtuosität der Sinfonie Nr. 1 c-Moll? Alles atmet, alles ist in seiner jeweiligen Aussage unverwechselbar und macht Sinn.
Wenn ich mir nach all diesem überschwänglichen Lob nun doch ein Wort der Kritik erlauben darf: Einige wenige Steigerungswellen wirken eher künstlich erzeugt, als dem natürlichen musikalischen Fluss folgend. Dies soll aber keineswegs den Gesamteindruck einer Bruckner-Deutung schmälern, die Unerhörtes und bislang Ungehörtes ans Licht befördert.
Christof Jetzschke [31.12.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Anton Bruckner | ||
1 | Sinfonie d minor WAB 100 (Die Nullte) | 00:44:00 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Sinfonie No. 1 c minor WAB 101 (Linzer) | 00:44:32 |
Interpreten der Einspielung
- Tapiola Sinfonietta (Orchester)
- Mario Venzago (Dirigent)